Irans Präsident Mahmoud Ahmadinejad hat der internationalen Gemeinschaft reichlich Gelegenheit zu Entrüstung gegeben. Den grössten Aufruhr erregte sein Zitieren von Ajatollah Ruhollah Khomeinis Satz über die Auslöschung Israels, das Verweisen des Holocaust ins Reich der Fabeln und die Einladung der internationalen Holocaust-Leugner-Szene zur sogenannten historischen Wahrheitsfindung nach Teheran im Dezember 2006. Wahrscheinlich wird das, mehr als alle anderen getätigten oder noch kommenden Stellungnahmen des iranischen Präsidenten, im Gedächtnis der Menschheit haften bleiben. Die unter seinem Vorgänger Mohammad Khatami mühsam aufgebaute Reputation der Islamischen Republik Iran im Westen hat Ahmadinejad - man hat den Eindruck absichtlich - jedenfalls zerstört.
Hier interessieren weniger Reaktionen des Westens und diplomatische Konsequenzen dieser ungeheuerlichen Aussagen des iranischen Präsidenten, sondern die Reaktion jener Gruppe, die mit dem islamischen Regime seit dreissig und mit Präsident Ahmadinejad seit nunmehr fünf Jahren lebt: Die im Iran verbliebene jüdische Gemeinde. Mit ihren ungefähr 20.000 Mitgliedern ist sie zwar nach wie vor die grösste jüdische Gemeinde des Nahen und Mittleren Ostens (Zentralasien ausgenommen) - umfasst aber trotzdem nur einen Bruchteil ihrer einstigen Grösse. 1948 gab es noch um die 200.000 Juden im Iran, zwischen 1976 und 1986 verringerte sich deren Anzahl von über 60.000 auf etwa 20.000. Irans jüdische Gemeinschaft verlor also knapp zwei Drittel ihrer Mitglieder in weniger als 40 Jahren. Die Mitgliederzahl der jüdischen Gemeinde nimmt ständig ab, hauptsächlich durch Auswanderung in die USA (über den HIAS - Hebrew Immigration Aid Service in Wien)1, sowie nach Israel. Zwar liegen keine vertrauenswürdigen Zahlen vor, die eine Zunahme der Auswanderung iranischer Juden während der Amtszeit Präsident Ahmadinejads belegen würden.2 Ausser Zweifel steht jedoch, dass die jüdische Gemeinde Irans die Holocaust-Aussagen des Präsidenten der Islamischen Republik Iran als Bedrohung empfand. So kritisierte der jüdische Abgeordnete zum iranischen Parlament, Morris (Maurice) Motamed den Präsidenten in einem Gespräch mit der Zeitung Âftâb3 am Rande der Sitzung des parlamentarischen Finanzausschusses:
„Leider müssen wir mit ansehen, wie eine der grössten historischen Tragödien, in deren Verlauf mehr als sechs Millionen unschuldige Menschen in die Gasöfen geschickt wurden, was durch tausende Fotos und Filmrollen dokumentiert ist, von Seiten des Präsidenten des islamischen Landes Iran [sic! Und nicht Islamische Republik, Anm. d. Verf.], geleugnet wird."
Weiters führte Motamed aus, die Aussagen des Präsidenten würden weltweit von Juden als Bedrohung empfunden. Extremistische Aussagen wie diese, so Motamed, trügen nur zur weiteren Isolierung des Landes bei. Der Abgeordnete richtete seine Bedenken schriftlich an den Präsidenten (Brief Nr. 84/809, 8. Âbân 1384/30. Oktober 2005). Das vom Sprecher der iranischen Regierung und des Wächterrats, Gholam-Hosein Elham unterzeichnete Antwortschreiben vom 19. Âzar 1384/10. Dezember 20054 - wohl eher eine Art Empfangsbestätigung denn eine Antwort im eigentlichen Sinn - ging in Abschrift an die für religiöse Minderheiten zuständigen Minister, nämlich den Geheimdienstminister Hojjatol-Islam Gholam-Hossein Mohseni-Ejei, den Minister für Kultur und Islamische Rechtsleitung Hossein Safar Harandi, den Innenminister Hojjatol-Islam Mostafa Pour-Mohammadi und den Leiter der staatlichen Rundfunkbehörde Ezzatollah Zarghami. In dem Schreiben heisst es:
„Wird behandelt. Wie üblich werden die Ehre und das Ansehen aller religiösen Minderheiten gemäss der Scharia und der Verfassung beachtet."
