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Die Wodaks. Exil und Rückkehr. Eine Doppelbiografie

Heimo GRUBER

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Walter Wodak (1908-1974) und Erna Wodak, geborene Mandel (1916-2003) entstammten beide Wiener jüdischen Familien, lernten einander im britischen Exil kennen und lieben und führten nach der Remigration ein Leben als Diplomatenehepaar. Diese Lebensform bedeutete für die meisten Frauen, die berufliche Tätigkeit des Botschaftergatten durch die Übernahme repräsentativer Aufgaben an seiner Seite zu unterstützen; in doppelter Funktion dem Land und dem Ehemann „dienend". Auch wenn Erna Wodak diese Rolle nicht ungern und mit Engagement und Geist erfüllte, so lag dem zugleich eine enorme Verzichtsleistung der hochbegabten Wissenschaftlerin auf eine eigene berufliche Laufbahn in der chemischen Forschung zugrunde.

Solche Umstände werden  - auch wenn sie für Frauen Partei ergreifen -   oft nur mit plakativen Formeln  kommentiert. Die gewählte Form der Doppelbiografie wird aber im Versuch der dokumentarischen und analytischen Annäherung jener vielschichtigen Lebensrealität wahrscheinlich in höherem Masse gerecht. Der Historiker Bernhard Kuschey hat sich bereits mit seinem im mehrfachen Wortsinn gewichtigen Werk über das Ehepaar Ernst und Hilde Federn (Bernhard Kuschey: Die Ausnahme des Überlebens. Ernst und Hilde Federn. Eine biographische Studie und eine Analyse der Binnenstrukturen des Konzentrationslagers. 2 Bände. Giessen 2003) als Meister im Verfassen einer Doppelbiografie erwiesen und blieb auch mit dem vorliegenden Buch diesem Metier treu. Er teilt seine Arbeit chronologisch in drei grosse Abschnitte und Themenbereiche: Jüdische Linke - Wissenschaft und Politik im englischen Exil - Diplomatie für Österreich.

Jüdische Linke

Walter Wodak wuchs als Sohn einer jüdischen Handwerkerfamilie in der Leopoldstadt auf. Trotz bescheidener Verhältnisse unterstützten die Eltern die Bildung ihrer Kinder. Wodak schloss sich als Gymnasiast der Vereinigung Sozialistischer Mittelschüler (VSM) an, wo er bald zu einem führenden Funktionär avancierte. Obwohl er auf diese Art früh das traditionelle Judentum hinter sich gelassen hatte, bewahrte er eine enge Verbindung zur Herkunftsfamilie.

Bereits im jugendlichen politischen Engagement traten bei ihm Eigenschaften zutage, die sich als Konstanten im gesamten weiteren Leben erweisen sollten: Was immer Walter Wodak anpackte - er tat es mit Gründlichkeit, Fleiss und vollem Einsatz für die jeweilige Sache. Als Jusstudent betätigte sich Wodak mit derselben Leidenschaft im Verband  Sozialistischer Studenten Österreichs (VSSTÖ). An der Wiener Universität standen damals pogromartige Ausschreitungen gegen jüdische und linke Studenten an der Tagesordnung. Der Niedergang der österreichischen Demokratie und der Destruktionsprozess der Ersten Republik versetzten die sozialdemokratische Arbeiterbewegung, die bereits wesentlich mehr als nur ihre Ketten zu verlieren hatte, in einen Zustand der Lähmung. Walter Wodak zählte zu jenen Aktivisten der Linken, die dieser Entwicklung Widerstand entgegensetzen wollten. Nachdem die Vertreter der linken Strömung im VSSTÖ aus allen leitenden Funktionen - nicht zuletzt unter Zuhilfenahme antisemitischer Ressentiments - abgewählt, und marginalisiert worden war, spielte Wodak eine wichtige Rolle in der sozialdemokratischen Linksopposition, die am Parteitag im Oktober 1933 noch einen letzten Achtungserfolg erzielen konnte. Die weitere Paralysierung der Partei wurde damit nicht mehr verhindert; die Februarkämpfe 1934 waren ein verzweifeltes Rückzugsgefecht. Walter Wodak zählte zu jenen enttäuschten Sozialdemokraten, die nach der Zerstörung von Demokratie und legaler Arbeiterbewegung zur KPÖ wechselten.

