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Weltbürger oder Mitläufer der Nazi-Zeit?

Rudolf SCHRATTER

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Das Heinrich-Harrer-Museum in Hüttenberg, Kärnten veranstaltete im Sommer d. J. ein Fest der Kulturen. Aber war da nicht eine Diskussion über die „braune Vergangenheit" des bekannten Bergsteigers und Tibet-Kenners? Hatten die Medien nicht berichtet, er wäre bei Lügen ertappt worden, die seine Nazi-Mitgliedschaft betrafen, und er wäre im Auftrag der Führung des Dritten Reiches nach Tibet gesandt worden?

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 Heinrich Harrer (mit Hut) und seine Frau Carina (li.) beim Fest der Kulturen 2002. Foto: Kathrin Müllner.

Viele Zeitschriften und Zeitungen in aller Welt, Fernsehberichte und sogar der Hollywood-Film Sieben Jahre in Tibet, die 1998 erschienene Verfilmung von Harrers berühmtem Abenteuerbericht aus dem Jahr 1951, befassten sich mit diesem Thema. Dabei war ein wenig Trauer herauszuhören, dass man auch diesen Mann mit dem Dritten Reich in Verbindung bringen musste. Viele Medien liessen kein gutes Haar an der Vergangenheit des Himalaja- und Tibet-Idols und beraubten es seines Rufes als Weltbürger und Menschenfreund. Wie hatte Heinrich Harrer in der NS-Zeit wirklich sein Leben gestaltet? Während meiner Tätigkeit als sozialdemokratischer Bürgermeister von Hüttenberg und hauptberuflicher Leiter des Museums waren Heinrich Harrer und ich Freunde geworden. So verbrachte ich viele Stunden mit ihm und hörte, wie sich seine Expeditionen hinter den Kulissen abgespielt hatten. Seine Sicht zu brisanten Themen wie der Tibet-Frage, der Situation in Neuguinea oder Borneo war eine Bereicherung. Harrers grosses Interesse galt der Völkerkunde, der Liebe zur Natur und dem Sport. Durch die Erfolge als Schisportler - immerhin schaffte er es im Jahr 1936 ins österreichische Olympia-Team für die Olympischen Spiele in Garmisch-Partenkirchen und wurde 1937 Akademischer Abfahrtsweltmeister - konnte er sich in Graz das Studium für Geographie und Leibesübungen leisten. Ausserdem betreute er auf der steirischen Tauplitz eine eigene Schischule.

Daraus ergaben sich die ersten Anknüpfungspunkte mit dem Dritten Reich. 1937 war Harrer im Österreichischen Schiverband Trainer der Damen-Nationalmannschaft. Nach der nationalsozialistischen Machtübernahme 1938 wurde er gebeten, auch die steirische SS als Sport- und Schilehrer zu betreuen. Er sagte zu und war plötzlich Scharführer mit Uniform und zwei Sternen - auch wenn er, wie er in seiner Biographie berichtet, wegen seiner Teilnahme an der Nanga-Parbat-Expedition keine einzige Trainingsstunde abhielt. Wohl aber machte er weitere Erfahrungen mit dieser Uniform. Im Juni 1938 legte er seine Lehrabschlussprüfung an der Universität in Graz ab und bemühte sich um einen Posten an seinem ehemaligen Realgymnasium. Voraussetzung war die Mitgliedschaft im NS-Lehrerbund und somit in der NSDAP. Er stellte einen Antrag auf Parteimitgliedschaft. Das Parteibuch erhielt er wegen seines Aufbruchs nach Indien im Frühjahr 1939 nicht mehr überreicht, wohl aber bei seiner Rückkehr aus Tibet 1951, als man ihn zur „Entnazifizierung" auf die Polizeistation Graz-Paulustor vorlud. Seine SS-Charge nutzte er nur auf Wunsch seiner Schwiegermutter, als er im Jahr 1938 Lotte Wegener, die Tochter des bekannten Polarforschers Alfred Wegener, in Uniform ehelichte.

Aus den ab Ende der 90-er Jahre veröffentlichten Archivalien zum Dritten Reich geht hervor, dass für die Engländer als Kolonialherren Indiens eine deutsche Nanga-Parbat-Expedition 1939 durchaus ein politisches Thema war. Man bemühte sich um ein gutes Verhältnis, insbesondere, wenn es offensichtlich um rein sportliche und wissenschaftliche Aktivitäten ging. Eine Note des British Secretary of State (im National Archive of India sowie in den India Office Collections der British Library) sagt:

In the present state of international affairs it is obviously necessary to be viligant in regard to the activities of German expeditions. [...] the policy of the Foreign Office is still to treat German applications in the same way as other foreign applications. [...] Aufschnaiter [Expeditonsleiter der Nanga-Parbat-Expedition und Fluchtkollege Harrers nach Tibet; Anm. des Autors] is a friend of Mason [Der Engländer Kenneth Mason war der erste Herausgeber des Himalayan Journal; Anm. des Autors] and apparently not a Nazi [...].

