Was wurde nach 1933 aus den (teils jüdischen) Frauen des Bauhauses, fragte eine Tagung in Dessau. Und betrat damit beklemmend unerforschtes Terrain.
Legendär fortschrittlich war die Kunst des Bauhauses. Und legendär rückschrittlich sein Frauenbild: Als die Weimarer Verfassung 1919 die Gleichstellung von Frau und Mann verordnet, öffnen die deutschen Kunstakademien peu à peu ihre Tore für Studentinnen. An der weltweit meistzitierten deutschen Kunstschule aber, dem fast zeitgleich konstituierten Weimarer Bauhaus, geraten Gründungsvater Walter Gropius und seine Mannen ins Grübeln. Wie könnte man die Zahl der Bewerberinnen minimieren, besser noch, auf null reduzieren? Anfangs ist mehr als die Hälfte der Studierenden weiblich, später rund ein Drittel.1 Laut Gründungsmanifest wird „jede unbescholtene Person" aufgenommen, „ohne Rücksicht auf Alter und Geschlecht"2. Doch nicht nur Meister Johannes Itten argwöhnt, Frauen seien des dreidimensionalen Sehens gar nicht mächtig, für Architekturkurse schlicht ungeeignet. „Wo Wolle ist, ist auch ein Weib"3, witzelt Formmeister Oskar Schlemmer, angeblich. Und so werden viele Schülerinnen in kunsthierarchisch mindergeschätzte Webkurse verbannt, Lehrerinnen geringer entlohnt.
Otti Berger im Bauhaus Dessau, September 1932, Foto: Gertrud Arndt, Stiftung Bauhaus Dessau.
Eine nahezu wilhelminisch-restriktive Geschlechterpolitik stand in der vermeintlich liberalen Weimarer Republik freilich nicht nur am Bauhaus an der Tagesordnung. Bei der von Weimar nach Dessau nach Berlin verzogenen und 1933 geschlossenen Kunststätte indes hinterlässt die Liebe zur Frauenexklusion bis heute Spuren. Das zumindest zeigte Ende Oktober 2011 eine Tagung in Deutschland. Unter dem wunderbar vieldeutigen Titel „Entfernt: Frauen des Bauhauses während der NS-Zeit" wurde sie von der Arbeitsgemeinschaft „Frauen im Exil" der Gesellschaft für Exilforschung e.V. gemeinsam mit der Stiftung Bauhaus Dessau an einprägsamem Ort veranstaltet - in Gropius‘ Dessauer Bauhaus-Gebäude. Wer auf den designhistorisch durchschlagenden Klappsitzen platznahm, erfuhr in 17 Vorträgen von international renommierten Wissenschaftler/innen vielerlei Verdrängtes und Unbekanntes: Über den erheblichen Anteil von Frauen bei Aufbau und Selbstvermarktung der Kunstschule, über Lebens- und Leidensweg jüdischer und nicht-jüdischer, emigrierter und daheimgebliebener Bauhäuslerinnen. Parallelen und Verflechtungen wurden sondiert, die aufdringlichste Gemeinsamkeit rasch eruiert: Abgesehen von Ausnahmen wie der stellvertretenden Metallwerkstatt-Leiterin Marianne Brandt, der wichtigsten Bauhaus-Fotografin, Lucia Moholy oder der einzigen Jungmeisterin, der Textildesignerin Gunta Stölzl, wird das Gros der Bauhäuslerinnen bis heute mit Ignoranz gestraft. Wolfgang Thöner (Dessau/D), Leiter der Bauhaus-Sammlung, listete eine ganze Riege von Bauhäuslerinnen auf, deren (Teil-)Nachlässe nahezu unberührt in Archiven schlummern.