Inmitten der politischen Turbulenzen schloss Wodak 1933 sein Studium ab und begann nach einer kurzen Gerichtspraxis in der Versicherungswirtschaft zu arbeiten; in dieser Branche war er bis 1938 tätig und unterstützte aus den Einkünften auch seine Herkunftsfamilie. 1934 heiratete er Erika Wollak, die er schon in der VSM kennengelernt hatte. Diese Ehe gestaltete sich von Beginn an unglücklich, was Wodak noch mehr in politisches Engagement flüchten liess. Die Geburt von zwei Kindern machte die Beziehung nicht einfacher. In allen entscheidenden (Über-)lebensfragen - auch Erika Wodak-Wollak war jüdischer Herkunft - hat aber Walter Wodak nie gezögert, seine familiäre Verantwortung tatkräftig wahrzunehmen.

Während des Austrofaschismus bildete vor allem die von Friedrich Hillegeist geleitete illegale Freie Angestelltengewerkschaft (Fragö) das politische Tätigkeitsfeld Wodaks als Gruppenleiter der Versicherungsangestellten. Zugleich war er Zweiter Vorsitzender der Fragö, in der Sozialisten und Kommunisten zusammenarbeiteten. In diesen Funktionen war er 1938 bis zuletzt in die Bemühungen um die Bewahrung der Unabhängigkeit Österreichs eingebunden. Nachdem er schon vor dem Anschluss die schwangere Gattin und die Tochter zu den Schwiegereltern nach Zagreb in Sicherheit gebracht hatte, verliess Wodak am 17.März 1938 das Land. Über bereits in Grossbritannien befindliche Wiener Freunde aus der sozialistischen Jugendbewegung bemühte sich Wodak von Zagreb aus um eine Einreise nach England und kam im November 1938 in Liverpool an. Seine Familie folgte ihm; ebenso konnten sich die verwitwete Mutter und die Schwester Wodaks nach Grossbritannien retten, von wo sie nach Australien weiterreisten.

Erna Mandel kam 1916 als jüngste Tochter der Familie des Rabbiners von Favoriten zur Welt. Die kindliche Geborgenheit in der Atmosphäre orthodoxer Gesetzlichkeit erzeugte bei ihr den Wunsch, später Theologie zu studieren. Für die 13-jährige Erna stürzte diese Welt jäh zusammen, als sie mit dem tödlichen Herzanfall des Vaters konfrontiert war. Ernas Bruder war als Medizinstudent von den gewalttätigen antisemitischen Exzessen an der Universität Wien betroffen: Als Folge der Aufregung darüber starb der Vater. Damit setzte eine gewisse Distanzierung vom Glauben ein, denn einem G‘tt, der solches zulasse, wollte sie nicht mehr dienen. Sie wandte sich immer stärker den Naturwissenschaften zu und begann 1934 mit dem Studium der Chemie an der Universität Wien. Obwohl nicht unmittelbar politisch engagiert, spürte sie die herankommende Gefahr, und das Gefühl, nicht mehr viel Zeit zur Verfügung zu haben, spornte sie zu besonderen Studienleistungen an. Einer ihrer Lehrer war der Pionier der Kunststoffforschung Herman(n) Mark, der nach 1938 seine Universitätslaufbahn in den USA fortsetzen konnte. Alle Aufzeichnungen für die Dissertation musste Erna Mandel nach dem Anschluss im Chemischen Laboratorium zurücklassen und im Mai 1938 erfolgte ihr Ausschluss vom Studium als Folge des Numerus Clausus für Juden.

Die Mutter Anna Mandel erinnerte sich nun englischer Verwandter, die Erna ein Affidavit besorgen konnten, das ihr im Juli 1938 die Ausreise ermöglichte. Kurz zuvor konnte der Bruder das Land verlassen und über Grossbritannien 1939 in die USA weiterreisen. Denselben Weg ging die ältere Schwester Amalie gemeinsam mit ihrem Mann, während sich Mutter Anna ebenfalls nach England retten konnte.

Erna Mandel zeichnete ebenso wie Walter Wodak ein hohes Mass an praktischer Lebenstüchtigkeit aus, das ihnen und ihren Familien sowohl bei der Flucht vor der tödlichen Gefahr als auch bei der Bewältigung der neuen Lebenssituation im Exil zugute kam.

