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Ein Jahr Nahostpolitik unter Barack Obama – eine kritische Evaluierung

Arnold H. KAMMEL

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Bereits vor seinem Amtsantritt hatte der damalige demokratische Präsidentschaftskandidat und Senator von Illinois Barack Obama die Befriedung des Nahostkonflikts zu einer seiner Prioritäten als künftiger Präsident der USA erklärt, auch vor dem Hintergrund der schwierigen Entwicklungen der Verhandlungen von Annapolis. Als gewählter Präsident bekannte er sich dann klar zu Israel und kündigte „aktive und aggressive Schritte" in Richtung Frieden an. Die USA unterstützten immer Israels Selbstverteidigungsrecht, lautete der Tenor seiner ersten Erklärung zur Nahost-Krise seit der Amtsübernahme im Januar 2009. Darüber hinaus forderte er die Hamas auf, den Raketenbeschuss auf Israel zu stoppen. Gleichzeitig verlangte er von Israel, den Truppenabzug aus dem Gazastreifen nach dem dreiwöchigen Gazakrieg zu einem Ende zu bringen.

Jetzt, ein Jahr später, sieht die Realität etwas nüchterner aus. Trotz der guten Worte und positiven Anstrengungen ist es während des ersten Amtsjahres der Regierung Obama weder zur Wiederaufnahme von Friedensverhandlungen gekommen, noch haben sich die Rahmenbedingungen dafür verbessert. Beide Konfliktparteien scheinen wieder in traditionelle, einseitige Verhaltensmuster zurückzufallen.

Ein Rückblick

Neben der ersten Erklärung zur Nahostkrise im Januar 2009 sticht vor allem Obamas Rede in Kairo im Juni 2009 hervor, in der der amerikanische Präsident nicht dem Islam nur seine Hand reichte und diesen als Teil Amerikas bezeichnete, sondern in der er auch in der ungelösten Palästinafrage sowohl die Hamas als auch Israel heftig kritisierte. Zentrale Begriffe, wie das Ende von Terror und Gewalt, ein sofortiger Stopp der Siedlungspolitik und die Zwei-Staaten-Lösung fielen. Als wesentliches Element kündigte Obama eine ausgewogene amerikanische Haltung im Nahostkonflikt an. Als eine seiner ersten Amtshandlungen ernannte er den erfahrenen Diplomaten George Mitchell, um die Jahrtausendwende Leiter einer internationalen Kommission zur Analyse von Ursachen der Gewalt im Nahen Osten, zum US-Nahostgesandten. Damit wurde auch deutlich, dass die neue Administration zur Formulierung der amerikanischen Aussenpolitik auf Erfahrung und Expertise eines Nahostkenners setzen würde. Bereits in seiner Vorstellungsrede äusserte sich Mitchell skeptisch gegenüber dem erklärten Ziel Obamas, die Gespräche zwischen Israel und Palästina wieder in Gang zu bringen. Gleichzeitig stellte er fest, dass sie einer maximalen Anstrengung seitens der USA bedürften und nur deren aktive Beteiligung ein möglicher Schlüssel zu einem gegenseitigen Abkommen sein könne. Mittels vertrauensbildender Massnahmen sollte die Wiederaufnahme von Gesprächen ermöglicht werden. Aufgrund der Parlamentswahlen in Israel und angesichts der neuen, rechtsgerichteten Regierung unter Ministerpräsident Benjamin Netanjahu im März 2009 schien die Chance für einen Neustart des Friedensprozesses schwieriger zu werden. Dennoch gelang es der amerikanischen Administration, ein, wenn auch nur vages, Bekenntnis Netanjahus zu einer Zwei-Staaten-Lösung zu erreichen. Dieser machte jedoch in einer Rede an der Bar-Ilan-Universität im Juni 2009 klar, dass im Gegenzug eine Anerkennung Israels als Staat des jüdischen Volkes durch die Palästinenser erfolgen, das Flüchtlingsproblem gelöst und darüber hinaus die palästinensischen Gebiete entwaffnet und mit strengen Sicherheitsvorkehrungen durch Israel ausgestattet werden müssten. Neben Sicherheitsgarantien und der Bekämpfung des Waffenschmuggels deutete Netanjahu auch einen Stopp des Ausbaus israe-lischer Siedlungen in der Westbank an, wobei jedoch das natürliche Wachstum der Siedlungen gewährleistet werden müsse. Klare Aussagen zur Zwei-Staaten-Lösung vermied jedoch Netanjahu vor allem in Hinblick auf den inneren Zusammenhalt seiner Koalition.