Verschüttete Geschichte
Lückenhaft ist vor allem das Wissen um die Bauhaus-Emigrantinnen: „Die Exilforschung zum Bauhaus hat kaum begonnen", bestätigte Magdalena Droste (Berlin/D). Sie halte „noch unendlich viele Geschichten vergessener Künstlerinnen bereit". Der frauenzentrierte Blick der Tagungs-OrganisatorInnen Adriane Feustel (Berlin/D), Inge Hansen-Schaberg (Rotenburg/D) und Wolfgang Thöner (Dessau/D) mag manchem den vorschnellen Vorwurf eines antiquiert separatistischen Siebziger-Jahre-Denkens entlocken. Wäre es nicht aufschlussreicher, die Biographien jüdischer Bauhäuslerinnen mit denen ihrer jüdischen Kollegen zu vergleichen? Gewiss. In einem zweiten Schritt. Denn nicht bloss Drostes Vortrag verbildlichte, dass die verschütteten Frauenleben überhaupt erst einmal verortet werden müssen. Daran aber bestehe zunehmend weniger Interesse, glaubte Droste: Zwar brächten die Cultural Studies frischen Wind in die Exil-Forschung. Frauenviten würden dabei allerdings zunehmend weniger bedacht. Bis heute sei nicht einmal „belastbar" erforscht, wie viele Frauen überhaupt am Bauhaus weilten und wirkten, wie viele Bauhäuslerinnen von den Nazis ermordet wurden. Letzteres gelte gleichermassen für die männlichen Kollegen.
Blockiertes Erbe
Bereits 1963 war ein Forschungsprojekt zu den jüdischen Facetten des Bauhauses angedacht. Aber kein geringerer als Walter Gropius blockierte es laut Droste. Überhaupt geriet das Thema Antisemitismus schnell zum roten Faden der Tagung: Wenngleich das Bauhaus kein Hort ausgemachter AntisemitInnen war, kam es vereinzelt schon in den frühen 1920er Jahren zu antijüdischen Anfeindungen: Die Keramikerin Grete Heymann(-Loebenstein) etwa brach ihr Studium ab, um den misogynen, judenfeindlichen Äusserungen ihres Meisters Gerhard Marcks zu entrinnen. Ursula Hudson-Wiedenmann (Hurstpierpoint/GB) präsentierte Heymanns Rezeptionsgeschichte als „eindrucksvolles Lehrstück politischer Geschichte und Moral im 20. Jahrhundert": 1923 gründet Heymann im Norden Berlins die Haël-Werkstätten. Rasch fährt sie ungewöhnliche Erfolge ein. Und ebenso rasch verliert sie alles: 1936 zwingen die Nazis sie ins britische Exil. Nie mehr wird sie an die einstigen Erfolge anknüpfen. Doch als vor wenigen Jahren ans Licht kommt, dass der von der späteren DDR-Kultkeramikerin Hedwig Bollhagen übernommene Betrieb per Zwangsverkauf die Besitzerinnen wechselte, war das 2007, angesichts der Bollhagen-Jubiläums-Ausstellung, noch immer ein Tabu: Von „höchsten bundes- und landespolitischen Stellen", so Hudson-Wiedenmann, sei man dagegen vorgegangen, die bis dato makellose Biographie der Vorzeige-Keramikerin Bollhagen um ihre dezent bräunlichen Gedächtnislücken zu ergänzen. Heymanns Rehabilitation indes schien sekundär.
„Eine Schweinerei" zu notieren, hatte auch Textildesignerin Gunta Stölzl. Sie hatte die Bauhaus-Weberei massgeblich aufgebaut, findet nun aber, eines Morgens, ein Hakenkreuz an ihre Tür geschmiert. 1931 wird Stölzl - u.a. wegen ihrer linkspolitischen Haltung und ihrer Ehe mit Arieh Sharon - regelrecht „aus dem Bauhaus gemobbt", so Anja Baumhoff (Loughborough/GB). Dennoch werde Stölzl bis heute nicht unter den politischen Flüchtlingen aufgeführt. Dass Stölzl trotzdem zu den wenigen bessererforschten Bauhäuslerinnen zählt, ist einer Verkettung von Glücksfällen zu verdanken. Stölzl gehört zu den rar gesäten Emigrantinnen, denen eine zweite Karriere gelang, und konnte deshalb ein über den Tod hinaus wirkendes Netzwerk bilden. Obendrein - und dieser Faktor ist nicht zu unterschätzen - baute sie ihr zweites Leben in Zürich auf: Im Gegensatz zu den transatlantischen Exilantinnen, war ihr Nachlass daher für die deutschsprachige Forschung leichter zu erschliessen. Topographisch und sprachlich.