Wissenschaft und Politik im englischen Exil

Erna Mandel arbeitete nach der Ankunft in Grossbritannien als Hausmädchen und erhielt dann an der Universität Liverpool einen Studienplatz, wo sie ihr Chemiestudium fortsetzen konnte. In diesem Zusammenhang trat im Jänner 1939 erstmals Walter Wodak in ihr Leben, der als Organisator einer Studentenhilfsorganisation um Unterkunft, Stipendien und Studienmöglichkeiten für Flüchtlinge bemüht war. Damit begann eine Liebesbeziehung, die 1944 in eine glückliche Ehe mündete. Erna Mandel schloss mit einer Diplomarbeit das Studium in Liverpool mit dem Master of Science ab. Zwischendurch war sie nach Wales evakuiert worden. Aufgrund ihrer überragenden fachlichen Qualifikationen hätte sie 1940 einen wissenschaftlichen Posten in Chicago einnehmen können; wegen der Liebe zu Walter Wodak schlug sie dieses Angebot aus und zog zur Mutter nach Manchester. An der Universität Manchester erarbeitete sie eine Dissertation und wurde anschliessend an das Grosvenor Laboratory von Chaim Weizmann nach London vermittelt, wo sie an der für die Alliierten während des Krieges besonders wichtigen Ersatzstoffforschung mitwirkte. Weizmann war nicht nur ein hervorragender Wissenschaftler, sondern auch Präsident der Zionistischen Weltorganisation und erster Staatspräsident Israels.

Walter Wodak kam nach seiner Ankunft in Liverpool im University Settlement (Zweig der sozialreformerischen Settlement-Bewegung) unter, ehe ihm ein privates Quartier zur Verfügung gestellt wurde. Er engagierte sich sogleich in der Flüchtlingshilfe und hielt in einer Arbeiterbildungsorganisation Vorträge über die politische Lage in Österreich. Wodak meldete sich bei der KPÖ und war auch im Liverpooler Austrian Centre aktiv. Der Pakt der Sowjetunion mit Nazideutschland vom August 1939 führte jedoch zum sofortigen und unwiderruflichen Bruch Walter Wodaks mit den Kommunisten. Als Antifaschist versuchte er von Beginn an, sich in den Dienst der britischen Kriegsanstrengungen zu stellen und erarbeitete ein Memorandum über Aufklärungsarbeit und Propagandamöglichkeiten, das einem liberalen Parlamentarier übermittelt wurde. Nach der militärischen Niederlage Frankreichs verstärkten sich in Grossbritannien Ängste vor Nazispionen, die als Flüchtlinge getarnt sein könnten. Die Folge war eine massenhafte Internierung, von der im Juli 1940 auch Walter Wodak mit der Einweisung in ein Zeltlager betroffen war. Aber bereits einen Monat später brachte ihm die freiwillige Meldung für das Pioneer Corps die Freiheit wieder. Diese Einheit war anfänglich nicht bewaffnet und vor allem bei Aufräumarbeiten von Bombenschäden und vielfältigsten Bauvorhaben eingesetzt. Wodak wurde auch in der Bildungsarbeit eingesetzt. In einer aus Exilanten gebildeten Alien Company lernte er Arthur Koestler kennen, mit dem er viele Diskussionen führte.

Nach dem Bruch mit der KPÖ suchte Wodak wieder Anschluss bei den Sozialisten und wurde in den Austrian Labour Club und in das London Bureau of the Austrian Socialists in Great Britain aufgenommen. Dort verfocht er früh das Konzept einer erneuerten österreichischen Unabhängigkeit und einer (nicht zustande gekommenen) österreichischen Exilvertretung. Er machte sich keine Illusionen über eine Oppositionsbewegung in Österreich und wollte deshalb realistisch an die Vorkriegstradition der Sozialdemokratie anknüpfen. Im Vergleich zu den „massen"wirksamen Kommunisten blieben die Sozialisten im britischen Exil auf einen kleinen Kreis beschränkt. Aber auch dabei schätzte Wodak richtig ein, dass es im Nachkriegsösterreich keine Rolle spielen werde, wer die grössere Exilorganisation gehabt hatte. Von Sommer 1941 an arbeitete Wodak ein halbes Jahr lang gemeinsam mit den beiden sozialistischen Emigranten Marie Jahoda (Wodak zählte bereits zum Mitarbeiterstab ihrer soziologischen Studie über die Arbeitslosigkeit in Marienthal) und Stefan Wirlandner beim Informations- und Propagandasender Radio Rotes Wien, der sich an ehemalige Sozialdemokraten in Österreich richtete und ein bemerkenswertes Beispiel eigenständiger linker Agitation inmitten der alliierten Rundfunkpolitik darstellte. Ab 1942 wurde Wodak im Army Education Corps eingesetzt, in dem in Anlehnung an das Volkshochschulwesen in der britischen Armee verpflichtende Bildungsarbeit betrieben wurde. Vier Wochenstunden mussten in jeder Einheit für politische und allgemeine Erziehung aufgewendet werden; darüber hinaus wurden zahlreiche Kurse angeboten.

