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Den Islam in Österreich im besten Sinne vorleben Ümit Vural, Präsident der IGGÖ, im Gespräch

Schlomo Hofmeister

Inhalt

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Der Präsident der Islamischen ­Glaubensgemeinschaft in Österreich, Mag.iur. Ümit Vural.
Foto: Yilmaz Pece, mit freundlicher Gemehmigung: IGGÖ.

DAVID: Herr Präsident Vural, Sie sind nun seit einem halben Jahr Präsident der Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich. In den vergangenen Monaten hatten Sie vielleicht die Möglichkeit, neue Einblicke und Perspektiven zu gewinnen. Was ist Ihrer Einschätzung nach die grösste aktuelle Herausforderung für Muslime in Österreich?

Ümit Vural: Der anti-muslimische Rassismus ist die grösste Herausforderung. Aber nicht nur für unsere Institution, sondern für die hunderttausenden MuslimInnen, die diesen Rassismus täglich erleiden müssen. Am schlimmsten aber ist der Umstand, dass diese Hetze gegen MuslimInnen im Grunde als Kavaliersdelikt behandelt wird. Das schmerzt besonders und erschwert ein „Wir“-Gefühl in unserem Land.

DAVID: Die IGGÖ repräsentiert sowohl die sunnitischen, als auch die schiitischen Muslime in Österreich, sowohl die Muslime mit türkischen, bosnischen und arabischen Wurzeln als auch Muslime aus dem Iran, aus Pakistan und Indonesien. Ist bei dieser Heterogenität der Muslimischen Gemeinschaft in Österreich die religiöse oder die kulturelle Verschiedenheit die grössere Herausforderung?

Vural: Sie ist eine Herausforderung und doch auch ein besonderer Reichtum und ein Geschenk G‘ttes. Stellen Sie sich vor: Ich darf mit schiitischen Geschwistern und mit sunnitischen Geschwistern gemeinsam beten, bin mit kurdisch-stämmigen, nigerianischen und pakistanischen Geschwistern in Kontakt. So lange wir als Muslime nicht vergessen, was unser gemeinsames Bestreben ist, und zwar den Islam in Österreich im besten Sinne vorzuleben, ist unsere Diversität ein Reichtum, den wir nutzen müssen.

DAVID: Bereits einen Tag nach Ihrer Wahl im Dezember 2018 titelten verschiedene Medien: „Neuer IGGÖ-Präsident Vural ein Milli Görüs Mann“. Wenig später wurden Sie als Parteigänger des türkischen Präsidenten Erdoğan bezeichnet, und von rechtsextremen Medien wird Ihnen eine Nähe zur Moslembruderschaft unterstellt. Abgesehen davon, dass sich diese drei politischen Affiliationen jeweils gegenseitig ausschliessen würden und daher so gar nicht stimmen können – haben Sie eine Erklärung dafür, woher dieses dringende Bedürfnis herrührt, Ihnen einen dieser plakativen Stempel aufdrücken zu wollen?

Vural: Ich denke, es gibt ein obsessives Bedürfnis, in der öffentlichen Debatte Muslime in Schubladen zu stecken. Und zwar in keine wohlwollenden. Leider hat sich bei mir der Verdacht erhärtet, dass jeder Muslim, der in der Öffentlichkeit ist und Kritik übt, sofort und systematisch attackiert wird. Aber eben nicht in der Sache. Wenn ich also sage, dass die anti-muslimische Hetze ein Übel ist, gibt es leider Stimmen, die dann reflexartig sagen, ich sei ein Bösewicht.

DAVID: Es wird immer wieder behauptet, für Muslime gelte das Islamische Recht mehr als das Staatsrecht. Die Scharia sei also dem österreichischen Straf- und Zivilrecht übergeordnet und somit könne ein guter Moslem kein guter Staatsbürger sein. Wie begegnen Sie derartigen Vorwürfen?

Vural: Für alle Menschen gilt unsere Bundesverfassung. Wer daran zweifelt, ob Muslim oder nicht, wird durch unseren Rechtsstaat daran erinnert werden, was nun wirklich gilt. Der Islam bietet einen Wertekanon, und ich denke, dass die Essenz dieses Kanons in den zivilisierten Rechtsstaaten einen Ausdruck gefunden hat. Unsere Herzen gehören G‘tt, doch unsere Pflicht ist es, den Menschen zu dienen. Und das geht in einem Rechtsstaat, der die Religionsfreiheit der Muslime ja garantiert, zweifelsfrei.

DAVID: Was bedeutet für Sie der von Rechtspopulisten immer wieder bemühte Begriff „Politischer Islam“, und welche Assoziationen und Gefühle erweckt er in Ihnen?

