Der Historiker Gert Kerschbaumer bringt sich in das Projekt „Stolpersteine für Opfer des Nationalsozialismus in Salzburg“ mit der Recherche und Erstellung von Biografien ein. Sein aussergewöhnliches Engagement und ebenso profundes Wissen spiegeln sich in der Homepage www.stolpersteine- salzburg.at. Kerschbaumer spannt hier kaleidoskopartig einen weiten Bogen der Salzburger NS-Opfer auf und eröffnet völlig neue und bisher unbekannte Einblicke in eine jahrzehntelang tabuisierte Vergangenheit.
Gert Kerschbaumer am 27. Jänner 2015 bei der Verlegung von 12 Stolpersteinen beim Hauptbahnhof Salzburg anlässlich des
70. Jahrestages der Befreiung des KZs Auschwitz. Foto: privat.
DAVID: Das Salzburger Projekt „Stolpersteine für Opfer des Nationalsozialismus“ zeichnet sich durch besonders sorgfältig recherchierte und umfangreiche Biografien aus. Welches Konzept steht dahinter?
Gert Kerschbaumer: Leider sind diese Biografien immer ein Work in Progress, denn je länger man sich damit beschäftigt, desto mehr neue Informationen kommen laufend ans Tageslicht. Daher gebe ich der flexiblen Form der Online-Veröffentlichung gegenüber einer Buchpublikation den Vorzug. Aus meiner Sicht ist unser Salzburger Unternehmen nicht primär ein Stolperstein-Projekt, sondern vielmehr ein Homepage-Projekt.
DAVID: Sie zeichnen für die Recherchen zu den Biografien der Opfer verantwortlich. Wie gestaltet sich Ihre Arbeit?
Gert Kerschbaumer: Die Arbeit basiert auf Informationen, die ich von der Israelitischen Kultusgemeinde Wien erhalte. In Salzburg fehlen nämlich sämtliche Informationen der lokalen Kultusgemeinde – alles muss daher über Wien laufen. Dazu kommt, dass die meisten der in Frage kommenden Personen nicht aus Salzburg stammen, sondern zugezogen waren oder über Wien deportiert worden sind. Daher bin ich sehr froh über meinen guten Kontakt zur IKG Wien. Das Geburten- und das Trauungsbuch der IKG Salzburg wurden während der NS-Zeit nach Berlin verbracht und sind dort verschwunden. Nur das Totenbuch ist noch hier.
DAVID: Erfahren Sie bei Ihrer Arbeit sonst noch Unterstützung?
Gert Kerschbaumer: In Salzburg habe ich volle Unterstützung durch den IKG-Präsidenten Marko Feingold und seine Ehefrau Hanna. Ich werde in Salzburg nicht eingeschränkt, ganz im Gegenteil: Beispielsweise sind die für meine Arbeit so wichtigen Heimatberechtigungs-Scheine vollständig erhalten. Dies ist die Quellenbasis, um biografische Daten zu den Opfern zu recherchieren. Zusätzlich bin ich zu allen Bezirksgerichten gefahren, um anhand der Grundbücher die Enteignungen von Jüdinnen und Juden zu ermitteln. Ich musste feststellen, dass vor allem in den Salzburger Sommerfrische-Orten an den Seen etliche Häuser ermordeter Jüdinnen und Juden nicht restituiert wurden. Um das zu dokumentieren, haben wir ein eigenes Verzeichnis über die Opfer im Bundesland Salzburg auf unserer Homepage Stolpersteine Salzburg installiert.
DAVID: Wie sieht Ihre Arbeit konkret aus?
