Die Erholungsfürsorge war in der Zwischenkriegszeit vor allem für die in der Grossstadt lebenden Kinder wichtig. Die Wohnqualität in den Städten begünstigte Erkrankungen dadurch, dass viele Familien auf engem Raum zusammenlebten, die Räumlichkeiten oft wenig beleuchtet, schlecht belüftet und sehr feucht waren. Viele Wohnungen hatten keine Badeeinrichtungen. Armut und Unterernährung waren ein weiteres Problem. Erholungsfürsorge sollte den gesundheitlichen und erzieherischen Zustand der Kinder verbessern, sowie Gewichtserfolge erzielen.
Der Beginn der planmässigen Kindererholung wird mit Pfarrer Walter Bion gesetzt, der 1877 in Zürich die erste Ferienkolonie gründete. In den folgenden Jahrzehnten wurde aus Sorge um das gesundheitliche Wohl der Kinder eine grosse Zahl von Kindern in Landfamilien untergebracht. Den Ferienkolonien folgte das klimatisch bevorzugt gelegene Heim, deren Entwicklung besonders in der Nachkriegszeit eine starke Belebung erfuhr. Tagesheime mit Sonnenbädern, von Wald- und Freiluftschulen wurden gegründet. So wurden die Kinder nicht ganz aus der gewohnten Umgebung entfernt und konnten zumindest über Nacht daheim sein.
Erholungsheime sollten in der Nähe von Wald und Wasser, fern von Fabriken liegen, sie mussten mit Küche und Essraum, Trinkwasserversorgung, guter Abortanlage sowie Wasch- und Duscheinrichtungen ausgestattet sein. Liegekuren, Luft- und Sonnenbäder, Atemübungen und Gymnastik sollten den Kindern geboten werden. Eine Krankenschwester sollte permanent vor Ort sein, sowie ein Arzt immer erreichbar, der auch regelmässig Gewichtskontrollen durchführte. Die Kinder verbrachten den ganzen Tag draussen, erhielten auch dort ihre drei Mahlzeiten, mit besonderem Augenmerk auf reichlich Obst und Gemüse. Die Kur dauerte in der Regel mindestens sechs Wochen, in erster Linie war sie für vier- bis zehnjährige Kinder gedacht, die in engen, lichtlosen Wohnungen hausten.
Für die Aufnahme in ein Erholungsheim wurde erwartet, dass die Kinder nicht verlaust und bettnässend waren, sowie, dass sie eine Mindestausstattung an Bekleidung hatten, um einen Wäschewechsel zu ermöglichen. Für viele Kinder wirkte die im Ferienheim regelmässige Waschung, regelmässige Einnahme der Mahlzeiten mit dem Zwang, alles zu essen, sowie die Wanderungen, Lieder, Bücher und Spiele über die Sommerwochen hinaus.
Heilstätten für erholungsbedürftige Kinder waren vor allem für gesunde jüdische Kinder gedacht. Für diejenigen, die an Tuberkulose erkrankt waren, waren keine Erholungsheime vorgesehen, nur tuberkulös gefährdete Kinder wurden in bestimmten Erholungsstätten, wie das Seehospiz Grado oder das Felix Lederer Heim, aufgenommen. Daher übernahm die Jüdische Jugendfürsorge direkt die Auswahl geeigneter Heilstätten für die tuberkulosekranken Kinder. Die Aufenthaltsdauer war im Inland auf vier bis sechs Wochen beschränkt, im Ausland auf sechs bis acht Wochen. Die Finanzierung erfolgte durch Beiträge der Eltern, Vereine und durch die Jüdische Jugendfürsorge (Jüdische Fürsorge 1925, 16).
Der Obmann der israelitischen Kultusgemeinde, Dr. Isidor Klaber, sprach bei der Versammlung der Fürsorgeräte im Jahre 1933 von der geplanten Ratio-nalisierung der Erholungsfürsorge und Erweiterung der Ferialaktionen der Jugendlichen (Die Stimme 1933, 6. Juli, 8).