Zäsur und Neuanfang
„Du denkst doch nicht etwa, dass eine Frau ein Haus bauen kann", schrieb die Architektin Zsuzsanna Bánki - als Architektin habe eine Frau noch weniger Chancen als als Ärztin. 1932 wegen ihrer Nähe zur Kommunistischen Studentenfraktion des Bauhauses verwiesen, kämpft sich Bánki tapfer durch die männerdominierte Architekturwelt. Kurzzeitig führt sie in ihrer Heimat Ungarn ein kleines Innenarchitektur-Büro. Dann kommen die Nazis. 1944 ermorden sie sie. Dekadenlang steht Bánkis verhinderte Rezeptionsgeschichte exemplarisch für dutzende Bauhäuslerinnen: Jedes Dokument, jeder Brief, jede Erinnerung scheint verloren. Aber das Blatt wendet sich: Ihre Nichte, die Kunsthistorikerin Esther Bànki (Texel/NL), findet einen Karton mit Briefen. In mühseliger Kleinarbeit rekonstruiert sie Lebens-Stationen ihrer Tante und präsentierte sie nun erstmals in Dessau.
„Es gibt alte Menschen, die werden stumm. Und es gibt solche, die reden. Und dazu gehöre ich", begründete die 93-jährige Autorin Hedwig Brenner ihr mittlerweile auf vier Bände angewachsenes Lexikon „Jüdische Frauen in der bildenden Kunst". Eigens aus Haifa war sie zur Tagung angereist. Und so bleibt zu fragen, wie alt die Forschung werden muss, bevor auch sie ausführlicher zu reden beginnt - über die teils vor, teils „erst" nach 1933 demontierten Bauhaus-Frauen. Der Anfang ist längst gemacht. Viele Tagungs-Referentinnen arbeiten seit Jahren mit Hochdruck an der Rehabilitation von Bauhäuslerinnen. „Die ‚neue Frau‘ bricht auf" kommentierte Tagungsinitiatorin Inge Hansen-Schaberg ihr auserkorenes Tagungsfoto. Es zeigt die Textil-Designerin Otti Berger am Ende der Dessauer Bauhaus-Ära melancholisch durch ein Kunstschul-Fenster blickend. Manchmal berge das Ende die Chance auf Neuanfang, so Hansen-Schaberg. Manchmal. Gertrud Arndt, die Fotografin des Portraits, durfte die Wiederentdeckung ihres Œuvre hochbetagt miterleben. Otti Berger indes blieb chancenlos. Sie starb 1944 in Auschwitz.
Ein Tagungsband mit gleichnamigem Titel wird von Adriane Feustel, Inge Hansen-Schaberg und Wolfgang Thöner herausgegeben und als Band 5 der Reihe „Frauen und Exil" im Herbst 2012 in der edition text + kritik in München erscheinen.
1 Grundlegend hierzu: Baumhoff, Anja, The gendered world of the Bauhaus: The politics of power at the Weimar Republic' s premier art institute, 1919 - 1932. Frankfurt am Main u. a. 2001
2 Nachdruck in: Conrads, Ulrich: Programme und Manifeste zur Architektur des 20. Jahrhunderts. Braunschweig, Wiesbaden 1975, S. 47-50
3 Zit. n. Müller, Ulrike: Bauhaus-Frauen. Meisterinnen in Kunst, Handwerk und Design. München 2009, S. 10.