Gert Kerschbaumer: Aus St. Gilgen – Zinkenbach beispielsweise bekam ich einmal einen Anruf. Der Nachbar einer verfolgten jüdischen Familie wollte wissen, was mit seinen Freunden passiert ist. Bis ich es herausgefunden hatte, war der Anrufer leider verstorben. Manches kommt zu spät. Dazu muss man aber sagen, früher hätte man diese Recherchen gar nicht durchführen können, denn die dazu notwendigen Datenbanken gab es noch gar nicht. Erst seit 15, 20 Jahren haben wir die Möglichkeit, mit den Daten von Yad Vashem und so weiter zu arbeiten. Die ebenfalls wichtigen Melderegister kamen unter Bundesminister Strasser zum Magistrat zurück. Das war ein wichtiger Schritt für die Historiker, denn die Polizei hätte die Melderegister wahrscheinlich mangels Ressourcen weggeworfen, so aber konnte das Stadtarchiv die Melderegister übernehmen und zugänglich machen. In diesen Beständen kann man viele Zufallsfunde machen, auf die man mit systematischer Recherche der sonst vorhandenen Unterlagen so gar nicht kommen könnte. Ich kann mich also nicht beschweren, keinen Zugang zu haben. Das Ausmass der Recherchen spiegelt aber vielleicht auch eine gewisse Obsession von mir, denn es handelt sich hier ja um tausende Meldekarteikarten, die ich durchgesehen habe, um mehr zu erfahren über das Schicksal der Menschen.
DAVID: Wie würden Sie ihre Arbeit im Vergleich mit ähnlichen Wiener Projekten über die Verfolgung, wie beispielsweise im Servitenviertel oder in der Herminengasse gewichten?
Gert Kerschbaumer: In Salzburg haben wir es natürlich mit ganz anderen Dimensionen zu tun als in der Wiener Herminengasse mit den vielen hundert Opfern in einer einzigen kurzen Gasse. Unser Vorteil hier ist, die historischen polizeilichen Meldedaten sind nicht nur nach einem Lautalphabet abgelegt, sondern zusätzlich existiert ab 1939 auch ein Hausregister. Man kann also nach Adressen suchen und nachschauen, wer aller beispielsweise an einer bestimmten Adresse verfolgt worden ist. So komme ich auch zu Namen, die ich über Adressbücher gar nicht finden könnte: Am Salzburger Hauptbahnhof haben wir zwölf Stolpersteine verlegt, und zwar für Zwangsarbeiter. Sie alle werden in der „Hauskartei“ genannt, in diesem Falle müsste man eher sagen, einer „Baracken-Kartei“. So haben wir auch Zwangsarbeiterinnen gefunden, die zur Prostitution gezwungen wurden: Es handelte sich hier um französische Staatsbürgerinnen - höchstens 14, 15 Jahre alt - die ursprünglich aus Casablanca in Marokko stammten. Bei ihren Namen steht der Zusatz „Gestapo Aviso“. Das bedeutet, sie wurden von der Geheimpolizei observiert. Alle diese Frauen wurden in einem Haus zusammengesperrt und zur Prostitution gezwungen.
DAVID: Sind Ihnen solche „Hauskarteien“ auch aus einem andern Kontext bekannt?
Gert Kerschbaumer: In anderen Städten gab es ebenfalls „Hauskarteien“. Dieses System wurde von den Nationalsozialisten aus Deutschland übernommen, dort wurde es von der Gestapo ersonnen. Man könnte diese Art der Recherche auch, „wie man auf den Spuren der Bürokratie zu den Opfern findet“, nennen. Nehmen Sie zum Beispiel ein Haus an der Haunspergstrasse: Wieso sind so viele Menschen aus dem Haus ins KZ gekommen? Und zwar nicht nur Juden - unter den Opfern war auch die Cousine von Kurt Schuschnigg Olga Hekajllo. Sie war nach heutigen Begriffen eine Linke, war sozusagen resistent katholisch. Wir haben einen Gedenkstein für sie verlegt. Oder das Ehepaar Lamminger, das ebenfalls deportiert wurde. Dazu gibt es einen Gestapo-Bericht, aus dem sich Folgendes erschliesst: Ein Gestapo-Beamter enteignete die Wohnungseinrichtung, ein zweiter Gestapo-Beamter ist dann in die Wohnung eingezogen. Woher, wenn nicht aus der „Hauskartei“, hätten denn diese Gestapo-Beamten wissen sollen, wo eine Wohnung „frei wird“?
