Heimo Gruber und Heimo Halbrainer (Hg.): Zwei Tage Zeit.
Flucht, Vertreibung und die Spuren jüdischen Lebens in Mürzzuschlag.
Graz: CLIO 2014
212 Seiten, geb., mit zahlr. Abb.; Euro 15,70
ISBN 978-3-902542-37-3
Die tragischen Schicksale von Menschen während der Zeiten von Kriegen widerspiegeln sich in Biographien, wie der von Herta Reich (geborene Eisler) und ihrem Mann Romek. Herta Reich kam 1917 als Kind einer jüdischen Kaufmannsfamilie im steirischen Mürzzuschlag auf die Welt. Während der Annexion Österreichs durch das Deutsche Reich wurde die junge Frau gezwungen, ihren Heimatort zu verlassen. Nach einem ersten Fluchtversuch nach Belgien verliess sie im Herbst 1939 mit etwa 1000 weiteren österreichischen Jüdinnen und Juden auf Donauschiffen Wien - das Ziel war Palästina. Der Transport erreichte im Dezember 1939 den kleinen serbischen Donauhafen Kladovo, von wo die Fahrt erst ein Jahr nach dem Beginn der Flucht fortgesetzt werden konnte. Im Ort Šabac wurde das Schiff von der Deutschen Wehrmacht überfallen. Herta und Romek Reich gehörten zu den wenigen, die entkommen konnten. Nach einer abenteuerlichen Flucht über Italien erhielt das Ehepaar Reich am 26. Mai 1944 ein legales Einreisezertifikat nach Palästina. Ein Kriegsschiff brachte sie nach Alexandria, wo sie am 5. Juni landeten. Mit dem Zug gelangten sie nach Tel Aviv, wo Hertas Eltern in ärmlichen Verhältnissen lebten. Die schlechte materielle Lage bewog die Eltern 1948 zur Rückkehr nach Österreich. Als kurz darauf Romek Reich im israelischen Unabhängigkeitskrieg fiel - Sohn Ronny war gerade ein Jahr alt -, verschwieg Herta Reich dies zwei Jahre lang den Eltern, um sie zu schonen. Im Jahre 1950 besuchte sie ihre Eltern Käthe und Ignaz in Mürzzuschlag. Es war ihre einzige und letzte Rückkehr nach Österreich. Auch hier war die Lebenssituation deprimierend. Auf einer kleinen Fläche des früheren Verkaufslokales in der Toni Schruf-Gasse 11 bestritt der Vater, der während des Besuchs der Tochter verstarb, seinen Lebensunterhalt mit Bürstenbinden. Nebenan führte der „Ariseur" das ursprüngliche Textilgeschäft der Eltern ungeniert weiter. Nach dem Tod Ignaz Eislers folgte Käthe Eisler der Tochter nach Israel und starb bald nach der Ankunft. Herta Reich, die ihren Sohn Ronny allein grossgezogen hat, lebte zunächst in Holon bei Tel Aviv und nähte in Heimarbeit Vorhänge. Später übersiedelte sie nach Jerusalem, wo sie im Februar 2012 verstarb.
Neben dieser dramatischen Geschichte einer Flucht, schildert Zwei Tage Zeit auch Leben der kleinen jüdischen Gemeinde in Mürzzuschlag im 19. und 20. Jahrhundert. Im Prolog des Buches erinnert sich Ronny Reich an eine Begegnung: „Ein amerikanischer Christ hat einmal mir gegenüber - halb klagend, halb lächelnd - bemerkt: "Wie kommt es, dass von Euch Juden in Israel jeder eine eigene Geschichte hat?" "Sie haben recht", antwortete ich. "Wer keine Geschichte hat, der hat es einfach nicht überlebt.""