Béla Guttmann ist eine der grössten Persönlichkeiten der Fussball-Weltgeschichte. Geboren noch Ende des 19. Jahrhunderts in der Doppelmonarchie, war der intelligente und innovative Mann ein Pionier des Profifussballs in Wien, überlebte den Zweiten Weltkrieg und startete nachher eine sehr erfolgreiche Karriere als Trainer. Der Fussball führte ihn auf drei Kontinente rund um den Globus. Guttmann war Techniker und Taktiker, ein Genie auf und neben dem Platz. Die präzise, dem faszinierenden Menschen Guttmann gerecht werdende Biographie des deutschen Soziologen Detlev Claussen führt uns ein aufregendes Leben vor Augen, das auch von zahlreichen Rückschlägen nicht gefeit war.
Herkunft und Wiener Jahre
Béla Guttmann wurde im Jahre 1891 in Budapest geboren. Sein Vater war Abraham Guttmann, ein Tanzlehrer, der einen gewissen sozialen Aufstieg hinter sich hatte, seine Mutter war Eszter. Die ungarischen Juden erkämpften sich nach der ungarischen Revolution 1848/49 und der Judenemanzipation im Habsburgerreich einen gewissen gesellschaftlichen Status. Früh schon wandte sich Guttman dem Fussball zu, jener damals modernen Sportart, die aus England kam, um 1900 rasch auf dem Kontinent Fuss fasste und namentlich Aufsteigerkreise im liberalen Bürgertum begeisterte. Bereits im Jahre 1888 war in Budapest der Verein MTK („Magyar Testgyaglok Köre") gegründet worden. Die österreichisch-ungarische Rivalität fand ihren Niederschlag bald auch in den neu entstehenden Stadien, Städtespiele zwischen Wiener und Budapester Auswahlen waren bald auch unter der Arbeiterschaft beliebt. Guttmann kam nach dem Ersten Weltkrieg als Spieler zu MTK, einem Klub, dem von 1919 bis 1940 ein Jude namens Alfred Brüll vorstand. Brüll wurde von den Nazis ermordet.
MTK pflegte einen offensiven Stil und war ein weltoffener, bürgerlicher Verein. Trainer war der legendäre Engländer Jimmy Hogan aus Lancashire, ein Mann mit irischen Wurzeln, der später in Deutschland, Österreich und der Schweiz grosse Erfolge feierte und die fussballbegeisterten Ungarn das schottische Kurzpassspiel lehrte. Guttmanns spätere Trainerphilosophie war wesentlich beeinflusst von Hogans Stil und Gedankengut. Als Österreich 1924 den Profifussball einführte, standen dem begabten Béla Guttmann sämtliche Türen für eine Karriere als Fussballer offen. Guttmann hatte noch 1924 als Amateur am Olympischen Fussballturnier teilgenommen, wurde aber noch im selben Jahr Profi. Die Wiener Profiliga zog viele Ungarn und Tschechen an, Wien war eine der Hauptstädte des europäischen Fussballs. Unter dem genialen Trainer Hugo Meisl pflegten Klubs und Landesauswahl das sogenannte „Scheiberlspiel", einen technisch hochstehenden, schnellen Fussball, der Guttmann entgegenkam.
Guttmann spielte seit 1922 für die Hakoah, einen Klub von und für Juden. Der Verein war im Jahre 1909 als polysportiver Klub gegründet worden und sollte zur Stärkung jüdischer Körper beitragen, die von Antisemiten oft als gebrechlich, ja krank beschrieben wurden. Hakoah war ein wichtiger Pfeiler im wienerisch-jüdischen Kulturleben. Guttmann spielte stark, war ein Antreiber im Mittelfeld. Mit Hakoah wurde er auf Anhieb Meister, setzte sich gegen die Konkurrenz Rapids und der Amateure (die spätere Austria) durch!
Um sich zu finanzieren, lancierten die besten Teams der damaligen Zeit Auslandsreisen, so auch die Hakoah, die unter anderem in den USA spielte und dort auf grosse Resonanz stiess. Guttmann liebte diese Reisen, er war offen für neue Sprachen und Kulturen, so dass er in der neu entstandenen amerikanischen Profiliga anheuerte. Er spielte von 1926 bis 1928 erfolgreich für die damaligen New York Giants. Nach dem Zusammenbruch der Profiliga in der Weltwirtschaftskrise organisierte er eine New Yorker Hakoah-Meisterschaft und tourte 1930 mit den Hakoah All Stars durch Südamerika. - Nachdem er seine Spielerlaufbahn beendet hatte, trat Guttmann 1935 seine erste Trainerstelle in den Niederlanden beim FC Twente Enschede an, im Jahre 1939 fungierte er nach der Flucht aus Österreich, wohin er zuerst zurückgekehrt war, als Coach von Ujpest Dosza. Guttmann gewann die Meisterschaft und auch den damals äusserst populären Mitropa-Cup, einen Wettbewerb, an dem Vereinsmannschaften aus Österreich, Ungarn, Deutschland, Italien, Jugoslawien und der Schweiz teilnahmen und der die Dominanz Mitteleuropas im damaligen Weltfussball unterstrich.