Rechtliche und ideologische Grundlagen
Die iranische Verfassung (Artikel 13 und 14, „Religiöse Minderheiten") räumt den jüdischen, christlichen und zarathustrischen Minderheiten, also den im Islam anerkannten Offenbarungsreligionen (ahl-e ketâb), kulturelle Freiheiten ein. Darunter werden in erster Linie Kultusfreiheit und ein eigenes, konfessionell geprägtes Schulwesen verstanden. Ausserdem wird den Minderheiten auch eine politische Vertretung zugestanden (Artikel 64).5 Die Verfassung sorgt also für ein Minimum an öffentlicher Anerkennung. Deutlich wird dies in Artikel 14, in dem es unter anderem heisst:
„Die Regierung der Islamischen Republik und die Muslime [sind] verpflichtet, Nichtmuslime mit Anstand und islamischer Gerechtigkeit zu behandeln und ihnen gegenüber die Menschenrechte zu achten."6
Tatsächlich bemühen sich die Behörden auch, den religiösen Minderheiten ihre Rechte zukommen zu lassen: Es gibt Zuschüsse bzw. Vollfinanzierungen für ihre Publikationen, Renovierungen von Pilgerstätten und Kultstätten, die auch in die Liste des nationalen Kulturerbes aufgenommen wurden,7 eigene Schulen und Spitäler, sowie zahlreiche Vereine.8
In diesem Sinne ehrt die Islamische Republik Iran auch Veteranen, Kriegsversehrte und Gefallene aller religiösen Minderheiten. Offensichtlich tut sie dies in eigenen, von den Muslimen getrennten Gedenkveranstaltungen. Von besonderer Bedeutung ist die Ehrung jüdischer Kriegsteilnehmer durch Vertreter der Islamischen Republik Iran, da den Juden erst in einer späteren Phase des Krieges, ab 1986, erlaubt wurde, in der Armee zu dienen.9 Die dabei von den offiziellen Vertretern vorgebrachte Rhetorik ist durchaus inkludierend, man spricht anerkennend von den Opfern der Nichtmuslime, bezeichnet sie als „gläubige und revolutionäre Menschen" (mardom-e mo'men va enqelâbi), die „immer Freud und Leid mit den Iranern teilen."10 Dabei ist anzumerken, dass der achtjährige Krieg mit dem Irak (1980-88) aus iranischer Sicht weit mehr als nur ein konventioneller Krieg war: Als Heiliger Verteidigungskrieg (defâ‘-e moqaddas) war er gleichzeitig ein quasi chiliastisches Erlebnis der vorwiegend aus der Unter- und unteren Mittelschicht stammenden fundamentalistischen muslimischen Jugend des Landes, welche mit viel Idealismus und Schwärmerei, aus ideologisch-religiösen Gründen die Basij genannten Freiwilligenverbände füllte und an die Front strömte.11 Zwar konnten die Auswirkungen des Krieges auf die Ideologie und die politische Praxis vom damaligen Präsidenten Alī Akbar Hāschemī Rafsanjani zum Teil erfolgreich gebändigt werden, doch bleiben Krieg und Kriegsrhetorik neben der Revolution die zweite emotional-historische Quelle, aus der sich die Ideologie des Regimes speist.12 Kriegergedenken sind daher immer sowohl Machtdemonstrationen des islamistischen Regimes - weniger des Staates oder der Nation Iran - als auch ideologische Bekenntnisse zum Regime. Nichtsdestoweniger mussten Juden, Christen und Zarathustrier genauso ihren Beitrag zur Verteidigung der iranischen Nation leisten, auch wenn, wie von Asghar Schirazi richtig kommentiert,13 der Krieg im Namen des Islam geführt wurde und die Kriegsziele islamisch und nicht patriotisch definiert wurden. Vom Standpunkt der iranischen Islamisten muss die Kriegsteilnahme der Nichtmuslime in einen ideologischen, ergo islamistisch-revolutionären Kontext eingeschrieben werden, und nicht in einen staatsbürgerlichen, aus dem etwa das Recht auf volle Gleichberechtigung abgeleitet werden könnte.
