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150 Jahre Synagoge Kobersdorf

Naama MAGNUS

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Vor 150 Jahren, zu Pessach 1860, wurde die neue Synagoge von Kobersdorf feierlich eingeweiht. 78 Jahre lang war sie der Stolz der jüdischen Gemeinde. Dann kam die Shoah. Die Juden wurden vertrieben, die Synagoge blieb. Sie überdauerte den Nationalsozialismus, aber ihre einstigen Besitzer kehrten nicht mehr zurück. So blieb sie 50 Jahre dem Verfall preisgegeben. 1995 kaufte eine Handvoll Idealisten die baufällige Synagoge, um sie zu retten. Seither wird das Denkmal Schritt für Schritt restauriert - immer soweit, wie eben Geld aufgetrieben werden kann. Aber die Baustelle hat sich bereits zur vitalen „Kulturbaustelle" entwickelt.

Die Synagoge von Kobersdorf wurde im Jahre 1860 erbaut. Sie ist ein freistehender, längsrechteckiger Bau mit Satteldach in neoromanischem Rundbogenstil. Das Innere der Synagoge dominiert der überwölbte, durch vier Pfeiler gegliederte Hauptraum mit seiner an drei Seiten umlaufenden Frauenempore, die an der Westseite auch die beiden Vorräume überdeckt. In der Ostwand ist die Toraschreinnische eingelassen.

  Die Synagoge Kobersdorf um 1900. Mit freundlicher Genehmigung: Verein Synagoge Kobersdorf.

Nach der Vertreibung der jüdischen Bevölkerung 1938 wurde die Inneneinrichtung des Tempels von der Kobersdorfer SA entfernt bzw. zerstört und die Synagoge als Turnhalle und SA-Heim benutzt. Durch eine Reihe von Zufällen überdauerte das Gebäude sowohl die Zeit des Nationalsozialismus, als auch die Nachkriegszeit, als noch viele burgenländische Synagogen geschleift wurden. Die Synagoge Kobersdorf blieb als einzige Gemeindesynagoge der Schewa Kehilot, der berühmten jüdischen Siebengemeinden, erhalten, war aber nach dem Krieg jahrzehntelang dem Verfall preisgegeben. 1995 kaufte der Verein zur Erhaltung und kulturellen Nutzung der Synagoge Kobersdorf die baufällige Synagoge von der Israelitischen Kultusgemeinde Wien, um sie vor dem - damals bereits absehbaren - endgültigen Verfall zu bewahren und als Denkmal für die ausgelöschten jüdischen Gemeinden des Burgenlands zu erhalten.

Um dem Mahnmal-Charakter des Gebäudes gerecht zu werden und an die Vertreibung der ursprünglichen Eigentümer zu erinnern, wurde als Restaurierungsziel eine alterswertige Restaurierung gewählt. Dieser Ausdruck aus der Denkmalpflege bezeichnet eine behutsame Restaurierung, die auf die Patina des Gebäudes Rücksicht nimmt und die historische Aussagekraft des Denkmals nicht zerstört. Denn die Synagoge ist Zeuge einer - auf grausame Weise - abgeschlossenen historischen Epoche. Sie ragt aus einer anderen Zeit in die Gegenwart. Das soll durch eine alterswertige Restaurierung ablesbar bleiben.

Die anfängliche Hoffnung der Projektinitiatoren auf eine einigermassen rasche Restaurierung des Denkmals wurde durch die ernüchternden Mühen der dazu nötigen Mittelaufbringung rasch auf den harten Boden der Realität zurückgeholt. Zuerst musste einmal der Kaufpreis aufgebracht werden, was schon nicht ganz einfach war. Die von verschiedenen Fonds und Institutionen in Aussicht gestellten grossen Förderungssummen blieben aus, und bald mussten wir einsehen, dass wir uns bei der Realisierung unseres Vorhabens nach der knappen finanziellen Decke zu strecken hatten und die Restaurierung der Synagoge nur schrittweise erfolgen konnte.

 

Die fehlende Decke zwischen der Frauenempore und den beiden Vorräumen der Synagoge wurde wieder eingezogen. Foto: Verein Synagoge Kobersdorf.

