Ihre Grabmäler am jüdischen Friedhof Währing in Wien
Serie, Teil 10: Familien aus Hessen, Bayern und Baden-Württemberg
Über Jahrhunderte suchten jüdische Familien im Gebiet des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation Kontakte zwischen den jüdischen Gemeinden bedeutender Städte zu etablieren. Meist durch überregionale Verheiratung der Kinder, aber auch durch den Ausbau von Geschäftszweigen entwickelte sich seit dem Mittelalter ein dichtes Netz von verlässlichen, in Familienverbindungen begründeten Handelsbeziehungen. Auch in Wien unterstützten sie einander, um gemeinsame Interessen zu vertreten – wie etwa bei der Rettung vor einem drohenden Staatsbankrott durch die Begründung der Oesterreichischen Nationalbank 1806.
Aus Hessen, namentlich der Krönungsstadt der Könige und Kaiser Frankfurt am Main stammend, wurden die Familien Grünebaum und Schnapper in Wien aktiv.
Eine spektakuläre repräsentative Grabsteckplatte im barockisierenden Stil schmückt die Grabstelle Bernhard Grünebaums am jüdischen Friedhof Währing in Wien. Nachkommen leben noch heute in der Stadt, soweit ihre Eltern und Grosseltern den Verfolgungen der NS-Zeit entgehen konnten: Dr. Moritz Grünebaum und seine Schwester Margarethe Fürth wurden in die Herminengasse zwangsumgesiedelt, von dort aus deportiert und ermordet, ebenso Margarethes Tochter Wilhelmine. Margarethes Ehemann Dr. Otto Fürth starb 1938, kurz nachdem die Universität Wien dem berühmten Professor für medizinische Chemie seinen Posten aufgekündigt hatte, ihr Sohn Josef Fürth starb nach seiner Entlassung aus dem KZ Dachau 1939. Moritz Grünebaums Ehefrau Laura starb 1940. Von den Kulturleistungen der Familie Grünebaum in Wien zeugen in Währing neben einem Grabhäuschen unter immergrünem Baum eine Reihe weiterer schöner Monumente. Der Stammvater des Wiener Zweiges, Bernhard, war 1786 in Frankfurt am Main zur Welt gekommen. Er scheint bereits im Alter von 24 Jahren als Geschäftsführer eines Wiener Handelshauses auf. Im Zuge der Napoleonischen Kriege kooperierte er mit dem österreichischen Kaiserhaus 1814, nach Kriegsende half er mit, die Staatsfinanzen zu konsolidieren und wurde einer der Gründungsaktionäre der OeNB. Zum Dank erhielt er 1817 vom Kaiser eine Arbeits- und Aufenthaltserlaubnis (die „Toleranz“) in Wien, die er bis zu seinem Tod zwanzig Jahre später innehatte.
Bernhard Grünebaums repräsentative Grabsteckplatte.
Anton Schnapper (8.11.1788 Frankfurt/Main, Hessen – 24.11. 1870 Wien), Sohn eines Banquiers aus Frankfurt am Main, kam Anfang des 19. Jahrhunderts nach Wien und heiratete in die Familie Wertheimstein ein. Seinen jüngeren Bruder Adolf Anschel Schnapper (5.7.1792 – 19.04.1843) entsandte das Frankfurter Bankhaus Rothschild als Mitarbeiter zunächst nach Paris, und 1826 schliesslich ebenfalls nach Wien. Anton hatte in der Zwischenzeit die grösste Wechselstube Wiens aufgebaut, die das eigentliche Bankgeschäft kultivierte und in seinen späteren Jahren von der N.Ö. Escompte-Gesellschaft übernommen wurde. Adolf war Anfang Fünfzig verhältnismässig jung verstorben und hinterliess als Witwe Elise Elisabeth, eine Tochter des weiter unten beschriebenen Bayreuther Unternehmers Siegfried Philipp Wertheimber, die seine Geschäfte fortführte. Auch hier zeigen sich, wie schon mehrmals im Kontext der Herkunftsregionen, enge familiäre Kontakte zwischen den Gründungsaktionären der OeNB. Die Brüder genossen hohes Ansehen im Wirtschafts- und Gesellschaftsleben, nicht zuletzt dank ihrer internationalen Verbindungen. Antons Sohn Maximilian erreichte den Ritterstand und starb schliesslich als Baron in Paris im Jahr 1900. Nachdem er die Gebeine seiner Eltern 1887 vom Währinger jüdischen auf den Döblinger Prominentenfriedhof überführen hatte lassen, wollte er selbst ebenfalls dort bestattet werden. Das Grab seines Onkels Adolf beliess er am Währinger Friedhof, wo sich die Grabstelle, geschmückt mit einem Kenotaph im altrömischen Stil, bis heute befindet. Die Grabinschrift erzählt von der Trauer um den lieben Verstorbenen:
„Ein Gattenherz, an Liebe reich, das stets nur für mein Glück geschlagen, ein Vaterherz, dem keines gleich, ward früh mit Dir zu Grab getragen.“ Anton schliesst sich seiner Schwägerin und den Kindern an: „Dem Bruder Freund, warst Du bereit, dem Freund als Bruder zu erscheinen! Du starbst – uns blieb das bittere Leid, Dich für das Leben zu beweinen.“ Gemeinsam schliessen die Hinterbliebenen: „Und trauernd blicken auf dies Grab, die bei Dir Trost und Liebe fanden, wenn sie der Schmerz mit Macht umgab und sie gebeugt in Thränen standen.“
Das Grabmal von Adolf Schnapper zieren Erinnerungsgedichte der Hinterbliebenen. Die Frontplatte mit dem Namen des Verstorbenen fehlt.