Wenig Vertrauen auf beiden Seiten

Trotz der amerikanischen Anstrengungen, einen Erweiterungsstopp der israelischen Siedlungen zu erzielen, gelang es der Administration Obama jedoch nicht, einen vollständigen israelischen Siedlungsstopp in den besetzten Gebieten zu erzielen. Das im November 2009 von Netanjahu ausgerufene, partielle und auf zehn Monate befristete Moratorium, welches bereits genehmigte Bauvorhaben sowie das gesamte Gebiet von Ost-Jerusalem nicht umfasste, wurde zwar von amerikanischer Seite als wichtiger Schritt angesehen, die Einschränkungen des Moratoriums führten allerdings nicht zu gesteigertem Vertrauen auf palästinensischer Seite. Äusserungen der amerikanischen Aussenministerin Hillary Clinton führten vielmehr dazu, dass das Vertrauen in die ausgewogene Haltung der amerikanischen Administration im Nahostkonflikt vielerorts immer stärker ins Wanken geriet. Die durch Obamas Reden gegenüber der arabischen Welt geweckten Erwartungen mussten der Skepsis und Ernüchterung weichen. Aber auch die arabische Seite leistete weder den Forderungen des Nahostquartetts Folge noch trug sie dazu bei, etwa durch Etablierung von Handelsvertretungen oder Einräumung von Überflugrechten, vertrauensbildende Massnahmen zu setzen. Aus der Kombination des Scheiterns des Annapolis-Prozesses, des Gazakrieges und damit in Zusammenhang stehend den Ergebnissen des Goldstone-Berichts ergab sich eine verfahrene Situation, in der auch die amerikanische Administration im Kernbereich des Friedensprozesses - nämlich der Schaffung vertrauensbildender Massnahmen - nur wenig Konkretes vorweisen konnte. Politische Lösungen waren unerreichbar. Als mageres Ergebnis blieb ein gemeinsames Foto zwischen Palästinenserpräsident Abbas und Premier Netanjahu auf Initiative Obamas am Rande der Generalversammlung der Vereinten Nationen im September 2009. Somit endete das Jahr 2009 ohne bemerkenswerten Durchbruch im Nahostkonflikt. Die Zweifel, ob sich die Administration Obama bei der Formulierung ihrer Prioritäten und Zielsetzungen für den Nahen Osten nicht überschätzt haben könnte, nahmen zu. Obama selbst räumte in einem Interview im Januar 2010 ein, zu hohe Erwartungen geweckt und die Schwierigkeiten in der Region unterschätzt zu haben.

Auswege aus der Krise

Mit Jahreswechsel hat der US-Sondergesandte Mitchell seine Arbeit wieder aufgenommen, um die ins Stocken geratenen Friedensverhandlungen wieder in Gang zu bringen. Dabei sollen, soweit als möglich, die Interessen beider Seiten gewahrt bleiben. Als Ziel wurde ein zweijähriger Prozess zur Lösung des Nahostkonflikts formuliert, ein neuer amerikanischer Zugang zur Thematik lässt sich aber vermissen. Darüber hinaus ist fraglich, inwieweit ein gemeinsamer Ansatz überhaupt erzielt werden kann, nachdem bisher beide Konfliktparteien auf ihren einseitigen Vorstellungen beharren, obwohl beide Bevölkerungsgruppen die Zweistaatenlösung mehrheitlich befürworten. Die innerpalästinensische Spaltung und der Konflikt zwischen der Fatah und der Hamas tragen darüber hinaus auch wenig zu Entwicklung eines gemeinsamen palästinensischen Ansatzes bei. Trotz Vermittlung Ägyptens konnten die Gespräche zu einer nationalen Aussöhnung der beiden Gruppierungen nicht erfolgreich zu Ende gebracht werden. Israels Verhältnis zur Hamas bleibt auch weiterhin angespannt, darüber kann der seit einem Jahr gültige Waffenstillstand zwischen der Hamas und Israel nicht hinwegtäuschen. Israel führt die Entwicklung neuer Abwehrsysteme weiter, um den Beschuss des Landes mit Raketen aus Gaza oder dem Libanon zu unterbinden. Die Rhetorik auf beiden Seiten lässt eine rasche Annäherung illusorisch erscheinen.

Mehr Realismus - weniger Rhetorik

Das erste Amtsjahr von Präsident Barack Obama war in Hinblick auf den Friedensprozess im Nahen Osten nicht unbedingt von Erfolg gekrönt. Wie auch in vielen anderen Bereichen ist die überschwengliche Euphorie nüchternem Realismus gewichen. Fast erweckt es den Anschein, als hätte der Erwartungsdruck die Ausarbeitung einer nachhaltigen Nahostpolitik gelähmt. Selbst der Sondergesandte Mitchell, ein von allen Seiten respektierter Kenner der Situation, konnte hier kaum gegensteuern. Die heuer von ihm gestartete Initiative, beide Seiten an den Verhandlungstisch zu bringen, ist daher bitter notwendig. Es wird allerdings auch erforderlich sein, in den Verhandlungen klare Prioritäten für die künftige Ausgestaltung des Friedensprozesses zu identifizieren und zu definieren. Gerade aufgrund der relativ erfolglosen Bemühungen der Administration Obama  besteht für die anderen drei Teilnehmer des Nahostquartetts die Chance, sich wieder verstärkt in den Friedensprozess einzubringen. Dies kann allerdings nur gelingen, wenn innerhalb des Quartetts der Nahostfriedensprozess zur Priorität der eigenen Politik gemacht wird. Allerdings ist auch klar, dass hierüber ein Konsens innerhalb des Quartetts erzielt werden muss. Ohne die USA wird die Erreichung eines dauerhaften Friedensabkommens nur schwer zu verwirklichen sein. Darüber hinaus muss es vor allem dem Westen gelingen, die Hamas verstärkt in die Bemühungen einzubinden und sie dadurch zum Friedensprozess zu verpflichten. Eine Isolierung der Hamas scheint für den Friedensprozess lähmend, wenn nicht sogar hinderlich zu sein. Damit einhergehend müsste auch die Blockade des Gaza-Streifens aufgehoben werden. Umgekehrt muss die Hamas ihre Position gegenüber Israel grundlegend überdenken und bereit sein, ihre Beziehungen zu Israel neu zu gestalten.

Der nun geringere Erwartungsdruck gegenüber den Fähigkeiten der amerikanischen Administration, den Friedensprozess im Nahen Osten entscheidend voranzutreiben, könnte  sich möglicherweise auch positiv auswirken. Barack Obama ist im Nahen Osten nicht gescheitert - in seinem ersten Amtsjahr wurden die Erwartungen gedämpft. Ein nüchterner Realismus mit Blick auf die Möglichkeiten, wie wieder Bewegung in die Verhandlungen gebracht werden könnte, mag vielleicht mehr zustande bringen, als manch hehre, unrealisierbare Vision.