Wie Schirazi richtig betont, bedeutet in der iranischen Realität das Zugestehen von im Koran verbrieften Rechten eben keine Gleichberechtigung, und in weiterer Folge wird die Handlungsfreiheit der religiösen Minderheiten Irans von staatlichen und parastaatlichen Institutionen oft beschnitten.14 So stehen den oben zitierten positiven Bemühungen von Seiten hoher Bürokraten in der Regel willkürliche und unsensible Entscheidungen derselben Behörden oder einzelner Beamter gegenüber, die, je nach Gruppe und abhängig von regionalen Umständen, von ärgerlichen Schikanen bis zu brutalen Unterdrückungsmassnahmen reichen können.15 Diskriminierende Gesetze, vor allem im Erbrecht und beim Blutgeld,16 gaben den Minderheiten immer wieder Anlass zu Beschwerden: So sprach der zarathustrische Vertreter im Namen aller Minderheiten während einer offiziellen Gedenkfeier die unbefriedigende und diskriminierende Gesetzeslage, vor allem die schlimmsten Bestimmungen im Strafrecht - das sind jene Artikel hinsichtlich Zeugenaussagen vor Gericht, Blutgeld und Erbrecht -, offen an.17 Ausserdem findet sich im oben erwähnten Artikel 14 der iranischen Verfassung, der den Muslimen vorschreibt, Nichtmuslime mit Anstand zu behandeln, folgende Einschränkung:
„Dieser Artikel wird nur in Bezug auf Personen beachtet, die keine Verschwörungen und Aktivitäten gegen den Islam und die Islamische Republik Iran unternehmen."18
Es bedarf keiner Erklärung, dass dieser vage Zusatz als Freibrief gegen Angehörige jeder Minderheit angewandt werden kann. Während der heissen Phase zu Beginn der Revolution kam vor allem für die Juden noch erschwerend hinzu, dass die (nicht unbegründete) Furcht vor Verschwörungen zu einem bedenklichen politischen Klima und zu einem „paranoiden Regierungsstil" führte,19 in dem Verschwörungstheorien, in welchen Juden eine negative Funktion zugeordnet wurde, eine Rolle spielten.
Anti-zionistische jüdische Gemeindepolitik
Ajatollah Ruhollah Khomeini selbst war gegenüber Juden misstrauisch eingestellt. So warf er ihnen in seinen vorrevolutionären Schriften vor, die Religion des Islam zu entstellen, den Koran falsch zu übersetzen und Irans Wirtschaft zu unterwandern.20 Dieses Misstrauen wurde dadurch verstärkt, dass die vorrevolutionäre Führung der jüdischen Gemeinschaft des Irans dem kaiserlichen Regime positiv gegenüber gestanden war und ihre Sympathie und Unterstützung für Israel kaum verhehlt hatte. Diese Führungsschicht wurde durch die Revolution abgelöst. An ihre Stelle traten linksorientierte, anti-imperialistische und anti-zionistische jüdische Intellektuelle wie Aziz Daneshrad, damals Vertreter der jüdischen Gemeinde im Revolutionären Expertenrat. Diese Gruppen gingen davon aus, ein Arrangement mit dem Regime sei möglich und notwendig. Ursprünglich eine Minderheit innerhalb der jüdischen Gemeinde, wurden sie nach der Auswanderung der alten jüdischen Elite deren unumstrittene Wortführer.21 Da diese linksorientierten jüdischen Revolutionäre die Islamische Revolution und später die Islamische Republik unterstützten, fiel es ihnen leichter, sich auf gemeinsamer, anti-imperialistischer Basis mit dem Regime zu arrangieren. Der Weg dahin war freilich alles andere als kurz.
Nach Harun Yashayayi,22 dem ehemaligen Vorsitzenden des Tehran Jewish Committee (Anjoman-e Kalimiyân-e Tehrân, AKT), betrachtete Khomeini die iranischen Juden in erster Linie als Iraner und brachte sie weder mit dem Zionismus noch mit Israel in Verbindung, wodurch sich die relative Toleranz gegenüber der jüdischen Gemeinde erklären würde.23 Das ist zwar nicht ganz falsch, aber so unvollständig, dass es der Natur des schwierigen Verhältnisses zwischen der jüdischen Gemeinde und der Islamischen Republik nicht ganz gerecht wird. So wird zum Beispiel aus leicht nachvollziehbaren Gründen die zionistische und pro-israelische Tradition innerhalb der jüdischen Gemeinde Irans geflissentlich verschwiegen.24 Dabei legen die Karrieren wichtiger israelischer Staatsmänner iranisch-jüdischer Abstammung beredtes Zeugnis für eben diese Tradition ab,25 welche sich vor den die jüdische Gemeinde aufmerksam beobachtenden iranischen Islamisten wohl kaum verbergen liess. Khomeini hat daher in seinen früheren Schriften kaum zwischen Juden und Zionisten unterschieden.26 Weiters hat er auch bei mehreren Gelegenheiten, insbesondere 1973, anlässlich der von linken und islamistischen Gruppen scharf kritisierten 2.500-Jahr-Feiern der iranischen Monarchie, welche zufälligerweise mit dem Jom-Kippur-Krieg zusammenfielen, die Schiiten des Landes aufgerufen, als Gegengewicht zu den Aktivitäten pro-israelischer jüdischer Kreise in Iran, die Palästinenser aktiv zu unterstützen.27 Er stellte also sehr wohl explizit eine Verbindung zwischen der jüdischen Gemeinden im Iran, in Israel und dem Zionismus her. Davon abgesehen spielt für Khomeini wie für alle frommen Schiiten die Frage der rituellen Reinheit eine wichtige Rolle und beeinflusste selbstverständlich seine Ansichten über Nichtmuslime im Allgemeinen und Juden im Besonderen.28