Siegfried Benedikt Philipp Wertheimber (20.02.1777 – 20.03. 1836) führte zeitlebens auch seinen hebräischen Namen Seckel Löb. Wiewohl aus einer alteingesessenen Regensburger Familie stammend, kam er im bayrischen Bayreuth auf die Welt. Er heiratete schliesslich Evelyne Hefche Wertheimber in ihrer Geburtsstadt Regensburg, wo auch ihr Sohn Philipp 1811 geboren wurde. Seit 1809 trat er mit geschäftlichen Aktivitäten auf und hatte das Bürgerrecht in Regensburg inne, bis er dann 1827 in Wien die Toleranz erhielt. Nach dem Tod seiner ersten Frau 1820 hatte er Henriette geheiratet, die nach ihm die Geschäfte gemeinsam mit ihrem Schwiegersohn Seckstein (er stammte wie Siegfried Philipp Wertheimber aus Regensburg und hatte dessen Tochter Emma geheiratet) so lange weiterführte, bis Philipp selbst 1843 um die Toleranz seines Vaters in Wien ansuchen konnte. Dessen Grabmonument im ägyptisierenden Stil ist das einzige erhaltene Denkmal dieser Art am jüdischen Friedhof Währing. Aus Sandstein gearbeitet, zeigt es starke Verwitterungsspuren, die Überplattung der Grabstelle ist geborsten.
Siegfried Philipp Wertheimbers Grabmonument im ägyptisierenden Stil ist in seiner Art ein Unikat in Wien.
Moriz Moses Chaim Königswarter stammte aus Fürth in Bayern und kam als 20-Jähriger im Jahr 1801 nach Wien. Offiziell betrieb er zunächst ein Kurzwarengeschäft in der Inneren Stadt. Tatsächlich erhielt er aber 1816 als Dank für seine Verdienste um die Konsolidierung der Staatsfinanzen im Zuge der Gründung der Oesterreichischen Nationalbank die Toleranz in Wien verliehen, aus dem Kurzwaren- war ein offizielles Bankgeschäft geworden und er selbst ein „k.k. privilegierter Grosshändler“. Als er 1829 starb, führte seine Witwe die Geschäfte weiter und berief ihren Schwiegersohn - zugleich Neffe ihres verstorbenen Mannes aus Frankfurt am Main -, Jonas Königswarter, zu ihrem Geschäftsführer. Dieser war geschäftlich so angesehen und erfolgreich, dass ihn die Oesterreichische Nationalbank bereits nach zehn Jahren Geschäftstätigkeit 1839 zu ihrem Zensor ernannte, einer ausgesprochenen Auszeichnung für kaufmännische Berufe. Nach Errichtung der Creditanstalt wurde Jonas Königswarter in deren Verwaltungsrat berufen. Seit 1851 im Vorstand der Israelitischen Kultusgemeinde Wien, amtierte er von 1868 bis zu seinem Tod 1871 als deren Präsident. Das Grabmal seines Vorfahren Moriz ist stilistisch betont schlicht gehalten, aber die Grösse des monumentalen Obelisks zeugt von der Bedeutung des Begründers des Wiener Familienzweiges.
Moriz Königswarters Grabmal ist schlicht gehalten und beeindruckt durch seine schiere Grösse.
Gruftanlage von Jonas Königswarter und seiner Frau Josefine, bekrönt vom Familienwappen mit dem Bienenkorb, das bis heute auch das Palais Königswarter am Opernring ziert. Die stark verwitterte Inschrift ist stellenweise nicht mehr zu lesen.
David Wertheim, bereits im Dezember 1739 in Mannheim geboren, war einer der ältesten OeNB-Gründungsaktionäre und gehörte als Sohn des mährischen Landesrabbiners Samson Wertheimer zur älteren Generation der alteingesessenen jüdischen Familien, deren Geschichte in die Zweite Wiener jüdische Gemeinde zurückreicht. Er war der erste Vorsteher der Wiener Chewra Kadischa und verstarb 1817 in Wien. Seine Tochter Judith heiratete Samuel Lewinger aus Prag, einen weiteren Gründungsaktionär der Oesterreichischen Natio-
nalbank. David Wertheims Grabmal ist nicht erhalten: es war bereits nicht mehr vorhanden, als nach der Schliessung des Areals zwischen 1902 und1907 ein erstes Inventar aufgenommen wurde.
Markus Malthus Hirsch Weikersheim aus Weikersheim in Württemberg führte in Wien eine private Bankfirma, die vor allem Handelsunternehmungen der Textil- und Landwirtschaftsprodukte mit ihren Finanzierungsmodellen förderte. Vorwiegend war er im englischen Sinne des Wortes ein Banker, ein Bankier der Kaufleute und Industriellen. Zeitgenossen schildern ihn als etwas altmodisch, aber von freundlichem und heiterem Wesen. Die Grabdenkmäler seiner Angehörigen bilden eines der schönsten Biedermeier-Ensembles auf dem jüdischen Friedhof Währing.
Als weitere Gründungsaktionäre der Oesterreichischen Nationalbank wären an dieser Stelle noch Götz Uffenheimer aus Frankfurt am Main zu nennen, sowie Jacob Lang und sein Sohn Ernst aus Colmar, dessen repräsentative Grabsteckplatte stilistisch in die Ära der Hoffaktoren zurückweist und sich mitten in einem Gräbercluster familiär verwandter OeNB- Gründungsaktionäre wiederfindet.
Fotos: Tina Walzer, mit freundlicher Genehmigung.