Vor dem sicheren Verfall gerettet

Aber auch in kleinen Schritten kommt man voran, wenn man nur hartnäckig, geduldig und opferwillig genug ist. So konnten noch rechtzeitig die wichtigsten Schritte zur Rettung des Gebäudes gesetzt werden: Der Dachstuhl wurde komplett saniert, das Synagogendach neu eingedeckt, die aufgetretenen statischen Probleme untersucht, begutachtet und durch zahlreiche komplizierte Baumassnahmen behoben. Durch diese kos-tenintensiven Massnahmen konnte dem fortschreitenden Verfall Einhalt geboten und die Bausubstanz der Synagoge gerettet werden. Das Wichtigste war getan.

In kleinen Schritten für den Baufortschritt, aber in grossen für die ständig notleidende Vereinskassa, ging es weiter. Die fehlende Decke zwischen der Frauenempore und den Vorräumen wurde wieder eingezogen; die Empore, die sich gesenkt hatte, wurde vorsichtig gehoben; Strom wurde auf das Grundstück geleitet; vor die noch vorhandenen, aber stark beschädigten Originaltüren des Männer- und des Fraueneingangs liessen wir stabile Holztüren setzen, um den Originalbestand bis zur Restaurierung zu schützen und den häufigen Einbrüchen ein Hindernis entgegenzusetzen; die Deckung der Turmaufbauten wurde wiederhergestellt, Architekturelemente aus Stein und die wichtigsten Bereiche des originalen Aussenputzes wurden von Restauratoren gesichert bzw. konsolidiert, wodurch es auch gelang, in letzter Minute die aus Terrakotten und Putzelementen bestehende Giebelornamentik an der Strassenfassade zu retten; auch im Innenraum gelang eine Rettungsaktion: die hebräische Wandinschrift über dem Eingang zum Hauptraum, die abzufallen drohte, konnte gesichert werden, und vieles mehr - es sind nur die wichtigsten der „kleinen" Schritte, die hier Erwähnung finden.

 

Die Gesimsdeckungen der Turmaufbauten wurden wiederhergestellt, um die Wasserableitung wieder zu gewährleisten. Foto: Verein Synagoge Kobersdorf.

Von Fensterrestaurierungen, Sturmschäden und Löchern in der Vereinskassa

Ein besonderes Problem stellt wegen der hohen Kosten die Restaurierung bzw. Wiederherstellung der hohen Rundbogenfenster der Synagoge dar. Mit grosser Mühe gelang es schliesslich doch, die Restaurierung eines der Fenster als Musterfenster für die Restaurierung der weiteren durchzuführen. 2005 nahmen wir mit Hilfe eines Teams von Restauratoren verschiedener Fachgebiete die Sache in Angriff. Die original erhaltenen Holzteile wurden vorsichtig ausgebessert, fehlende Flügel originalgetreu neu angefertigt. Ein eigens vom Restaurator entwickelter Anstrich nimmt auf das alterswertige Restaurierungsziel Rücksicht. Verglast wurde das Fenster mit mundgeblasenem Glas gemäss der zerstörten Originalverglasung. Um die einstige Farbgebung der Masswerk-Verglasungen erschliessen zu können, war vor Beginn der Restaurierung eine genaue Untersuchung aller Fenster auf eventuell noch in den Kittfalzen befindliche Glassplitter durchgeführt worden. Durch diese in einem Gutachten ausgewerteten Befunde gelang es, ein weitgehend vollständiges Bild der einstigen Fensterfarbigkeit der Synagoge zu erhalten. Die noch vorhandenen Metallbeschläge des Fensters wurden von einer erfahrenen Metallrestauratorin vorsichtig entrostet und konserviert, fehlende Teile wurden nachgeschmiedet bzw. nachgedreht.

Als wir 2008 ein weiteres der hohen Masswerkfenster in Angriff nehmen wollten, riss uns der Orkan Paula nicht nur die Ziegel vom Dach, sondern auch ein grosses Loch in die Vereinskassa. Die Schäden an Dach, Türen, Westtor, und Gesimse mussten behoben und die Wiederherstellung eines weiteren Fensters daher verschoben werden. Im Vorjahr nahmen wir dann einen zweiten Anlauf: Eine Naturaufnahme des an der Wetterseite (Westfassade) liegenden Fensters, das als nächstes wiederhergestellt werden soll, wurde gemacht, ein Restaurierungsplan erstellt und sämtliche Beschläge für Stock und Flügel von der Metallrestauratorin nach Originalen neu angefertigt. Die Beschläge sind nun beim Tischler, der den Fensterstock samt Masswerk neu herstellen muss, weil das Originalfenster in den 1970er-Jahren - aus welchen Gründen auch immer - leider entfernt wurde und heute niemand mehr weiss, wohin es kam. Heuer im Sommer wird der neue Fensterstock eingebaut werden. Für die Verglasung und die Neuanfertigung der Fensterflügel suchen wir noch Spender und Sponsoren.