Nach der Hinrichtung des prominenten jüdischen Geschäftsmannes Habib Elqanian zu Beginn der Revolution traf die damalige Führung der jüdischen Gemeinde mit Khomeini zusammen und bat ihn direkt um seinen Schutz in seiner Funktion als Oberster Rechtsgelehrter (vali-feqh).29 Khomeini unterschied nun in aller Öffentlichkeit zwischen Zionismus als Ideologie und dem Judentum als Religion. Diese Idee dürfte aus der jüdischen Gemeinde selbst gekommen sein, oder wurde zumindest von ihr mitformuliert.30 Allerdings wurde Vertretern der jüdischen Gemeinde bedeutet, dass Juden nur, solange sie sich „zu benehmen" wüssten und sich vor allem von Israel distanzierten, im Iran sicher seien.31 In der Praxis jedoch misstraute das Regime weiterhin seinen jüdischen Bürgern. Die zentrale Funktion der Feindbilder „Israel" und „Zionismus" für die Ideologie des Regimes32 hatte dann auch zur Folge, dass Juden jene der anerkannten religiösen Minderheiten wurde, welche in den ersten Jahren nach der Revolution am meisten zu leiden hatte.33 Mitte der 1980er Jahre, also ein halbes Jahrzehnt nach dem Sieg der Revolution und der Etablierung der Islamischen Republik Iran, betonte Khomeini die Unterscheidung zwischen dem Judentum als Religion und dem Zionismus als Ideologie noch einmal. Dieser Schritt wird nicht zu Unrecht mit seiner nun auf Mässigung bedachten Gesellschaftspolitik, die auf die Gewinnung der iranischen Mittelklasse abzielte, in Zusammenhang gebracht.34 Für die jüdische Gemeinde bedeutete dieser Schritt eine leichte Entspannung und Normalisierung der Verhältnisse, so wurden männliche Juden ab 1986 zum Wehrdienst zugelassen. Diese „khomeinische" Formulierung, wonach zwischen areligiösen Zionisten und gläubigen Juden und zwischen rassistischen Israelis und der patriotischen jüdischen Gemeinde im Iran zu unterscheiden sei, muss als revolutionär-ideologische Untermauerung der von der Verfassung garantierten Minderheitenrechte für die Juden verstanden werden. In der Realität wurde freilich oft genug der Unterschied zwischen „Juden" und „Zionisten" vermischt.35
Mit der Zeit gelang es der Führung der jüdischen Gemeinde, zu einem Arrangement mit dem Regime zu kommen, dessen Grundlage die Verständigung mit Revolutionsführer Khomeini bildete. Aller Wahrscheinlichkeit nach handelt es sich dabei um ein mündliches Übereinkommen, von dem in der breiteren Öffentlichkeit wenig bekannt wurde. Eines der Elemente dürfte Regelungen zur Auswanderung iranischer Juden betreffen, zumindest glaubt man, dies aus einer Indiskretion Alois Mocks herauslesen zu können.36 Weiters ist es ein offenes Geheimnis, dass iranische Juden meist über den Umweg der Türkei nach Israel reisen (zumindest wurde dies unter Khatami ermöglicht), was iranischen Staatsbürgern an und für sich streng verboten ist.37 Kernpunkte des Arrangements waren die strikte Unterscheidung zwischen Zionisten und Juden durch das Regime und die deutliche Distanzierung der jüdischen Gemeinde von Zionismus und Israel. Man kann davon ausgehen, dass es noch weitere Elemente gab. So verzichten offizielle Vertreter des Regimes, allen verbalen Ausrutschern zum Trotz, für gewöhnlich auf aggressive, gegen die eigene jüdische Gemeinde gerichtete antisemitische Äusserungen und stellen die Historizität des Holocaust nicht infrage - was den Schock und die Überraschung der jüdischen Gemeinde über die Aussagen Ahmadinejads erklärt!38 Diese Verständigung hat sicherlich mit dazu beigetragen, dass die jüdische Gemeinde Irans ein etwas höheres Mass an Freiheit („liberty", gemeint sind Argumentationsspielraum und Handlungsfreiheit) geniesst, als andere jüdische Gemeinden im Nahen Osten, wie der Congressional Research Service anerkennend bemerkt.39 Das wirft allerdings eher ein trauriges Bild auf den Nahen Osten, als ein positives auf die Islamische Republik Iran.