Der zuständige Beamte im India Office in London, Peel, ergänzt dazu in einem Kommentar:

„I do not suppose this expedition is likely to be mischievous, though it has caused us a great deal of unnecessary trouble by failing to apply in proper time".

Spekulationen, dass jene Expedition mit Spionage zu tun gehabt haben könnte oder von den Nazis gesponsert worden wäre, sind meiner Meinung nach durch dieses Aktenmaterial ad absurdum geführt, und zwar vom englischen Nachrichtendienst selbst. Völlig aus der Luft gegriffen erscheint damit auch die Behauptung, Harrer hätte eine Expedition gemeinsam mit dem Reichs-Sportminister von Tschammer und Osten unternommen.

Die weitere Geschichte Heinrich Harrers ab der Zeit der Internierung in Indien bis zu seinem siebenjährigen Aufenthalt in Tibet ist eine Abenteuergeschichte par excellence. Harrer wird von politischen Berichterstattern immer wieder mit Ernst Schäfer verwechselt. Er und sein Freund Peter Aufschnaiter waren aber nicht auf Expedition in Tibet, wie wenige Jahre zuvor Ernst Schäfer auf Geheiss Himmlers, sondern auf der  Flucht aus einem englischen Internierungslager. Dies bestätigt ein Foto der Deutschen Himalaja-Stiftung in München, auf dem man sieht, wie Schäfer am Flughafen Tempelhof in Berlin freudig von Himmler empfangen wird. Zur gleichen Zeit befand sich Harrer mit der Bergsteigergruppe unter Peter Aufschnaiters Leitung am Nanga Parbat.

„An ihren Taten werdet ihr sie erkennen", sagt die Bibel. Heinrich Harrer, von seiner Mutter mit den christlichen Werten erzogen, hat sie immer als eines der bedeutendsten Bücher bezeichnet. Er fühlte sich jederzeit als Christ, auch wenn er sehr intensiv mit Naturreligionen in Afrika, auf Neuguinea, Borneo oder den Andamanen in Kontakt kam. Besonders intensiv war sein Kontakt zu den Inhalten des Tibetischen Buddhismus, kein Wunder, bezeichnete er doch seine Zeit in Tibet als die schönste seines Lebens, und nicht zuletzt hielt seine Freundschaft zum XIV. Dalai Lama das ganze lange Leben lang. Der XIV. Dalai Lama war während Harrers und Aufschnaiters Aufenthalt in der Hauptstadt Lhasa ein Knabe, welcher grosses Interesse an der Geographie dieser Erde und an der englischen Sprache zeigte. Harrer konnte ihm beides in Grundzügen vermitteln. Möglicherweise war dies der Ausgangspunkt für jene Weltoffenheit und das „friedliebende Gewissen", die dem Dalai Lama schliesslich 1989 den Friedensnobelpreis brachten. Wie der Dalai Lama sein Leben dem Frieden in unserer Welt widmet, so hatte auch Heinrich Harrers Leben nichts mit dem politischen Gedankengut seiner Jugendzeit zu tun. Er liebte es, die Bergwelt Asiens zu erforschen, unbekannte Kulturen zwischen Indien und Australien, Afrika und Südamerika zu bereisen und einer staunenden Öffentlichkeit zu präsentieren. Er hat damit, wie auch mit dem ihm gewidmeten Heinrich-Harrer-Museum in Hüttenberg, die Herzen und den Geist der Menschen geöffnet und für Neugierde gesorgt, die eine Grundvoraussetzung für Kommunikation und Austausch zwischen den Völkern dieser Erde ist. Heinrich Harrer ist deshalb kein Überbleibsel „brauner" Begrenztheit seiner Jugendzeit, sondern ein Symbol für Weltoffenheit und Liebe zur bunten Kulturvielfalt unserer Erde.

Bibliographie:

Harry G. Bissinger: Bericht in Vanity Fair, 1997.

Martin Brauen: Peter Aufschnaiter. Sein Leben in Tibet. Steiger Verlag.

Roger Croston: Prisoners of the Raj, unveröffentlichter Abschlussbericht über Archivrecherchen im National Archive of India und India Office Collections der British Library.

Heinrich Harrer: Mein Leben. Ullstein Verlag.

Heinrich Harrer: Sieben Jahre in Tibet. Ullstein Verlag.

Tillman Müller: Bericht in Stern, 1997.

In der nächsten Ausgabe des DAVID, Heft 84, erscheint der Vortrag: „Wird es uns in Zukunft noch geben? West-Papua am Anfang des 21. Jhdt." von Kristina Neubauer.