Ausgabe

Hep-Hep-Unruhen und Krawalle gegen ­Juden um 1819

Věra Leininger

Einige Aspekte aus der Geschichte

Inhalt

Als im August 1819 die berüchtigten „Hep-Hep“-Zurufe durch Würzburgs Strassen erklangen, und damit eine über Monate aufflackernde gewalttätige Angriffswelle gegen Juden im Deutschen Staatsverbund und den angrenzenden Ländern begann, hatte Europa gerade die Napoleonischen Kriege und regionale Krisen hinter sich, eine in ihrer Bedeutung kaum einzuschätzende Umwälzung der Industriellen Revolution vor sich, aber weder Stabilität noch soziale Ruhe gefunden. Die Jahre von 1816 bis 1818 waren von Unwettern mit Hagel, Überschwemmungen, langen Wintern und schlechten Ernten sowie einer Teuerung aller Lebensmittel geprägt. Vor diesem Hintergrund schritt die Politisierung der breiteren Schichten der Bevölkerung in einem ungebremsten Prozess voran; das revolutionäre Bewusstsein, wenn man den Polizeiberichten glaubt, ergriff die ganze Gesellschaft. Die staatlichen Autoritäten verhandelten vergeblich ihren Wunsch nach Ruhe und Konsolidierung.

Zugleich wurde in der politisch interessierten Gesellschaft beobachtet, dass mit der Gestaltung der bürgerlichen Rechte auch die Forderung nach der Gleichberechtigung der Juden verbunden war. Der Gleichberechtigungsprozess dauerte bis in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts und erlitt etliche Rückschläge (auch danach), aber die bürgerlichen Rechte der Juden waren immerhin seit dem 18. Jahrhundert in verschiedenen Ländern und Regionen eingeführt – obwohl praktisch kaum umgesetzt. In Würzburg hatte der bayerische König den Juden die Gleichstellung 1813 gewährt – ein Jahr nach Preussen und vier Jahre nach Baden, aber noch 1815, also etwa 30 Jahre nach den Toleranzpatenten Josephs II., wurde die Gleichberechtigung für Juden während des Wiener Kongresses nur „in Aussicht gestellt“.

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Ziel der Hep-Hep-Krawalle waren oft die Geschäfte und Warenhallen der jüdischen Handwerker und Händler. Das Gemälde der Autorin zeigt das Kotzen (Markt-) Gebäude in der Prager Altstadt.
V. Leininger 2018, mit freundlicher Genehmigung.

So sehr man sich um neue politische Konzepte bemühte, so klassisch zeigen die Hep-Hep-Unruhen einen fast mittelalterlichen Verlauf. In Würzburg, wo die Stimmung gegen Juden aufgrund der finanziellen Erfolge einiger jüdischer Familien der Stadt aufgeheizt war, hatte seit dem Frühjahr 1819 eine Diskussion der bayerischen Ständeversammlung über die Revision des Judenedikts stattgefunden, und in den Zeitungen wurde sie reflektiert. Am Abend des 2. August 1819 rief der Angriff der Studenten und Bürger auf einen Befürworter der Judenemanzipation einen Tumult hervor. Die Menschenmenge begann, Läden, Lager- und Wohnhäuser zu zerstören und Juden zu drangsalieren. Als einen Tag später ein Randalierer erschossen wurde, eskalierte die Situation. Die Aufständischen forderten, die Juden der Stadt zu verweisen; der Stadtrat gab nicht nach; viele Juden flohen in die umliegenden Dörfer.

 

Ausbreitung über Europa

Erst nach drei Tagen gelang es der Armee, die Situation unter Kontrolle zu bringen. Die Hetze in der Presse, Drohbriefe und Mordaufrufe gegen Juden und „Judenfreunde“ hielten an. Der Stadtrat verhielt sich ambivalent; um „Ordnung“ herzustellen, schloss er einige jüdische Läden, zugleich sollten die Verbreiter der Drohungen bestraft werden. Die Vermieter kündigten aus Angst vor Brandstiftern ihre jüdischen Mieter, und die Dörfer weigerten sich, Juden aufzunehmen. Entgegen den Karlsbader Beschlüssen, in denen die Vertreter der Länder des Deutschen Bundes fast zeitgleich mit dem Ausbruch der Unruhen einen Plan zur Überwachung liberaler und nationaler Tendenzen in der Zeit nach Napoleon diskutierten und somit auch die antijüdischen Ausschreitungen zu unterbinden anstrebten, griffen die Gewaltexzesse mit Hep-Hep-Aufrufen auf weitere Städte und Orte über.