Den Vertretern der jüdischen Gemeinde blieb - wie allen anderen Iranern - ohnehin keine andere Wahl, als sich den ideologischen Parametern des Regimes zu fügen und sich in ideologischen Pflichtübungen zu ergehen. So veröffentlichten die jüdischen Vertreter (wie übrigens andere Minderheitenvertreter auch) stereotype Verurteilungen Israels und Sympathieerklärungen zugunsten der Palästinenser. Dessen ungeachtet mag ein Teil der jüdischen Kritik an Israel durchaus ernst gemeint gewesen sein, da, wie oben erwähnt, linksorientierte Anti-Imperialisten weitgehend die Vertretung der Gemeinde nach aussen hin übernommen hatten - eine Tatsache, die bei nicht wenigen Vertretern des Regimes auf Sympathie stiess. Prominente Vertreter der jüdischen Gemeinde wie Rabbi Uriel Davudi oder der ehemalige Abgeordnete Chosrow Naqi gingen so weit, jeglichen Bezug zwischen dem Judentum als Religion, dem Zionismus als Ideologie und dem Staat Israel abzustreiten. Allerdings wurde dabei von jüdischer Seite stets vermieden, Israel das Existenzrecht abzusprechen. Wer aufgrund eines Amtes nicht sprechen musste, zog es vor, in der Öffentlichkeit zu schweigen.40 Im Gegensatz dazu stimmten jüdische Schulkinder und Studenten mit demselben nicht vorhandenen Enthusiasmus wie ihre nichtjüdischen Kommilitonen in die verordneten Sprechchöre gegen die USA und Israel ein.41
Gegen Ende der 1990er Jahre entspannte sich die gesellschaftspolitische Lage im Iran zusehends. Zu dieser Zeit, also während der beiden Khatami-Präsidentschaften, herrschte das zweifelsohne beste Verhältnis zwischen der jüdischen Gemeinde in Iran und dem Regime. Der für iranische Verhältnisse liberale Vorgänger Ahmadinejads im Präsidentenamt besuchte 2004, als einziger Präsident nach der Revolution, eine Synagoge; ein Akt der Wertschätzung, der von allen Minderheiten im Iran mit Wohlwollen aufgenommen wurde. Khatami intervenierte zugunsten der in Shiraz verhafteten Juden, fand eine Lösung für die Schulden des jüdischen Spitals und kam der jüdischen Gemeinschaft auch bei Auslandsreisen entgegen. Wie gross der Unterschied zwischen ihm und seinem Nachfolger ist, lässt sich schon daran erkennen, dass er in seiner Rede, die er anlässlich seines Besuchs der Synagoge in Yusufabad hielt, die jahrhundertelange Unterdrückung des jüdischen Volkes erwähnte und auf die okzidentale Natur von Antisemitismus, Faschismus und Holocaust hinwies.42 Unter seiner Präsidentschaft wurde auch der interreligiöse Dialog zwischen Juden und Moslems initiiert, der unter dem Vorsitz des mittlerweile verhafteten (und auf den veröffentlichten Bildern gebrochen wirkenden) ehemaligen Vizepräsidenten Seyyed Mohammed Ali Abtahi mehrmals stattfand.43 Khatami verbesserte das gesellschaftspolitische Klima und versuchte eine offizielle Distanzierung der Islamischen Republik Iran von Antisemitismus und Faschismus zu formulieren. Allein die Tatsache, dass er sich damit überhaupt auseinandersetzte, ist bemerkenswert.
Hier ist nicht der Ort, in extenso darauf einzugehen, wie und von welchen Gruppen aus gegen die Khatamische Reformpolitik vorgegangen wurde. Nur soviel sei an dieser Stelle in Erinnerung gerufen: Extremisten führten in den 1990er Jahren eine brutale Mordserie im ganzen Iran durch44 und schreckten auch nicht vor Attentaten auf Präsidentenberater zurück. Die Sabotage der Reform wurde unter Mitwisserschaft des Büros des Revolutionsführers durchgeführt; zum Teil wurde mit kleinen, radikalen Banden ehemaliger Frontkämpfer gearbeitet. Mehrere Skandale, die um die Jahrtausendwende aufflogen, zeichneten das Bild eines extremistischen Milieus voll gewaltbereiter und ideologisch radikalisierter Gruppen; Ansâr-e Hezbollâh war eine der wichtigsten davon.45 In den Zeitungen dieser Gruppen und den ihnen nahe stehenden Massenmedien, allen voran die auflagenstarken Tageszeitungen Jomhuri-ye Eslâmi, Ettelâ‘ât und Kayhân, wurden auch antisemitische Sujets oder ganz offen antisemitische Propaganda verbreitet,46 gegen welche die Vertreter der jüdischen Gemeinde im Rahmen ihrer Möglichkeiten vorgingen.