Ferien- und Genesungsheim Mühlhof in Vöslau
Dieses Heim wurde vom Verein Ferienheim unterhalten. Laut Jüdischer Jugendfürsorge konnten im Sommer 1925 einhundert arme, israelitische, erholungsbedürftige Kinder aus Wien in zwei Schichten zu je 30 Tagen einen Erholungsurlaub in Vöslau geniessen mit einem Kostenaufwand des Vereines von rund 10.000.- ATS (1925, 52); 1930 wurden die Kinder in drei Serien zu je 60 Kindern zur Erholung entsendet (Die Stimme, 13. März, 14). Dem Verein Ferienheim standen im Jahr 1925 insgesamt 30.317,03.- ATS zur Verfügung, die hauptsächlich aus 967,40 ATS an Mitgliedsbeiträgen, 3936,77 ATS aus Veranstaltungen, 4.607,46 ATS aus Spenden, 2.035,73 ATS aus Beiträgen von Vereinen und 4685,70 S aus Beiträgen der Befürsorgten stammten. Die Sammlung in Vöslau erbrachte erfreuliche 2.081,88 ATS (Jüdische Fürsorge 1925, 54). Die Kinder wurden in den nach neuesten Hygienerichtlinien ausgestatteten Räumen gepflegt und rituell verköstigt. Es bestand eine vollständige Einrichtung für den Winterbetrieb.
Seehospiz in Grado
Der Verein Ferienheim unterhielt das Seebad in Grado, er wurde jedoch aus italienischen privaten Mitteln unterstützt. Im Jahr 1925 konnte der Verein über 374,- ATS an Mitgliedsbeiträgen, 1.965,56 ATS an Geldern aus Veranstaltungen, 3785,56 ATS aus Spenden, 1.765,72 ATS aus Beiträgen von Vereinen und 6.745,- ATS aus Beiträgen von Befürsorgten verfügen (Jüdische Fürsorge 1925, 68).
Zur Erholung wurden vorwiegend arme und zur Tuberkulose neigende Kinder aufgenommen. Insbesondere das Meeresklima sollte zur Erholung dienen. Der Aufenthalt war für 65 Kinder für fünf Wochen möglich (Jüdische Fürsorge 1925, 68). 1930 ermöglichte man den Erholungsaufenthalt in drei Serien zu je 30 Kindern (Die Stimme 1930, 13. März, 14).
Ferienkolonie im Florahof in Vöslau
Die Ferienkolonie im Florahof unterhielt der Verein Nachlath Jeschurun. In der Ferienkolonie wurden im Jahr 1925 insgesamt 250 erholungsbedürftige Kinder im schulpflichtigen Alter in drei Turnussen zu je 28 Tagen untergebracht, berichtet die Jüdische Fürsorge (1925, 64). Demgegenüber schrieb Die Stimme, dass im Jahr 1930 die Erholung in drei Serien zu je 150 Kindern stattfand (1930, 13. März, 14).
Im Jahr 1925 verfügte der Verein über Einnahmen in der Summe von 44.865,25 S ATS Diese teilten sich in 957,- ATS an Beiträgen, 2.197,56 ATS aus Veranstaltungen, 5.432,43 ATS aus Spenden, 820,96 ATS aus Beiträgen des Bundes, 4.068,40 ATS der Gemeinde Wien, 1.000,- ATS der IKG, 1000,- ATS von Vereinen und 22.845,88 ATS aus Beiträgen der Befürsorgten (Jüdische Fürsorge 1925, 66). Im Florahof in Vöslau wurde die Erholung durch ausreichende Kost und Bewegung in der frischen Luft gefördert.
Sonnentagesheim im Augarten. Quelle: www.restitution.or.at. Mit freundlicher Genehmigung: V. Krones.
Sonnentagesheim im Augarten
Das Sonnentagesheim für kränkliche jüdische Kinder im Augarten in Wien XX, Rauscherstrasse 16, wurde 1920 von der Israelitischen Kultusgemeinde zur Verfügung gestellt. Der Festschrift anlässlich des 25 jährigen Bestandes des israelitischen Humanitätsvereines EINTRACHT ist zu entnehmen, dass die „Israelitische Kultusgemeinde 1913 aus dem Privatbesitz des Kaisers Franz Josef eine grosse, die ganze Brigittenauer Seite des Augartens einnehmende Wiesenfläche zwecks Erbauung eines jüdischen Kinderspitals" erwarb (Zappert 1928, 108-111). Der Krieg setzte den Plänen jedoch ein Ende. 1918 wurde das verbliebene Spendenvermögen in ein Ambulatorium für kranke Kinder investiert. Die Israelitische Kultusgemeinde erwarb anschliessend eine Kriegsbaracke im Augarten und errichtete eine Liegehalle für etwa 25 Kinder.