Zeitungen verbreiteten Berichte über die Krawalle. Eine Flut an Pamphleten, Hetzbriefen, Beschwerden, Äusserungen und Anträgen gegen Juden und gegen die Befürworter der Gleichberechtigung beschäftigte die Behörden. Eine Welle von Angriffen gegen Juden ging durch die Städte in Oberfranken, Hessen, die Oberpfalz, Baden und das Rheinland bis nach Hamburg und Lübeck. Im Herbst 1819 folgten Ausschreitungen auch in den protestantischen Städten Preussens, weiters in Amsterdam, Kopenhagen, Prag, Graz, Wien, Krakau, Breslau, Danzig und Riga und weiteren Städten Ost- und Nordeuropas.

An den Unruhen waren Studenten, Handwerker und Händler beteiligt. Die Anstifter lassen sich – neben den Gilden und Zünften – eben auch in studentischen Kreisen vermuten, möglicherweise als Ideenträger. Die wirtschaftlichen Aspekte entsprechen einem Interessensmuster, aber zu bedenken ist, wie sich beispielsweise in Prag und Krakau zeigte, dass die Gewalt auf der Strasse nicht unbedingt Vorteile für die christlichen Gewerbetreibenden brachte. Die politische Macht der katholischen Geistlichen war zu jener Zeit gering – unabhängig davon, dass die Unruhen auch in den protestantischen Gegenden stattfanden. Man bediente sich dennoch auch während der Hep-Hep-Unruhen der alten religiösen Vorwürfe gegen Juden. Zugleich scheint aber die Mobilisierung der Studenten wichtig gewesen zu sein. Die Gründung der studentischen Burschenschaften, gerade auch in Würzburg, fällt in den gleichen Zeitabschnitt, nämlich in die Jahre 1815-1818.

 

Hep-Hep

Auf den Flugblättern, die zum „Handeln“ aufriefen, standen Parolen wie „Hepp, Hepp, der Jude muss in Dreck oder – Jude verreck“. Der bisher nicht geklärte Ursprung des Aufrufs Hep-Hep könnte daher einen Hinweis bieten. Einige Historiker (wie auch bereits die Gebrüder Grimm) behaupten, der Aufruf Hep-Hep sei zufällig entstanden, als Zuruf auf Ziegen (was Juden mit ihren Bärten assoziieren sollte). Dagegen scheint die Meinung der Zeitgenossen der Unruhen, wie unter anderem der Berliner Schriftstellerin Rachel Varnhagen, dass H.E.P. die Anfangsbuchstaben des lateinischen Spruches „Hierosolyma est perdita“ – „Jerusalem ist besiegt“, seien, wahrscheinlicher. Dieses Zitat stammt von Josephus Flavius und bezieht sich auf die Zerstörung des Zweiten Tempels durch die Römer – und ist als Variante in den Kreuzzugsberichten des Mittelalters zu finden. So ist es auch in das umfassende historische Werk des „Grossvaters“ der modernen jüdischen Geschichtsschreibung Heinrich Graetz um 1872 aufgenommen worden. Die aktive ideologische Rolle der Übergriffe seitens der studentischen Vereinigungen müsste also in Hinblick auf ihre Vorliebe für lateinische Parolen untersucht werden.

Auch wenn die Übergriffe von Ort zu Ort unterschiedliche Dimensionen von Gewalttätigkeit annahmen: die Gemeinsamkeiten lassen sich nicht bestreiten. Ein Vergleich mit den Verfolgungen der Juden im Mittelalter und in der Ukraine respektive Osteuropa im 17. Jahrhundert lässt sich schwer ziehen, in ihrer überregionalen Verbreitung waren die Hep-Hep-Krawalle ein Novum des 19. Jahrhunderts. Sie markieren das Auslaufen des religiös initiierten Antijudaismus, der sich mit dem beginnenden, noch nicht rassistisch, aber sehr wohl politisch motivierten Ideologien verbindet und die Grundlage für den später rassistisch orientierten Antisemitismus bildet.

 

Zum Weiterlesen:

Battenberg, F.: Das Europäische Zeitalter der Juden:
Zur Entwicklung einer Minderheit in der nichtjüdischen
Umwelt Europas. Bd. II: Von 1650 bis 1945, Darmstadt 2007.

Graetz, H.: Die Hep-Hep-Krawalle von 1819, Bd. 11, 1900 (2).