In DAVID, Heft 84 folgt Teil 2 dieser Artikelserie.
1 Die ausserordentliche Bedeutung der Wiener Niederlassung der HIAS für die Auswanderung iranischer Juden und anderer religiöser Minderheiten kann nicht hoch genug eingeschätzt werden. HIAS agiert als offizielle Immigrationsbehörde im Auftrag des State Departments und bietet unter anderem Orientierungskurse für das Leben in Amerika an. Hierzu siehe http://global.hias.org/en/pages/vienna; für die Aktivitäten der HIAS in Wien siehe www.hias-vienna.at.
2 Vgl. N. N.: Alle Juden denken darüber nach, den Iran zu verlassen. In: Die Presse, 17. Mai 2007.
3 Siehe den Nachdruck des Artikles von Âftâb in Ofeq Binâ, der Zeitschrift der jüdischen Gemeinde Teherans: N. N.: Kritik von Morris Motamed and den Aussagen Ahmadinejads/Enteqâd-e Mourris Motamed az ezhârât-e Mahmoud Ahmadinezhâd. In: Ofeq Binâ, 7/28, Dey 1384/Januar 2006, S. 5.
4 Siehe Faksimile, publiziert ebenda.
5 Für die religiösen Minderheiten im Iran siehe Eliz Sanasarian: Religious Minorities in Iran. Cambridge 2000 (=Cambridge Middle East Series 13); zur Verfassung der Islamischen Republik Iran siehe Asghar Schirazi: The Constitution of Iran. Politics and the State in the Islamic Republic. London - New York: Tauris 1997; Silvia Tellenbach: Untersuchungen zur Verfassung der Islamischen Republik Iran vom 15 November 1979. Berlin: Klaus Schwarz 1985.
6 Tellenbach, S. 65.
7 Siehe das Interview mit Said Taqavi, dem damaligen Abteilungsleiter für Angelegenheiten der Minderheiten im Ministerium für Kultur und Islamische Rechtleitung. Ofeq Binâ, 7/28, S 5.
8 Für das Schulwesen siehe Harun Yashayai: The Past and Future of Jewish Private Schools in Iran. http://www.iranchamber.com/education/articles/past_future_jewish_schools.php, abgefragt am 8. August 2009, es handelt sich um die Übersetzung eines Artikels, der erstmals in Ofeq Binâ, April-Juli 2003 erschienen ist.
9 Sanasarian, S. 143. Weil sich das Wehrgesetz auf Iraner bezog und Juden davon ausgeschlossen waren.
10 Siehe Berichte solcher Gedenkveranstaltungen in mehreren Ausgaben der Teheraner jüdischen Zeitschrift Ofeq Binâ,zum Beispiel: N. N.: Marâsem-e tajlil az hamwatanân-e isârgar-e Masihi, Zartoshti, Kalimi/Zeremonie zur Ehrung der christlichen, zarathustrischen und jüdischen Veteranen. In: Ofeq Binâ, Mordâd 1384/August 2005, S. 24; N. N.: Hamâyesh-e nekudâsht-e shohadâ va isârgarân-e adyân-e elâhi (Lâlehâ-ye Touhid)/Ehrung der Kriegsgefallenen und Veteranen der Offenbarungsreligionen (Tulpen des Monotheismus). In: Ofeq Binâ, Farvardin 1385/April 2006, S. 5 ; Afshin Tâjiyân: Yâdemân shohadâ-ye kalimi,/Unsere Erinnerung and die jüdsichen Gefallenen. In: Ofeq Binâ, Mehr und Âbân 1378/Oktober - November 1999, S. 46f.
11 Für den chiliastisch-religiösen Eifer, der den Grossteil der damaligen Jugend aus der Unterschicht und unteren Mittelschicht beseelte, siehe die einschlägigen Studien von Farhad Khosrowkhawar: L‘Utopie Sacrifiée. Socioliogie de la révolution iranienne. Paris: Presse Sciences-Po 1993 und Ders.: L‘Islamisme et la Mort. Le martyr révolutionnaire en Iran. Paris: L'Harmattan 1995.
