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Meine sehr verehrten Damen und Herren,
liebe Leserinnen und Leser,
Dieses Pessach steht unweigerlich unter dem Eindruck der jüngsten Ereignisse in Paris und Kopenhagen. Die terroristischen Attentate dieses Jahres sind nicht die ersten ihrer Art - und werden, so steht es zu befürchten, nicht die letzten sein. Es sind dies Anschläge auf die Freiheit, das liberale Denken, die Demokratie.
Standen die Türme des World Trade Center symbolisch für westlichen Fortschritt, freie Märkte und Modernität, so waren die jüngsten Ziele der Terroristen zunächst Orte, respektive Veranstaltungen im Geiste der (Meinungs-)Freiheit und sogleich jüdische Einrichtungen.
Die Symbolik ist unmissverständlich und wird dennoch vielfach übersehen. Dass jüdische Menschen vor 70 Jahren - nach der Schoah - Deutschland und Europa die Treue gehalten haben, war Ausdruck eines tiefen Vertrauens in die Tragfähigkeit der freiheitlich-demokratischen Werte, die sich gerade wieder ihren Weg bahnten.
Wenn nun heute ausgerechnet Juden in Europa zum Ziel islamistischer terroristischer Attacken werden, so ist das nicht nur Ausdruck eines in der muslimischen Kultur weit verbreiteten erbarmungslosen Antisemitismus, insbesondere als Antizionismus und Hass auf Israel. Es ist zugleich ein Angriff auf eben jene Werte und Wertvorstellungen, die zur Grundlage der westlichen Verfassungen wurden und die ein respektvolles und freiheitliches Miteinander erst bedingen.
Seit Jahrhunderten galt die Frage, wie in einer Gesellschaft, in einem Staat, Juden akzeptiert und respektiert waren, als Seismograph für den Grad der Freiheit. Die Geschichte lehrt uns, zumindest sollte sie das tun, dass der Antisemitismus - quasi als Urschleim der gruppenspezifischen Menschenfeindlichkeit - als das zentrale Symptom einer kränkelnden Gesellschaft betrachtet werden kann. Ein Schlag auf Juden ist ein Anschlag auf die Freiheit - ein Anschlag auf all jene Errungenschaften auf unserem Kontinent in den letzten Jahrzehnten, auf die wir stolz sein können und sollen und die wir unbedingt beschützen und verteidigen müssen.
Insofern ist es ein Armutszeugnis, dass Juden nur polizeilich geschützt ihre Religion frei ausüben können. Gleichsam ist es eine Schande, dass auch die offensichtlichste antijüdische Aggression nicht als solche benannt wird. Wenn also ein Brandanschlag auf eine Synagoge „keine antisemitische Tat" ist, sondern Kritik an Israel und die Geiselnahme in einem jüdischen Supermarkt ein „Zufall", dann mag das gut für die Statistik sein, die auf diese Weise keine Zunahme antisemitischer Straftaten belegt, aber es ist schlecht für den ehrlichen Umgang mit den unübersehbaren Missständen in unserer Gesellschaft.
Schönfärberei macht einen Zustand bekanntermassen nur noch schlimmer. Es erfordert Mut, Probleme offen zu benennen und die sich stellenden Herausforderungen selbstreflexiv und proaktiv anzunehmen, aber es ist das Gebot der Stunde.
In diesem Sinne kann die Botschaft von Pessach Mut und Kraft befördern - nicht nur für Juden, sondern für jeden, der sich diesen historischen Freiheitskampf bewusst macht. Der Mut, sich seine Freiheit zu erobern, und die Pflicht, mit dem Geschenk der Freiheit nicht leichtfertig umzugehen, ermahnt uns zu Verantwortung.
Der Kampf um und für die Freiheit ist niemals gewonnen - diese Lehre ist in diesem Jahr sehr konkret, nicht nur mit Blick auf Europa, sondern noch mehr mit Blick auf Syrien, Irak, Nigeria, Afghanistan und viele weitere Brandherde auf unserer Welt, so auch die Ukraine gleich vor unserer Haustür. Niemals waren mehr Menschen weltweit auf der Flucht vor Krieg, Gewalt und Katastrophen.
Pessach ist ein Fest des Besinnens auf die eigene Stärke und die Verpflichtung zu einem verantwortungsvollen Umgang miteinander und mit
G-ttes Schöpfung. Nur wenn wir uns als Menschen in G-ttes Sinne verhalten, dürfen wir auf G-ttes Segen und Hilfe vertrauen - und aus diesem Vertrauen neue Zuversicht und Hoffnung schöpfen.
70 Jahre nach dem Holocaust stehen Europa und die Welt vor grossen Herausforderungen. Der offen und ungeniert erstarkende Antisemitismus ist eine davon, aber die Art und Weise, wie diese bewältigt wird, könnte ein Gradmesser dafür sein, wie wir für andere zivilisatorische Gretchenfragen gewappnet sind.
Die wachsende islamistische Bedrohung, die weltweit zunehmende Verrohung und Barbarei, die via Satellitenfernsehen alltäglich in unsere Wohnzimmer gelangt und vor der wir uns nicht verstecken dürfen, fordert uns als Menschen heraus, den Kampf für Freiheit, Demokratie und Menschrechte leidenschaftlich anzutreten.
Lassen Sie uns dafür aus der Geschichte von Pessach lernen. In diesem Sinne verbinden die wunderbaren Rituale der Sederabende, die wir im Kreise unserer Familien und Freunde verbringen, nicht nur die Juden auf aller Welt - sondern alle Menschen, die in Frieden und Freiheit und gegenseitigem Respekt miteinander leben wollen.
Pessach sameach vekascher!
Die besten Wünsche für ein frohes und koscheres Pessach
Ihre Charlotte Knobloch
Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern
Ehem. Präsidentin des Zentralrats der Juden in Deutschland