„But all the while I was alone
The past was close behind
I seen a lot of women
but she never escaped my mind, and I just grew
Tangled up in Blue”
[DYL]
Mit diesen Worten schafft Bob Dylan in seinem Lied Tangled up in Blue beim Hörer ein Gefühl des ineinander Verschmelzens von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. The past was close behind – die Vergangenheit ist immer gegenwärtig, ein ständiger Begleiter auf dem Weg in die Zukunft. [ATT]. In diesem Sinne möchte ich mit diesem Text ein kleines Stück Vergangenheit wieder in Erinnerung rufen und betrachtbar machen. Im Jahr 1998 startete an der Technischen Universität Wien ein Projekt zur virtuellen Rekonstruktion von Synagogen. Ich durfte mich im Zuge meiner Diplomarbeit mit der jüdischen Gemeinde in Holešov beschäftigen und die im Jahre 1942 zerstörte Synagoge wieder der öffentlichen Betrachtung zugänglich machen.
Die Geschichte der jüdischen Gemeinde in Holešov
Die erste Erwähnung einer jüdischen Ansiedlung in Holešov (dt. Holleschau) stammt aus dem Jahr 1454. Bei den Siedlern dürfte es sich überwiegend um Juden gehandelt haben, die im Zuge der sogenannten Wiener Geserah sowie aus den Königsstädten vertrieben worden waren. Sie siedelten sich in Holešov an und lebten dort ghettoartig zusammen [KLEN]. Ihnen wurden Handelsprivilegien zugesprochen, die sich allerdings nach dem Gutdünken des jeweiligen Herrschers verändern konnten. Schon zu dieser Zeit soll es eine erste Synagoge mit eigenem Begräbnisplatz im Stadtgebiet gegeben haben [ALL]. Um 1560 wurde die Schach-Synagoge errichtet, nachdem das alte Gebäude bei einem Grossbrand zerstört worden war. Es folgten der Anbau eines Nebensaales, die Errichtung der Frauengalerie im Jahr 1615 und umfangreiche Umbauten im Hauptsaal in den Jahren 1725 bis 1737 [KLEN].
Während des Siebenjährigen Krieges (1756 bis 1763) wurden die Deutsch sprechenden jüdischen Bewohner Mährens der Kollaboration mit preussischen Truppen verdächtigt und des Landesverrates angeklagt. Ihnen drohte die Vertreibung sowie die Plünderung ihres gesamten Besitzes. Durch Zahlung einer hohen Geldsumme konnten sich die Angeklagten von diesem Vorwurf freikaufen. Die Bezahlung eines Anteiles des Lösegeldes führte zu einer hohen Verschuldung der Gemeinde [ALL].
In der Mitte des 19. Jahrhunderts erreichte die jüdische Gemeinde ihre Blütezeit. Ihre Angehörigen stellten damals zirka ein Drittel der Stadtbevölkerung. Zu diesem Zeitpunkt hatte sich das Territorium der jüdischen Gemeinde vom einstigen Ghetto in eine selbstständige Judenstadt verwandelt. Durch Stadttore gelangte man in den jüdischen Teil der Stadt. Eine eigene Kommunalverwaltung, bestehend aus Bürgermeister und Gemeinderat, eine eigene Polizei, Feuerwehr und Nachtwache zum Schutz des Siedlungsgebietes und eine eigene, staatlich finanzierte Elementarschule zeugten vom hohen Mass an Autonomie der jüdischen Gemeinde [ALL].
Am Ende des 19. Jahrhunderts sollte sich die Situation in Holešov ändern. Im Jahr 1899 kam es zu antijüdischen Ausschreitungen, bei denen die aufgehetzte christliche Bevölkerung die Wohnungen und Geschäfte der Judenstadt plünderte. Wochenlang war das Militär im Einsatz, um die jüdische Bevölkerung zu schützen. Zahlreiche Familien wanderten daraufhin aus Holešov aus. Der Überfall einer bewaffneten Bande im Jahr 1918, bei dem zwei Juden getötet und fast alle Familien ausgeplündert wurden, beschleunigte die Abwanderung weiter. Die Autonomie der Gemeinde wurde im darauffolgenden Jahr abgeschafft und die Verwaltung von der christlichen Seite der Stadt übernommen. Dies, obwohl sich jüdische Unternehmer in der zweiten Hälfte des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts um den ökonomischen Aufschwung der Stadt Holešov verdient gemacht hatten [ALL].
Im Jahr 1930 war fast die gesamte jüdische Bevölkerung aus Holešov verschwunden. Die jüdische Gemeinde zählte nur mehr zirka 270 Personen. Im Vergleich dazu hatte die jüdische Gemeinde 1914 noch aus zirka 1.200 Personen bestanden [ALL]. Die in Holešov verbliebenen Juden wurden im Zuge des Holocaust nach Auschwitz-Birkenau deportiert. Etwa 200 bis 250 wurden Opfer der Shoah, nur 15 Personen überlebten die Deportation. Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges kehrten nur wenige der Verfolgten nach Holešov zurück [ALL]. Von der ehemaligen Judenstadt, bestehend aus 108 Häusern, sind noch 56 erhalten, darunter auch die Schach-Synagoge. Sie beherbergt heute das Mährisch-Jüdische Museum [KLEN].