12 Hier ist nicht der Ort, in extenso auf die Ideologie der Islamischen Republik einzugehen, im Endeffekt handelt es sich um die Kombination des Tiermondialismus (daher die Rezeption von Frantz Fanon aber auch Patrice Lumumba und ähnlichen Theoretikern aus der Dritten Welt) mit dem Politischen Islam in der Interpretation des Imam Khomeini und dem ebenfalls von Khomeini formulierten Herrschaftsprinzips der Herrschaft des Rechtgelehrten (velâyat-e faqîh). Die Frage der besseren Interpretation der Ideologie wird von Reformisten und Neo-Fundamentalisten verschieden beantwortet (autoritär und proto-demokratisch) und bildet unter anderem die Hauptachse des jetzigen Konflikts innerhalb des islamistischen Regimes in Teheran.
13 Schirazi, S. 140.
14 Schirazi, S. 139f. Der Vollständigkeit halber sei darauf hingewiesen, dass die genannten Bestimmungen für die grösste religiöse Minderheit im Iran, die Bahais, keine Gültigkeit besitzen. Die Bahais werden als Abtrünnige betrachtet und sind aktiver Verfolgung ausgesetzt.
15 Die Verletzungen der Menschen- und Minderheitenrechte in der Islamischen Republik Iran sind unter anderem durch Amnesty International und Human Rights Watch sehr gut dokumentiert und auf deren Internetseiten abrufbar. Weitere brauchbare Dokumente sind: Fédération Internationale de la Ligue des Droits des Hommes (Hg.): Discrimination against religious Minorities in Iran. Paris-Geneve 2003; Hussain D. Hassan: Iran: Ethnic and Religious Minorities. Report for Congress RL34021. Washington, DC: CRS November 2008. Die beste Übersicht gibt jedoch Sanasarian, Religious Minorities, S. 73-93.
16 An dieser Stelle kann auf das iranisch-islamische Strafrecht nicht näher eingegangen werden. Das Blutgeld, diyeh, also jener Betrag, der Opfern von Verbrechen (und das können auch Verkehrsunfälle sein) zusteht, ist für nichtmuslimische Männer halb so hoch wie für Muslime und für nichtmuslimische Frauen halb so hoch wie für nichtmuslimische Männer, d. h. ein Viertel eines muslimischen Mannes. Siehe Sanasarian, S. 133.
17 Vgl. N. N.: Marâsem-e tajlil az hamwatanân-e isârgar-e Masihi, Zartoshti, Kalimi/Zeremonie zur Ehrung der christlichen, zarathustrischen und jüdischen Veteranen. In: Ofeq Binâ, Mordâd 1384/August 2005, S. 24.
18 Tellenbach, S. 65.
19 Hierzu siehe das einschlägige Kapitel bei Ervand Abrahamian: Khomeinism. Essays on the Islamic Republic. London - New York: Tauris 1993, S. 111-132.
20 David Menashri: Post-Revolutionary Politics in Iran. Religion, Society and Power. London - New York: Routledge 2001, S. 275.
21 Sanasarian, S. 101.
22 Auch Hârun Yashâyâyi, Haroun Yashayaie u.ä.
23 So Harun Yashayayi (auch Haroun Yashyaei u.ä.) in einem Gespräch mit Michael Theodoulou: Jews in Iran Describe a Life of Freedom Despite Anti-Israel Actions by Tehran,. In: Christian Science Monitor, 3. Februar 1998. Der an und für sich sehr brauchbare Artikel malt ein, meines Erachtens zu rosiges, Bild über die realen Verhältnisse der iranischen Juden.
24 Zur Entstehung zionistischer Organisationen im Iran vgl. Habib Levy: Comprehensive History of the Jews of Iran. The Outset of the Diaspora. Costa Mesa: Mazda 1999, S. 503-522.
25 Als Beispiele seien die folgenden Persönlichkeiten genannt: der israelische Präsident Moshe Katzav und der ehemalige Verteidigungsminister Shaul Mofaz wurden im Iran geboren, der ehemalige Stabschef der israelischen Armee Dan Chalutz stammt von persischen Einwanderern ab. Zur iranisch-jüdischen Gemeinde in Israel siehe Davi Yerushalmi: „Israel: The Jewish-Persian Community. Lemma in: Encyclopaedia Iranica.
26 Siehe die Zusammenstellung der wichtigsten vorrevolutionären Reden Khomeinis bei Hamid Algar: Islam and Revolution. Writings and Declarations of Imam Khomeini (1941-1980). Berkeley: Mizan 1981.