Nach der Scheidung der ersten Ehe Wodaks heirateten Erna und Walter Wodak im Juli 1944 in Oxford. Im April 1945 meldete sich Walter Wodak zum Britischen Element der Alliierten Kommission für Österreich, um möglichst schnell wieder nach Wien zu kommen. Er arbeitete in der Legal Division, die die Alliierte Kommission juristisch beriet. Diese Aufgabe führte zur ersten längeren Trennung des Paares, die mit einem intensiven Briefwechsel überbrückt wurde. Diese in Englisch geführte Korrespondenz ist nicht nur ein Dokument grosser persönlicher Sehnsüchte, sondern vermittelt auch wechselnde Stimmungsbilder, die von einer noch unsicheren Zukunft Zeugnis geben. Nach einer monatelangen Stationierung in Rom konnte Wodak erst im September 1945 nach Wien fliegen. 1945 offenbarte sich das volle und monströse Ausmass der nationalsozialistischen Verbrechen, insbesondere der Shoa. Bei Wodak häuften sich nun die Bitten vieler in England gebliebener Exilfreunde, in Wien dem Schicksal zurückgebliebener Familienangehöriger nachzuforschen. Er wäre damit zeitlich überfordert gewesen und musste etliche jener Anliegen abschlägig behandeln. Zur freudigen Überraschung fand er aber eine überlebende Tante, um die er sich in der Folge regelmässig kümmerte. Wodak nahm auch sofort den Kontakt zur SPÖ auf und wurde in der Folge zu einem wichtigen und mehrfachen Verbindungsmann: Zwischen dem Britischen Element und der SPÖ, zwischen österreichischer und britischer Regierung und zwischen SPÖ und Labour Party, die nach dem Wahlsieg vom Juli 1945 die Regierung stellte. Mit seinen politischen Kontrahenten der Parteirechten aus der Zeit vor 1934, die nach der Befreiung die Politik der SPÖ bestimmten, verband den zum Realpolitiker gewordenen Wodak nunmehr eine enge Zusammenarbeit. Und so waren es Karl Renner und Adolf Schärf, die Wodak als Verbindungsmann der Sozialdemokratie im November 1945 nach London schickten.

Diplomatie für Österreich

In seiner Funktion als Vertreter der SPÖ konnte Wodak im Februar 1946 Vizekanzler und SPÖ-Parteivorsitzenden Adolf Schärf zu einer ersten Einladung nach Grossbritannien verhelfen. Im selben Monat wurde der im Jänner 1946 aus der britischen Armee entlassene Wodak als Mitarbeiter der Gesandtschaft (Sozialattaché und Pressereferent) in London in den diplomatischen Dienst der Republik Österreich übernommen.

Inzwischen hatte Erna Wodak ihre berufliche Laufbahn als Chemikerin fortgesetzt und arbeitete als Senior Research Chemist in den Cavendish Laboratories in London. Österreichischer Gesandter (erst 1947 wurde die Mission zur Botschaft aufgewertet) in London war der konservative Diplomat Heinrich Schmid. Da Schmid Junggeselle war, fiel Erna Wodak bei repräsentativen Anlässen die Rolle als „erste Dame" zu. Nachdem sich Schmid - obwohl noch nachträglich von Erna Wodak als Humanist und angenehmer Mensch beschrieben - daran gestossen hatte, dass sie berufsbedingt nicht immer pünktlich und dann mit einem „Duft von Chemie" zu den Veranstaltungen komme, sah sie sich gezwungen, ihren Beruf aufzugeben. Das war zugleich das Ende einer vielversprechenden naturwissenschaftlichen Karriere. Solcherart zum Opfer des Patriarchats - auch Gatte Walter hat diesen Schritt nicht kritisch hinterfragt - geworden, war Erna Wodak gekränkt und hatte es zu ertragen, dass ihre Talente drei Jahrzehnte lang brachliegen mussten.