DAVID: Wie reagieren Nachbarn der seinerzeitigen Täter und Opfer auf Ihre Rechercheergebnisse, wie die Nachkommen, die Politik, Touristen?
Gert Kerschbaumer: Wir haben einen grossen Vorteil: unser Projekt ist nicht politisch gesteuert, es ist nicht institutionalisiert. Daher kann es ein Politiker auch nicht verhindern. Das Projekt wird nicht immer und von jedem positiv angenommen, aber grundsätzlich haben wir wenig negative Reaktionen. Das hängt wohl auch damit zusammen, dass die Stolpersteine von der Bauabteilung der Stadt Salzburg verlegt werden: da glauben die Leute, es ist eine offizielle Sache, und trauen sich nicht, negativ aktiv zu werden. Manchmal gibt es Konflikte, wie bei der Villa Bondi, die sich aber bisher immer haben lösen lassen. Die Villa wurde nicht restituiert, wir wollten Stolpersteine für die Bondis verlegen. Die heutigen Hausbewohner wollten die Steine nicht direkt vor ihrem Hauseingang liegen haben, sondern in einem abgelegenen Winkel. Da bin ich aber stur geblieben: „Wir verlegen die Steine nicht in den Hundewinkel!“ Auf die Geschichte ihres Hauses aufmerksam gemacht, begann sich die Familie damit auseinanderzusetzen, und unterstützte letztlich das Projekt.
DAVID: Oft wird auf Datenschutzbestimmungen hingewiesen, wenn es darum geht, die damals geschehene Verfolgung öffentlich zu machen. Wie gehen Sie mit diesem Problem um?
Gert Kerschbaumer: In München sagen sie: zuerst müssen die Nachkommen zustimmen, bevor man mit den Ergebnissen der Arbeit an die Öffentlichkeit gehen kann. Das ist hier nicht machbar. Ich weiss ja gar nicht, wo mögliche Nachkommen sind, wie kann ich sie da vorab fragen? So haben wir beispielsweise für Berta und Paula Eisenberg Stolpersteine > verlegt. Daraufhin kam ein Anruf von der Enkelin aus Tel Aviv, wo denn der dritte Stein bleibe, für Leah, Paulas Kind? So haben wir überhaupt von diesem Kind erfahren, das erst nach der Vertreibung aus Salzburg in Wien 1940 auf die Welt kam. Wir waren der Meinung, der Stein für das Kind gehört zur Mutter, und haben ihn daher hier in Salzburg verlegt. Aber die Geschichte war damit noch lange nicht abgeschlossen: ein halbes Jahr lang haben wir weitere Verwandte gesucht, und so erfuhr die Enkelin in Tel Aviv endlich, wer aus ihrer Familie aller umgekommen war. Das haben wir alles gemeinsam mit ihr gemacht und sie dabei begleitet. Entsprechend ist aus der Biografie für unsere Homepage etwas Übervolles geworden, das vielleicht für einen Aussenstehenden nicht leicht verständlich ist. Aber für die Familie war es wichtig, also haben wir es gemacht. Es ist schon ein bisher einmaliger Fall, dass jemand von sich aus so interessiert ist.
DAVID: Fliessen die Informationen auch in die umgekehrte Richtung?
Gert Kerschbaumer: Umgekehrt bekommen wir auch viele Anfragen von Nachkommen, die von uns wissen wollen, ob sie in Israel oder woanders weitere lebende Verwandte haben.
DAVID: Kommen Nachkommen auch zu Besuch nach Salzburg, um sich die Stolpersteine anzuschauen?