Die Neue Synagoge von Holleschau, Aussenansicht.
Virtuelle Rekonstruktion A. Kolaritsch mit freundlicher Genehmigung.
Die Neue Synagoge auf dem Hauptplatz des Judenviertels.
Postkarte, vor 1938 Archiv Stadtmuseum Holešov. Mit freundlicher Genehmigung A. Kolaritsch
Blick durch den Innenraum der Neuen Synagoge zum Thoraschrein.
Virtuelle Rekonstruktion A. Kolaritsch mit freundlicher Genehmigung.
Blick zum Tor: der Ausgang des Holleschauer Judenviertels zur Stadt.
Historisches Foto K.-D. Alicke, mit freundlicher Genehmigung A. Kolaritsch
Die Geschichte der Neuen Synagoge
Mitte des 19. Jahrhunderts erlebte die jüdische Gemeinde in Holešov ihre Blütezeit, sowohl finanziell als auch die Zahl der Mitglieder betreffend. Anfang der 1890er Jahre wurde daher beschlossen, eine neue, grössere Synagoge zu errichten. Als Architekt wurde der aus Mähren stammende Wiener Jakob Gartner (1861 Přerov/dt. Prerau, Mähren – 1921 Wien) bestimmt [KLEN]. Gartner stand zu dieser Zeit am Anfang seiner Karriere, hatte sich aber bereits einen Namen gemacht. Als Mitarbeiter im Büro Hugo von Wiedenfelds (1852 Wien – 1925 New York) plante er die Synagoge in der Wiener Zirkusgasse [AZW], und als selbstständiger Architekt errichtete er die Synagogen in Hlohovec (Freistadt an der Waag, heute Slowakei) und Trnava (Tyrnau, heute Slowakei) [AZW].
Die Pläne des Architekten für die Nova Synagoga sahen eine freistehende zweigeschossige Halle in maurisch-orientalischem Stil vor. Die Ausrichtung erfolgte Richtung Westen. Das Rabbinerhaus wurde südlich des Gebäudes errichtet. Die Einweihung der Synagoge fand nach zwei Jahren Bauzeit im Jahr 1893 statt [KLEN]. Am 24.7.1941 verübten Nationalsozialisten mit Hilfe von tschechischen Kollaborateuren einen Brandanschlag auf die Synagoge [TR6]. Das Eingreifen der Feuerwehr verhinderte grössere Beschädigungen. Bei einem weiteren Anschlag in der Nacht vom 11. auf den 12. August 1941 war es der Feuerwehr untersagt, einzugreifen. Diesmal brannte die Synagoge bis auf die Grundmauern nieder. Der Abriss der noch stehenden Ruinen erfolgte am 15.6.1942 und wurde vom dort ansässigen AntonÍn Reimer heimlich auf 8mm Film aufgenommen [GAL]. Ein Teil der Einrichtung, die vom Brand verschont blieb, gelangte in ein bis dato unbekanntes Archiv in Prag. Der Rest wurde an die Bewohner der Stadt verkauft oder entsorgt [GAL].
Mit einem interdisziplinären Projekt von Archäologen, Denkmalpflegern und Geologen versuchte die Stadt im Jahr 2016, die zerstörte Synagoge wieder in das Bewusstsein der Bevölkerung zu rufen. Mittels Metallsonden und Bodenwiderstandsmessungen gelang es, die vergrabenen Fundamente im Erdreich zu entdecken. Es war geplant, eine niedrige Mauer entlang der ehemaligen Aussenmauern sowie einen Gedenkstein zu errichten. Soweit bekannt ist, wurde nur der Gedenkstein errichtet.
Nachlese:
Alexander Kolaritsch: Virtuelle Rekonstruktion der Synagoge Holešov. TU Wien: Diplomarbeit 2018.
[ALL]: Allicke, Klaus-Dieter. „Aus der Geschichte der jüdischen Gemeinden im deutschen Sprachraum.“ Klaus-Dieter Allicke. http://www.xn--jdische- gemeinden-22b.de/index.php/home.
[ATT]: Attwood, Tony. “Untold Dylan.” Tony Attwood. http://bob-dylan.org.uk/archives/134.
[AZW]: Scheidl, Inge. „Architektenlexikon.“ Architekturzentrum Wien.
http://www.architektenlexikon.at/.
[DYL]: Dylan, Bob. Blood on the Tracks. Columbia Records. 1975.
[GAL]: Gallo, Marianno. „Holesov mit anderen Augen.“ Marianno Gallo. http://holesov.jinak.cz/.
[KLEN]: Klenovsky, Jaroslav. Zidovske Pamatky Holesova. : Stadt Holesov. 2004. S. 48.
[TR6]: Matušková, Leona . „Holešov připomene vypálenou Novou synagogu.“ Kreative Journalistengruppe - Religiöser Rundfunk . http://www.rozhlas.cz/nabozenstvi/zpravy/
zprava/holesov-pripomene-vypalenou-novou-synagogu--1644784.
Hinweis der Redaktion: vgl. zu Holleschau auch Tina Walzer, Die Shakh-Synagoge in Holleschau (heute Holešov, Tschechische Republik),
In: DAVID Heft 115, 29. Jg, Dezember/Chanukka 2017, Seite 5-6