Kriegszeit und Trainerlegende
Claussens akribisch recherchierte Biographie verzeichnet eine Leerstelle: Es ist nicht bekannt, wie Béla Guttmann die Shoah überlebte. Ungarn kannte einen virulenten Antisemitismus, dem die meisten Juden zum Opfer fielen. Claussen vermutet, dass Guttmann den Krieg im Untergrund überlebte, kann aber auch nicht ausschliessen, dass der Trainer seine Kontakte ausnützte und in die USA oder nach Südamerika emigriert war. Schon 1945 amtete Guttmann wieder als Trainer bei Vasas Budapest. Er wechselte dann nach Rumänien zu Ciocanul Bukarest, ehe er 1947 mit Ujpest Dosza erneut grosse Siege feiern konnte, später Kispest betreutet und zusammen mit Gustav Sebes und Marton Bukovi das ungarische „Fussballwunder" einläutete. Die Nationalmannschaft Ungarns mit Spielern wie Nandor Hidegkuti, Sandor Kosics, Ferenc Puskas und Joszef Boszik (die beiden Letzteren hatte Guttmann ausgebildet) blieb jahrelang unbesiegt, gewann im Wembley als erstes kontinentaleuropäisches Team gegen England (6:3), verlor aber ausgerechnet 1954 den WM-Final im Wankdorf-Stadion zu Bern gegen Deutschland.
In der entstehenden stalinistischen Diktatur wurde es ihm jedoch zu eng, so dass er 1949 das Land verliess und in Italien bei Padova Calcio Fuss fasste. Er lernte erstmals Intrigen durch Presse und Vereinsführung kennen und wurde entlassen. Später rettete er die US Triestina vor dem Abstieg, wurde abermals entlassen und wirkte in Zypern. 1953 reiste er nach Südamerika, wo er den zweitklassigen Verein Quilmes trainierte, kehre aber bald nach Europa zu Milan zurück, wo er Topstars wie den Uruguayer Juan Schiaffino und die beiden Schweden Gunnar Nordahl und Niels Liedholm zur Perfektion führte. Trotz Erfolges abermals entlassen, betreute er die ungarische Exilmannschaft, die sich 1956 nach der Niederschlagung des ungarischen Aufstandes konstituiert hatte. Viele Spieler, unter ihnen auch Puskas und Kosics, fanden dank der Vermittlung Guttmanns eine Anstellung bei Topteams wie Real Madrid und Barcelona. Im Jahre 1957 wurde Guttmann erneut vom Reisefieber gepackt und übernahm den FC São Paolo, wo er stilbildend für den brasilianischen Fussball wirkte (4-2-4-System) und somit das Fundament für den ersten Weltmeistertitel der „Seleçao" von 1958 um den jugendlichen Star Pelé legte.
Im selben Jahr schon kehrte der ruhelose Guttmann nach Europa zurück, nach Portugal, wo er den FC Porto trainierte und auf Anhieb die Meisterschaft gewann. Daraufhin verpflichtete Portos ewiger Rivale Benfica Lissabon den Meistercoach. Mit Benfica feierte Guttmann seine grössten Erfolge, indem er Serienmeister wurde und auch den europäischen Meistercup gewann (1962 5:3 gegen Real Madrid). Dieses Spiel war eine Wachablösung und gilt vielen Experten noch heute als eines der besten, die es je gab. Guttmanns Starspieler war der afrikastämmige Eusebio. Guttmann pflegte einen offensiven Stil, der sich in Spektakel ausdrückte. Er konnte gut umgehen mit den Angehörigen ethnischer Minderheiten, Aussenseitererfahrungen waren ihm ja nicht fremd
Trotz seiner immensen Erfolge und eines guten Gehalts wechselte Guttmann erneut, sein Leben war seltsam unstet. Noch einmal in Südamerika angelangt, coachte er Penarol Montevideo, eine der ganz grossen Nummern des Weltfussballs. Als österreichischer Nationaltrainer war ihm aber später ebenso wenig Glück beschieden wie nach der Rückkehr nach Portugal. Zum Scheitern verurteilt waren auch seine letzten Stationen in Athen und Genf sowie in Wien und Porto. Im Jahre 1973 trat Guttmann zurück, nur acht Jahre später starb er in Wien, wo er auf dem Zentralfriedhof begraben liegt.
Jahre nach seinem Tod versteigerte ein Auktionshaus die vielen Souvenirs und Pokale Béla Guttmanns. Die Erinnerung an den glänzenden Fussballer und charismatischen Trainer ist längst verblasst. Sein aufregendes, unstetes Leben ist gekennzeichnet von Brüchen, Einschnitten und grossem Engagement, dem Grundgefühl, nicht aufgeben zu dürfen. Nicht zuletzt ist sein Leben untrennbar verbunden mit dem „Zeitalter der Extreme" (Eric Hobsbawm), das ihn mehr als einmal fliehen liess.
Literatur:
Betz, Susanne Helene, Monika Löscher und Pia Schölnberger (Hg.). „ ... mehr als ein Sportverein". 100 Jahre Hakoah Wien 1909-2009. Innsbruck, Wien und Bozen 2009.
Brenner, Michael (Hg.). Emanzipation durch Muskelkraft. Juden und Sport in Europa. Göttingen 2006.
Bunzl, John. Hoppauf Hakoah. Jüdischer Sport in Österreich von den Anfängen bis zur Gegenwart. Wien 1987.
Claussen, Detlev. Béla Guttmann. Weltgeschichte des Fussballs in einer Person. Berlin 2006.
Koller, Christian und Fabian Brändle (Hg.). Fussball zwischen den Kriegen. Europa 1918-1939. Münster 2010.
Marschik, Matthias und Doris Sottopietra. Mitropa. Konzept und Realität der Bewahrung Mitteleuropas im Sport. Wien 1999.
Schulze-Marmeling, Dietrich (Hg.). Strategen des Spiels. Die legendären Fussballtrainer. Göttingen 2005.
Schulze-Marmeling, Dietrich (Hg.). Davidstern und Lederball. Die Geschichte der Juden im deutschen und internationalen Fussball. Göttingen 2009.