Gert Kerschbaumer: Bei Eisenberg war 2013 die Tochter da, weitere Verwandtschaft hat sich für heuer angekündigt. Man muss aber sagen, in Graz zum Beispiel ist das ganz anders als bei uns, dort ist die Stolperstein-Initiative institutionalisiert und die Finanzierung politisch abgesichert, die können also 10, 15 Leute aus Israel ohne weiteres einladen, es zahlt die öffentliche Hand. Diese Inszenierungen mag ich persönlich nicht. Wir hätten eine viel umfangreichere Medienberichterstattung über unsere Stolpersteine, wenn wir zu den Verlegungen Politiker einladen würden. Darauf verzichten wir völlig. Vielleicht hat das mit meiner evangelischen Sozialisierung zu tun: „Einen Priester brauchen wir nicht, wir machen uns das selbst.“ Wir wollen ja nicht, dass in der Zeitung zwar der Politiker gelobt wird, aber das Opfer erst recht wieder nicht vorkommt. Ein Redakteur sagte mir einmal auf meine diesbezügliche Nachfrage: „Das Schicksal der Opfer interessiert unsere Leser eben nicht.“ So etwas will ich nicht noch einmal erleben.
DAVID: Wie gehen Sie mit dem Wissen über Täter um, die Sie im Zuge Ihrer Recherchen finden?
Gert Kerschbaumer: Ich frage mich immer: wie würden die Selbstzeugnisse der Opfer aussehen? Bei jüdischen Opfern erstellt man aufgrund der Art der Verfolgung, die nach den Nürnberger „Rassegesetzen“ funktionierte, eigentlich immer ganze Familienbiografien. Manchmal stösst man aber zum Beispiel auf einen ganz besonders grausamen Gestapo-Beamten, es handelte sich bei dem Fall um zwei schwangere Frauen – eine verlor ihr Kind, der zweiten wurde das Kind weggenommen. Dieses Kind ist nie mehr aufgetaucht. Hier schreibe ich über die Täter, weil ich nichts über die Opfer weiss.
DAVID: Was machen Sie, wenn Sie nicht genügend Informationen über die Opfer finden können, um einen Stolperstein am Wohnort verlegen zu können?
Gert Kerschbaumer: Josefine Schneider, eine Jüdin, musste schon 1936/37 Salzburg aus politischen Gründen verlassen. Wir haben den Gedenkstein bei ihrer Arbeitsstätte verlegt, einem Geschäft in der Getreidegasse. Dann kam ein Anruf: es waren Verwandte aus Frankreich, die uns berichteten, Frau Schneider habe nach ihrer Vertreibung aus Salzburg noch eine Zeitlang in Innsbruck gelebt. Martin Schneider schickte aus Frankreich Dokumente, Briefe, die Frau Schneider aus dem KZ Ravensbrück an den Vater schrieb. Nur ein Foto von ihr konnten wir leider bis heute nicht finden. Also: Wenn wir nichts Genaues wissen, verlegen wir einen Stein, auch wenn es oberflächlich gesehen der „falsche Platz“ sein mag, denn viele Rückmeldungen kommen erst aufgrund der Steinverlegung, also danach. Am Anfang war ich noch zögerlich, wenn wir das Schicksal nicht genau kannten, aber dann habe ich gemerkt, nur mit einer Vorab-Aktion können wir mehr Informationen erhalten. Bei Emil Hirsch zum Beispiel wissen wir nicht, was mit den Eltern passiert ist. Angekündigt haben sich die Nachkommen jetzt für den Sommer, sie betreut dann der Historiker Stan Nadel als native speaker.
DAVID: Ihre Biografien sind alle ganz ausgezeichnet auf Englisch übersetzt, ein wesentliches Moment, um weltweit Nachkommen ansprechen zu können.
Gert Kerschbaumer: Die Übersetzungen macht uns Stan Nadel. Ursprünglich kam er zu uns, um sich über die seiner Ansicht nach unvollständigen Übersetzungen zu beschweren, dann hat er sie verbessert, und nun schreibt er die englischen Texte selbst. Das ist eine riesengrosse Unterstützung, denn er gestaltet die Biografien aus der Sicht eines U.S. Amerikaners und bereichert sie durch zusätzliche nützliche Informationen: es wurde ein richtiger Erfolg.