Vural: Ein Kampfbegriff, der am liebsten gegen jene Muslime eingesetzt wird, die sich gegen Diskriminierungen und Rassismus einsetzen. Wer gegen das Kopftuchverbot und damit gegen die Aufhebung der Religionsfreiheit für Musliminnen ist, wird dann automatisch als Vertreter des „politischen Islam“ diffamiert. Gerade unsere Fachtagung im März zum Begriff des „politischen Islam“ war da ein wichtiger, erster Schritt, um den Begriff den Fängen der Populisten zu entreissen. Am Ende der Tagung hat mir besonders die Aussage des Vizekanzlers a.D. Dr. Erhard Busek gefallen, der meinte: „Verwenden wir diesen Begriff am besten gar nicht, denn er ist inhaltsleer.“ Ich kann den Muslimen nur raten, sich nicht einschüchtern zu lassen. Wer Bürger dieses Landes ist und sich gegen Diskriminierung und für Gleichberechtigung einsetzt, ist nicht nur kein „Islamist“, im Gegenteil: er oder sie sind wichtige, engagierte Bürger und Bürgerinnnen.

DAVID: Welche Rolle spielen Ihrer Meinung nach die dortigen Religionen im israelisch-palästinensischen Konflikt?

Vural: Einen scheinbar grossen oder gar entscheidenden, aber ich bin der Meinung, es ist nur vorgeschoben. Es geht um Politik. Wir sind Religionsvertreter und müssen daher einmahnen, dass Religion niemals politisch instrumentalisiert wird. Ein entscheidender österreichischer Beitrag wäre daher, wenn österreichische Juden und Muslime gemeinsam für einen wahren Frieden im Heiligen Land einstehen. Einen Frieden, der nicht auf Kosten von Palästinensern oder Israelis geht, sondern beiden Seiten ein Leben in Würde und Frieden ermöglicht.

DAVID: Die Islamische Glaubensgemeinschaft in Österreich hat im Mai 2019 bemerkenswerter Weise als erste muslimische Organisation in Europa, gefolgt von vielen anderen, die Arbeitsdefinition der International Holocaust Remembrance Alliance (IHRA) zum Begriff „Antisemitimus“ unterschrieben. Geradezu reflexartig wurde das notorische Totschlagargument in den Raum gestellt, dies sei alles nur „Taqiya“, also die notorische, islamfeindliche Propaganda einer angeblich im islamischen Gesetz gerechtfertigten Lüge als Strategie zur Täuschung des Gegners. Wie gehen Sie mit derartigen Unterstellungen um?

Vural: Ich lasse mich auf solch stumpfsinnige Diskus­sionen gar nicht mehr ein. Wir Muslime in Österreich sind Opfer tagtäglicher Diskriminierung, die kaum Konsequenzen nach sich zieht. Wir wissen also, wie schmerzhaft es ist, wenn man nur aufgrund seiner Religion diskriminiert wird. Daher ist es nur gut und richtig, wenn wir vor diesem Hintergrund nicht unsere jüdischen Menschen, nur aufgrund ihrer Religion, diskriminieren würden. Man soll und darf sich kritisch mit der Lage der Palästinenser auseinandersetzen, aber dafür braucht es eben keine antisemitischen Untertöne. Im Gegenteil: keinem Palästinenser ist geholfen, wenn man sich nicht klar gegen Antisemitismus einsetzt. Wenn wir diese beiden Dinge in dieser Form differenzieren können, sind wir schon einen Riesenschritt weiter.

DAVID: Wenn Sie die Möglichkeit hätten, im Nationalrat eine neue Gesetzesinitiative im Interesse der Muslime in Österreich einzubringen, was wäre diese?

Vural: Ich würde eher ein paar diskriminierende abschaffen – zum Beispiel das Kopftuchverbot an Volksschulen.

DAVID: Vielen Dank für das interessante Gespräch!

 

Mag.iur. Ümit Vural,
geb. 1982 in der Türkei, ist im Alter von 6 Jahren nach Wien gekommen. Seine religiöse Sozialisierung erfuhr er in der „Aziziye“-Moschee im 15. ­
Bezirk. Nach dem Gymnasial­abschluss folgte ein Studium an der Rechtswissenschaftlichen Fakultät (Universität Wien). Seinen Zivildienst leistete er beim „Wiener Hilfswerk“.
Vural ist beruflich als Rechts­anwalt tätig, verheiratet und Vater von drei Kindern. Von 2016 – 2018 Schulrats-Vorsitzender der IGGÖ, ist er  seit 2019 deren Präsident.

 

Schlomo Hofmeister
ist Gemeinderabbiner der Israelitischen Kultusgemeinde Wien, Landesrabbiner der Steiermark, Oberrabbiner der Israelitischen Kultusgemeinde Graz sowie Militärrabbiner der österreichischen Bundesheeres und hat darüber hinaus noch eine Reihe bedeutender Funktionen in Österreich, Europa und den U.S.A.  inne.