Die Loge Eintracht übernahm 1921 die Leitung und fügte 1922 und 1923 zwei neue Liegehallen dazu. Das 1922 fertig gestellte Felix Lederer Heim war mit Badeeinrichtungen ausgestattet und wurde direkt an die Baracke angebaut. Der Karoline Altmann Pavillon wurde von Herrn Bernhard Altmann, einem Mitglied der Eintracht, auf eigene Kosten gebaut und war im Gegensatz zum hölzernen Felix Lederer Heim bereits gemauert.
Dem Heim standen 1.915,- ATS an Spenden, 1.847,10 ATS aus Beiträgen der Gemeinde Wien, 2.500,- ATS der IKG, 5.370,- ATS von Vereinen und 4.185,90 ATS aus Beiträgen der Befürsorgten zur Verfügung; insgesamt handelte es sich um 17.249,09 ATS an Einnahmen im Jahr 1925 (Jüdische Fürsorge 1925, 71).
1920 wurden 29 tuberkuloseverdächtige Kinder im Alter von vier bis zwölf Jahren während der Sommermonate einer Liege- bzw. Sonnenkur unterzogen. Im Jahr 1924 waren es bereits 156, und die Zahl kletterte 1927 sogar auf 192 Kinder, die sich im Augarten erholen durften. 1930 wurden die Kinder in drei Serien zu je 104 Kindern in den Augarten entsandt (Die Stimme 1930, 13. März, 14). 1933 genossen 305 Kinder einen je vierwöchigen Erholungsaufenthalt. Darunter 96 vorschulpflichtige tuberkulös gefährdete Kinder. Einige kamen mehrere Male zur Erholung.
Die Kinder kamen laut Jüdischer Fürsorge in den Genuss von Sonnen- und Luftkuren in geräumigen Liegehallen und auf einer sonnigen grossen Wiese und wurden mit reichlich Nahrungsmitteln versorgt. Oft waren die Kinder nur mit Schwimmanzügen bekleidet. Pädagogisch geschulte Pflegerinnen sorgten für die erzieherischen Fortschritte und ärztliche Kontrollen für gesundheitliche. Die Kinder verbrachten in der Regel 6 bis 10 Wochen im Sonnentagesheim (Zentralstelle für jüdisch soziale Fürsorge 1925, 16). Die Finanzierung des Aufenthaltes erfolgte durch die Eltern mit 1 ATS oder 50 Groschen per Tag und Subventionen der Israelitischen Kultusgemeinde. Arme Kinder erhielten finanzielle Unterstützung im Sinne von Verpfleggeldern durch die Chewra Kadischa, die Jüdische Jugendfürsorge, den Bund jüdischer Frauen Österreichs und das Kriegswaisenkomitee. Aber auch die Stadt Wien und das Wiener Jugendhilfswerk beteiligten sich mit Beträgen. n
Literaturverzeichnis:
Die Stimme (1930, 13. März): 25 Proz. Der Spendeneingänge des Keren Kajemeth dieses Jahres haben 86 Selbstkontingentler aufgebracht. - Sind Sie bereits darunter? In: Die Stimme, Jahrgang 3, Nr. 117, 14
Die Stimme (1933, 6. Juli): Versammlung der Fürsorgeräte der Wiener Kultusgemeinde. In: Die Stimme, Jahrgang 6, Nr. 289, 8
Zappert, J. (1928): Das Sonnentagesheim im Augarten. In: Festschrift anlässlich des 25jährigen Bestandes des israelitischen Humanitätsvereines Eintracht. Selbstverlag: Wien, 108-111
Zentralstelle für jüdisch soziale Fürsorge (Hrsg.) (1925): Jüdische Jugendfürsorge. Ein Jahrbuch der Fürsorge für das jüdische Kind in Wien. Selbstverlag: Wien