Wenn wir nichts Genaues wissen, verlegen wir einen Stein, auch wenn es oberflächlich gesehen der „falsche Platz“ sein mag, denn viele Rückmeldungen kommen erst aufgrund der Steinverlegung.
DAVID: Können Sie abschätzen, in welchen Ländern sich die meisten Menschen für Ihr Projekt interessieren?
Gert Kerschbaumer: Früher hielten sich die Anfragen und Visitors in der Waage, in den letzten Monaten sind aber immer mehr deutschsprachige Anfragen, vor allem aus Deutschland, dazugekommen. Wenn wir bei den Zugriffen auf unsere Homepage nur österreichische IP-Adressen verzeichneten, wäre das eine erfolglose Geschichte. So aber haben wir neben Israelis und Amerikanern Franzosen, Kanadier usw. Pro Tag sind es 800 – 900 Visitors auf unserer Homepage. Manchmal gibt es Spitzen, das dürften dann Universitäten sein, die etwas erarbeiten. Jetzt gerade zum Beispiel ist es ziemlich ausgeglichen, aber wenn Spitzen um 2 – 3 Uhr nachts auftreten, dann sind Amerikaner aktiv.
DAVID: Woran arbeiten Sie gerade?
Gert Kerschbaumer: Mein Arbeitsschwerpunkt sind Recherchen und Biografien. Jetzt arbeite ich gerade zum Salzburger Rabbiner Dr. Margules. Er muss ein guter Diplomat gewesen sein, er vermittelte zwischen den mehrheitlich Konservativen innerhalb der Salzburger Kultusgemeinde und den aufstrebenden Zionisten. Zwar kann ich über die Geschichte der IKG Salzburg zwischen 1930 und 1938 nur ein, zwei Absätze schreiben, denn bisher war darüber nichts bekannt, aber diese Spannung zwischen Konservativen und Zionisten kann man förmlich greifen. Die Gemeinde war sehr konservativ. Die Zionisten starteten ein Bibliotheksprojekt. Unter anderem spendete Stefan Zweig der Gemeinde auf Initiative der Zionisten 140 Bücher. Die Konservativen hielten damals alle Gemeindefunktionen inne, obwohl die Zionisten bei den Kultusvorsteherwahlen gleich viele Stimmen errangen. So gab es grosse Konflikte in der Gemeinde. Es ist sehr interessant, an einer kleinen Gemeinde zu beobachten, wie die Zionisten sukzessive an Stärke gewannen.
DAVID: Gibt es aktuelle Kooperationen mit den Salzburger Festspielen?
Gert Kerschbaumer: Ich habe die Präsidentin angesprochen auf Alma Rosé. Sie hatte einmal einen Auftritt mit ihrem Quartett im Mozarteum. Anlässlich des 100-Jahr-Jubiläums der Salzburger Festspiele wollen wir dort Steine verlegen, und auch für Max Reinhardt und die anderen Künstler beim Festspielhaus. Aber statt „Steinen“ würden wir gerne ganze „Schwellen“ machen – für die Künstler, aber auch für die verfolgten Roma und Sinti. Momentan habe ich ein Opferverzeichnis mit Namen und Daten zu 24 Personen, die Biografien schreibe ich vorher schon. Der Dachverband Salzburger Kulturstätten schickte das dann an seine 380 Mitglieder des Personenkomitees aus. Ein Stein kostet momentan 120 Euro. Das nötige Geld für alle Steine hatten wir binnen eines Tages beisammen. Es ist wirklich ein zivilgesellschaftliches Projekt. Und zusätzlich hilft der Magistrat der Stadt Salzburg. In der Bauabteilung, die die Steine verlegt, arbeiten absolute Profis, und das ist wichtig, denn die Steine in Granit zu verlegen, ist technisch extrem schwierig. Geht ein Stein einmal kaputt, so zahlt die Stadt Salzburg den entstandenen Schaden. Juristisch ist das so geregelt, dass die privat bezahlten Steine ins Eigentum der Stadt übergehen, sobald sie verlegt sind. Sie werden in einen Kataster aufgenommen und das Stadtarchiv ist auch sehr dahinter, dass keine Fehler passieren. Die Steine sind also Eigentum der Stadt und diese trägt die Verantwortung für sie. Fallen Bauarbeiten an, kommen die Steine in ein Depot und nach Abschluss der Arbeiten werden die Texte, auf Granit neu eingefräst, wieder angebracht - so etwa in der Linzer Gasse oder in der Getreidegasse. Es muss natürlich dauernd jemand dahinter sein, ob etwas kaputt ist, und wir alleine könnten das nicht leisten. Das Kulturamt der Stadt zahlt dann Ersatzsteine.