In den damaligen diplomatischen Bemühungen Österreichs standen die Staatsvertragsverhandlungen an erster Stelle; so auch für Walter Wodak auf seinem Londoner Posten. Aber auch mit einem Teil des Parteivermögens der alten Sozialdemokratie, das von Friedrich Adler nach Grossbritannien gebracht, dort in Gold angelegt und während des Krieges als „Feindvermögen" beschlagnahmt wurde, war er befasst; es konnte der Sozialistischen Internationale übergeben werden. Besonders mit Vizekanzler Schärf verbanden Wodak ein enges Arbeitsverhältnis und ein intensiver Briefwechsel. Es fällt auf, dass sich Wodak zumindestens nach aussen hin scheinbar problemlos der Nachkriegsideologie des offiziellen Österreich und der Parteilinie der SPÖ angepasst hat; mit Nachdruck bekämpfte er bei den skeptischen Briten deren Widerstände gegen die Zulassung einer vierten Partei als Sammelbecken für Nationalsozialisten. Und dass er sich in einem Bittbrief an Innenminister Helmer um Hilfe für sudetendeutsche Verwandte bei der Erlangung der Staatsbürgerschaft bemüssigt fühlte, eigens darauf hinzuweisen, dass es sich um „Nichtjuden" handle, sagt viel über die atmosphärischen Rahmenbedingungen aus.      

Nach der Geburt von Tochter Ruth (heute eine renommierte Sprachwissenschaftlerin) kamen die Wodaks 1950 nach Wien. Es war nur eine relativ kurze Zwischenstation auf dem Weg nach Paris, wohin Walter Wodak 1951 an die österreichische Gesandtschaft beordert wurde. 1953 war er chancenreicher Kandidat für das Amt eines Staatssekretärs im Aussenministerium, in das aber letztlich Bruno Kreisky berufen wurde. Im selben Jahr wurde Wodak Gesandter (ab 1954 Botschafter) in Jugoslawien. Hier konnten politisches Interesse und Leidenschaft Wodaks mit seiner diplomatischen Tätigkeit eine produktive Verbindung eingehen. Die Sonderstellung des Landes nach dem Bruch mit der Sowjetunion, die politischen Entwicklungen im Ostblock nach dem Tod Stalins, die im ungarischen Aufstand ihren Höhepunkt finden sollten - das waren Prozesse, die Wodak, der auch zu jugoslawischen Dissidenten Beziehungen unterhielt, nicht unberührt liessen. Als politischer Direktor des Aussenministeriums kehrte er 1959 nach Wien zurück. Vor allem für die Tochter Ruth, die sich in Belgrad sehr wohl gefühlt hatte, gestaltete sich dieser Umzug in vielerlei Hinsicht als Kulturschock. Erstmals wurde sie mit ihrer jüdischen Herkunft konfrontiert. Die schmerzlichen Erlebnisse von Antisemitismus trafen sie unvorbereitet - die Eltern hatten sie in der Bemühung um Schonung bis dahin im Unklaren gelassen.

Von 1964 bis 1970 bekleidete Wodak den Posten eines Botschafters in der Sowjetunion. Als intellektueller Analytiker konnte er dort seine Fähigkeiten voll entfalten. Daneben hielt er Kontakt zu Dissidenten und kümmerte sich um das Schicksal der Schutzbund-Flüchtlinge.

1970 übertrug Bundeskanzler Kreisky Walter Wodak den höchsten Beamtenposten im Aussenamt, den eines Generalsekretärs des Bundesministeriums für Auswärtige Angelegenheiten. In diese Zeit fällt die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zur Volksrepublik China, die Wahl Waldheims zum Generalsekretär der UNO und die Gründung des Internationalen Instituts für Angewandte Systemanalyse in Laxenburg, um das sich Walter Wodak besonders verdient gemacht hatte. Damals begann Wodak verstärkt wissenschaftlich zu arbeiten und leitete an der Universität Wien ein Seminar über internationale Politik. In der Pension sollte er einen Lehrauftrag am Smithsonian Institute in Washington übernehmen. Der plötzliche Tod im Februar 1974 im Alter von 66 Jahren zerstörte diese hoffnungsvollen Vorhaben.