Die Aufbringung der finanziellen Mittel für die Erhaltung der Synagoge und für auch nur die kleinsten Restaurierungsschritte wird leider von Jahr zu Jahr schwieriger. Das uns aus Spenden und einer Subvention des Landes Burgenland zur Verfügung stehende jährliche Budget ist im Verhältnis zum Bauvolumen äusserst gering. Dazu kommen laufend Subventionskürzungen, die stetig steigenden Kosten gegenüberstehen. Kritiker, die zwar keinen Cent zur Erhaltung des Denkmals beitragen, aber laut beklagen, dass die Restaurierung zu langsam voranschreite, machen die Situation auch nicht erfreulicher. Nicht jeder steht dem Projekt positiv gegenüber. Leider sind wir auch mit vielen Anfeindungen und mit Gehässigkeit konfrontiert.

  

Restaurierungsarbeiten an einem der hohen Masswerkfenster der Synagoge. Foto: Verein Synagoge Kobersdorf.

„Virtuelle Khille" und Kultur im Tempel

Erfreulich und motivierend aber sind die Kontakte, die sich im Laufe der Jahre mit vertriebenen burgenländischen Juden und deren Angehörigen und Nachkommen ergeben haben. Viele besuchen die Synagoge, mit vielen sind wir in brieflichem und telefonischem Kontakt, für viele sind wir auf „Ahnensuche". Auf diese Weise sind wir im Laufe der Zeit zu einer kleinen „virtuellen Khille" geworden - ein Umstand, aus dem wir sehr viel Kraft schöpfen.

Obwohl die Restaurierung der Synagoge noch nicht abgeschlossen ist, gelang es uns, diese nicht nur zu einem Ort des Gedenkens und Erinnerns, sondern auch zu einem Mittelpunkt für jüdische Kultur, politische Bildung und zeitgeschichtliche Aufklärung zu machen. Gedenkveranstaltungen fanden und finden in der Synagoge statt, Schulklassen besuchen sie regelmässig und werden dabei über das Schicksal der jüdischen Bevölkerung während der nationalsozialistischen Herrschaft informiert. 2004 etablierten wir die anspruchsvolle Veranstaltungsreihe jüdischer Kultur im Tempel, die seither jährlich stattfindet. Ein sorgfältig ausgewähltes Programm und erstklassige Künstler, wie z. B. Bruno Ganz, Otto Tausig und eine Reihe bedeutender Musiker, machen das Festival zu einem grossen Erfolg. Die künstlerischen Schwerpunkte des Programms liegen in den Bereichen Literatur, Musik und Film.

Schulklassen besuchen regelmäßig die Synagoge Kobersdorf. Foto: Synagoge Kobersdorf.

Im Gedenkjahr 2008 starteten wir einen ersten Versuch, im Rahmen von Kultur im Tempel auch jungen Menschen ein spezielles Angebot zur Verfügung zu stellen. Im Jahr darauf entwickelten wir mit Kultur im Tempel - junior bereits ein eigenes Jugendprogramm. Es richtete sich an zwei unterschiedliche Altersgruppen. Für Volksschüler organisierten wir das Projekt Kennenlernen, bei dem die Kinder spielerisch mit der jüdischen Lebenswelt vertraut gemacht wurden. Der Oberkantor des Wiener Stadttempels, Shmuel Barzilai, erzählte den Kindern in lockerer Form über jüdisches Leben, Alltag und Religion und beantwortete ihre diesbezüglichen Fragen. Anschliessend studierte er mit den Kindern zwei einfache hebräische Lieder ein. Als Abschluss stand ein Besuch der Synagoge auf dem Programm, wo die Kinder gemeinsam mit dem Kantor die vorher gelernten Lieder sangen.

Kultur im Tempel - junior: Shmuel Barzilai singt mit Kindern in der Synagoge hebräische Lieder und bläst das Schofar. Foto: Synagoge Kobersdorf.

Mit Schülerinnen und Schülern der Oberstufe führten wir im Rahmen von Kultur im Tempel - junior das Projekt Vertreibung und Rückkehr durch. Begonnen wurde mit der Vorführung des Films Erinnern und Vergessen, der die Vertreibung der Juden aus Lackenbach und die Erinnerungen der nichtjüdischen Zeitzeugen daran thematisierte. Anschliessend erzählte die Zeitzeugin Gerda Frey über die Vertreibung ihrer Familie aus Mattersburg und ihre Rückkehr dorthin im Jahre 1945. Den Abschluss des Projekts bildete auch hier ein Besuch der Synagoge.