DAVID: Gibt es Schwierigkeiten mit Vandalismus-Schäden?
Gert Kerschbaumer: Früher gab es Beschmierungen. Die Stadt hat sie wieder wegputzen lassen – der Bürgermeister persönlich hat das angeordnet. Zum Glück haben diese Beschädigungen aufgehört. Man kann sagen, die Steine sind angenommen worden. Vielleicht sind sie in Wien schöner oder besser lesbar, aber das können wir uns hier eben nicht leisten. Schon gar nicht können wir uns mit dem Gedenkstelen-Projekt in München vergleichen. Aber parallel zu den Stolpersteinen haben wir auch das Projekt der Zusatztafeln zu Strassennamen. Auch dort bin ich im Beirat. Probleme gibt es, wenn Hauseigentümer etwas anderes auf den Tafeln stehen haben wollen, dann muss eine Stele eben vor dem Haus auf öffentlichem Grund aufgestellt werden. Das kann sich in Wirklichkeit aber niemand leisten. Kritiker sagen, die Stolpersteine seien zu „unterschwellig“, aber leider ist es ja oft nur so zu machen, weil wir an Privathäusern keine Tafeln anbringen können.
DAVID: Machen Sie Unterschiede zwischen verschiedenen Opfergruppen?
Gert Kerschbaumer: Ursprünglich haben wir nur jüdische Opfer gesucht, denn die Quellenausgangslage schien uns hier mit dem Bestand der Opferfürsorge-Akten am besten. Auf diesem Weg haben wir aber nur ganz wenige Salzburger gefunden. Wieso? Weil die meisten Hinterbliebenen aufgrund der damaligen gesetzlichen Lage gar keine Ansprüche stellen durften! Noch krasser ist die Sachlage bei den Roma und Sinti: bei den rund 200 Opfern aus Salzburg gibt es nur einen einzigen Opferfürsorge-Akt. Dieses Opfer war ein Magistratsmitarbeiter. Offensichtlich gab es bei den Opfern gesetzliche Diskriminierungen, daher haben die Diskriminierten bei mir Vorrang.
DAVID: Vielen Dank für das interessante Gespräch, und weiterhin viel Erfolg mit Ihrem Projekt!
Nachlese:
http://www.stolpersteine-salzburg.at/de/orte_und_biographien
http://www.stolpersteine-salzburg.at/de/materialien
Gert Kerschbaumer ist ein österreichischer Historiker und Germanist, er lebt in Salzburg. Zu seinen Publikationen zählen:
Gert Kerschbaumer: Meister des Verwirrens. Die Geschäfte des Kunsthändlers Friedrich Welz.
Die Bibliothek des Raubes, Bd. 5
Czernin, Wien 2000,
ISBN 3-7076-0030-0
Gert Kerschbaumer: Stefan Zweig.
Der fliegende Salzburger.
Residenz, Salzburg/Wien 2003,
ISBN 3-7017-1336-7
Gert Kerschbaumer/ Jeffrey B. Berlin (Hg.): „Wenn einen Augenblick die Wolken weichen“. Briefwechsel 1912-1942; Stefan Zweig u. Friderike Zweig. S. Fischer, Frankfurt 2006,
ISBN 978-3-10-097096-1