27 Hamid Dabashi: Theology of Discontent. The Ideology of the Islamic Revolution in Iran. New Brunswick - London: Transaction Publishers 2., erw. Aufl. 2008, S. 468.
28 Auf die kultische Unreinheit (najâsat) der Nichtmuslime bei Khomeini hat schon Menashri, S. 275 hingewiesen. Unter einem Ungläubigen (kâfer) versteht Khomeini nicht nur jeden, der den Propheten Muhammad ablehnt (also alle Nichmuslime) sondern auch Atheisten, Polytheisten und laxe Muslime. Hierzu siehe z.B. die folgende populäre Fatwa-Sammlung Khomeinis: Rezâ Qorbâniân (Hg): Resâleh-ye Âmuzeshi. Montachabi az ‚Touziho l-Masâ‘el‘ va Esteftâ‘ât-e Hazrat-e Emâm Khomeini (q.s.), [Lehrtraktat: Auswahl aus dem ‚Katechismus‘ und den Fetwa-Anfragen an seine Heiligkeit Imam Khomeini (q.s.)] (Enteshârât-e Eslâmi) Qom o.J., S. 9 und 10. Man vergleiche Khomeinis traditionellen Standpunkt mit dem seines Nachfolgers Khamenei, letzterer nimmt in dieser Frage einen weit liberaleren Standpunkt ein. Hierzu siehe den zweiten Teil dieser Serie.
29 Menashri, S. 275; Sanasarian, S. 111, 137.
30 So Menashri, S. 275 und nach ihm Trita Parsi: Treacherous Alliance.,The Secret Dealings of Israel, Iran, and the United States. New Haven - London: Yale University Press 2007, S. 8.
31 Sanasarian, S. 112.
32 Hierzu siehe das einschlägige Kapitel bei Menashri, S. 261-304.
33 Siehe das einschlägige Kapitel bei Sanasarian, S. 110-4.
34 Abrahamian, S. 51; Menashri, S. 275.
35 Menashri, S. 276.
36 Und zwar handelt es sich um die Kooperation zwischen Pakistan und Iran, die den iranischen Juden erlaubte, über Wien das Land zu verlassen, siehe Sanasarian, S. 113. In diesem Zusammenhang sei auf die eingangs erwähnte Rolle des HIAS noch einmal nachdrücklich hingewiesen.
37 Vgl. Parsi, S. 8.
38 Das war der Eindruck, den der Autor während eines Aufenthaltes vor einigen Jahren in Teheran gewann.
39 CRS: Iran. Ethnic and Religious Minorities, S. 9.
40 Sanasarian, S. 150.
41 Larry Derfner: See no Evil, hear no Evil. In: Jerusalem Post, 28 September 2006.
42 Arash Abaei: Fruitful Co-Existence in Iran: President Khatami visits the Main Synagogue in Tehran on Ilanot (Tu B‘shvat). http://members.ngfp.org/Month/Month_Item.2004-03-26.0421 Für Khatamis toleranteren Ansatz dem Judentum gegenüber siehe Menashri, S. 280, für Khatamis nuancierteren Ansatz Israel gegenüber siehe ebenda 287-297.
43 Siehe N. N.: Avvalin hamâyesh-e goftogu-ye Eslâm va Yahud dar Irân/Erster Islamisch-Jüdischer Dialog in Iran. In: Ofeq Binâ, No 17 Ordibehesht-Mordâd 1381/August 2002, S. 20, 21.
44 Den besten Einblick in die dramatischen Ereignisse von damals bietet Emâdeddin Bâqi: Terâzhedi-ye Demokrâsi dar Irân, bâzkhâniy-e qatlhâ-ye zanjirehi[Die Tragödie der Demokratie in Iran. Untersuchungen zu den Serienmorden. 2 Bde. Teheran: Ney 1379/XXX (und seither mehrere Auflagen). Diesem Werk wird von Seiten westlicher Iran-Analytiker viel zu wenig Beachtung geschenkt.
45 Über dieses Milieu siehe Walter Posch: Islam und Revolution im Iran oder Schiismus als Politik. In: Walter Feichtinger/ Sybille Wentker (Hg.): Islam, Islamismus und islamischer Extremismus. Wien - Köln - Weimar: Böhlau 2008, S. 99-121, insbesondere 108 ff. sowie Michael Rubin: Into the Shadows. Radical Vigilantes In Khatami‘s Iran. Washington, DC: Washington Institute for Near East Policy 2001.
46 Für die einschlägigen Beispiele siehe Menashri, passim.