Auf verwehten Spuren - eine Bestandsaufnahme

Ein weiteres Projekt, das wir im Rahmen der kulturellen Aktivitäten um die Synagoge Kobersdorf seit fast drei Jahren betreiben und das heuer zum Abschluss gelangt, dient der Spurensicherung der ausgelöschten jüdischen Kultur des Landes. Unter dem Titel Auf verwehten Spuren. Das jüdische Erbe im Burgenland führen wir eine Bestandsaufnahme und Dokumentation der letzten Zeugen ehemaligen jüdischen Lebens im Burgenland durch. Aus den Ergebnissen dieser Inventarisierung wird eine Datenbank aufgebaut. Mit der Erfassung des jüdischen Erbes wollen wir auch einen Beitrag zur Sicherung der verbliebenen Denkmäler der versunkenen jüdischen Kultur im Burgenland leisten. Leider verschwinden bauliche Zeugen der jüdischen Vergangenheit noch immer sang- und klanglos. Das Bochirim-Haus in Deutschkreutz, das einst Talmudstudenten beherbergte und 2006 abgetragen wurde, ist nur eines der traurigen Beispiele. Zumindest in unserer Dokumentation sind die abgekommenen Gebäude aber bildlich erfasst. Ebenso umfasst die Datenbank auch die wichtigsten Bauten der jüdischen Gemeinden, die schon vor Beginn des Projekts abgerissen worden waren. In diesen Fällen wurden historische Ansichten und die wichtigsten Daten der Gebäude aufgenommen. Einen Teil der Ergebnisse der Bestandsaufnahme werden wir heuer in Form eines Reiseführers zu den Stätten jüdischer Vergangenheit publizieren.

 

Bestandsaufnahme des jüdischen Erbes: Haus in Mattersburg, in dem der Mattersburger Talmud-Verein seine Räumlichkeiten hatte, in einer alten Aufnahme. Foto: Archiv der Stadtgemeinde Mattersburg. Mit freundlicher Genehmigung Verein Synagoge Kobersdorf.

 

Bestandsaufnahme des jüdischen Erbes: Heutiger Zustand des Hauses, in dem vor 1938 der Mattersburger Talmud-Verein seine Räumlichkeiten hatte. Foto: Verein Synagoge Kobersdorf.

Bestandsaufnahme des jüdischen Erbes: Dieses Haus in der Bergstrasse in Lackenbach war das Wohnhaus der berühmten Rabbiner-Dynastie Ullmann. Foto: Verein Synagoge Kobersdorf.

150-jährigen Jubiläum wird gefeiert

Heuer wird die Synagoge ihren 150. Geburtstag feiern. Und wir können mit einigem Stolz behaupten, wir haben einen wichtigen Beitrag dazu geleistet, dass dies möglich ist. Durch den Kauf des zu diesem Zeitpunkt baufälligen Gebäudes und die wichtigsten Rettungsmassnahmen blieb der Kobersdorfer Synagoge das Schicksal des Gattendorfer Tempels erspart, der 1996 abgerissen, oder des Kobersdorfer Friedhofshauses, das 1999 gesprengt wurde. Die Synagoge Kobersdorf konnten wir mit grossem persönlichem Engagement und unter schwierigsten Bedingungen retten. Das wollen wir zum 150-jährigen Jubiläum gebührend feiern. Die Veranstaltungsreihe Kultur im Tempel wird heuer diesem Anlass gewidmet sein, und wir haben bereits Zusagen bedeutender Künstler, um das 150-jährige Bestehen der Synagoge Kobersdorf würdig zu feiern. 

Verein zur Erhaltung und kulturellen Nutzung

der Synagoge Kobersdorf

  

Wir erhalten die Synagoge Kobersdorf als Denkmal

für die ausgelöschtenjüdischen Gemeinden des Landes.

Bitte helfen Sie uns.

  

Spendenkonto:

03910 665 226 bei der BAWAG (BLZ 14000)

  

Der aktuelle Artikel stellt eine Fortsetzung der Beiträge zur Synagoge Kobersdorf in DAVID, Jg. 11, Nr. 43, Dez. 1999, Seite 7-11 sowie in DAVID, Jg. 18, Nr. 71, Dez. 2006, Seite 8-9 dar.