Dass die verwitwete Erna Wodak nun den unterbrochenen Faden ihrer Arbeit als Chemikerin wieder aufnehmen konnte, half ihr entscheidend bei der Bewältigung des persönlichen Verlustes. Bereits ab 1973 arbeitete sie für einen Chemiekonzern in der Patentprüfung, Produktdokumentation, bei der Recherche der Fachliteratur und wurde mit weiteren anspruchsvollen Aufgaben betraut. In den folgenden Jahren leistete sie Pionierarbeit durch ihr Engagement für die Wissenschaftskooperation zwischen Österreich und Israel. Vor allem mit ihrem grossen Einsatz für die Österreichische Gesellschaft der Freunde des Weizmann Institute of Science in Rehovot schloss sich auf produktive Weise ein Lebenskreis, der in die Londoner Jahre zurückführt, als Erna Wodak im Laboratorium Chaim Weizmanns tätig war. Dutzende erfolgreiche bilaterale Forschungsprojekte empfand sie als späte Krönung ihres Lebens. Erna Wodak überlebte ihren Gatten um fast drei volle Jahrzehnte und starb 87-jährig im April 2003.

Bernhard Kuschey ist mit der vorliegenden Arbeit eine beeindruckende Doppelbiografie gelungen, die zwei Persönlichkeiten im familiären, kulturellen, politischen und beruflichen Umfeld zeigt, durch das sich der grösste Zivilisationsbruch der Geschichte zieht. Als direkt Betroffene zählten Walter und Erna Wodak zu den wenigen vertriebenen Österreichern, die den Weg der Remigration wählten. Als bekannter politischer Aktivist war Walter Wodak gezwungen, im März 1938 sofort das Land zu verlassen, um der Verhaftung zu entgehen. Wahrscheinlich war es auch jener Umstand, der es ihm erleichterte - obwohl er noch bis nach dem Kriegsende über die persönliche Wahl  des künftigen Wohnortes im Unklaren war - im Exil einen sentimentalen Patriotismus zu pflegen. Ganz anders hingegen Erna Wodak, die bis Juni 1938 in Wien Terror und Demütigungen ausgesetzt war. Diese Zeit genügte, um bei der Rückkehr wieder alte Ängste zu reaktivieren, die durch die sowjetische Besatzung zusätzliche Nahrung erhielten.

Gebührendes Augenmerk widmet Kuschey der jüdischen Herkunft der Biografierten. Die Akkulturation des jungen Walter Wodak an den Sozialismus tabuisierte diese Frage, weil im Zuge des Emanzipationsprozesses Herkunft keine Rolle mehr spielen sollte und durfte. Dass das aber dennoch der Fall war, beweist Kuschey anhand des Fraktionskampfes im VSSTÖ; ebenso bekannt ist das verstärkte Auftreten antisemitischer Ressentiments in der Arbeiterbewegung nach dem Februar 1934. Bei der Rabbinertochter Erna Mandel wiederum war es die tödliche Auswirkung antisemitischer Exzesse, die ihre Religiosität bereits während der 20er Jahre nachhaltig erschütterte.

Auch die Dokumentation der Beraubung der Familien Mandel und Wodak und der hinhaltende Umgang der Zweiten Republik mit Pensionsansprüchen, Rückstellungen und Entschädigungen verfolgt Kuschey - soweit durch Akten noch rekonstruierbar - exemplarisch und fügt die Befunde zu einem beschämenden Sittenbild der österreichischen Nachkriegsgesellschaft zusammen. Der Autor gibt ebenso den Blick auf zutiefst Persönliches frei, ohne dabei voyeuristisch zu werden. Die Aneignung der Geschichte von Erna und Walter Wodak ist nicht nur wegen deren bemerkenswerten Persönlichkeiten und herausragenden Fähigkeiten von Nutzen, sondern weil sie ein Lehrstück für die Brüche und Kontinuitäten österreichischer Geschichte im 20.Jahrhundert abgeben kann. Kuschey bekennt sein Forschungsinteresse an „Menschen, die zumindestens bis 1945 gegen die politische Herrschaft gestanden haben." (S.13) Und es kann daher Bernhard Kuschey nur zugestimmt werden, wenn er meint: „An der Hebung dieses Fundus ist auch wegen der aktuellen Gefährdung der politischen Kultur in Österreich zu arbeiten." (S.371) Die gelungene Doppelbiografie ist mit dem Bruno Kreisky - Preis für das politische Buch ausgezeichnet worden. n

Bernhard KUSCHEY: Die Wodaks. Exil und Rückkehr. Eine Doppelbiografie. Mit einem Vorwort von Heinz Fischer. Wien: Braumüller 2008.  384 S.  € 32,90  

ISBN 978-3-7003-1649-7