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Sein Trauma war, dass alles Schöne zerstört wird

Kerstin KELLERMANN

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Fritz Roubicek ist in der Öffentlichkeit eher für seine Bücher über die zionistische Studentenverbindung bekannt, in der er vor dem Krieg war. Doch Roubicek hatte viele Seiten. Der Fluchthelfer und Überlebende des Todesmarsches nach Buchenwald begann im Alter zu malen. Seine Frau Liliane Roubicek zeigte nun seine Gouachen und Ölbilder her.

Die Menora steht fest auf der Erde und leuchtet richtig, die Farben der Malerei sind satt und nur leicht grau, das Bild strahlt Fröhlichkeit aus und Sicherheit. Der abgebildete Kerzen-Leuchter ist kein Chanukka-Leuchter und doch brennen die Kerzen. „Wir hatten nicht so eine Menora", sagt Frau Roubicek und beugt sich über die Gouache ihres Mannes Fritz Roubicek, die auf dem Tisch liegt. In einer Mappe hat sie alle Gouachen ihres Mannes gesammelt, die Ölbilder hängen an den Zimmerwänden, noch immer an den Stellen, an denen er sie hängte. 1990 starb ihr Mann. „Ich glaube weniger, dass der Fritz gläubig war, aber er hatte einen starken Bezug zu traditionellen Dingen."

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Fritz Roubiceks Ehefrau Lily mit einem Bild ihres Mannes.

Frau Roubicek, die im Winter 91 Jahre alt wird, ist beinahe blind, trotzdem erkennt sie die verschiedenen Bilder auf Anhieb. „Ich weiss ja, wie die ausschauen", lächelt sie, „ich habe die Bilder innerlich gespeichert." Das Menora-Bild stammt aus einer Dreier-Serie, einem Zyklus  von Menorot. „Das ist das Erste in der Reihe. Man freut sich auf das Fest und plötzlich kommt ein Windstoss und es brechen Leute in die Wohnung ein." Das zweite Bild ist grau in grau, die Lichter gelöscht, die Menora scheint wie vom Winde verweht. Die Türe ist offen. Das dritte Bild, auf dem die Menora blutet, hängt in der Steiermark über dem Schreibtisch ihres Mannes in ihrer Sommerwohnung. „So hat er sich ein Pogrom vorgestellt, ein Blutbad", sagt Frau Roubicek. Bei Trauma bedeutet ein Dreier-Bild eigentlich eine Erlösung vom Trauma, doch hier ist das erste Bild das Schöne und das dritte Bild das Schrecklichste. Was das wohl bedeutet in der Bilder-Traumaforschung?

Fritz Roubicek überlebte Auschwitz und auch den Todesmarsch nach Buchenwald, er war der einzige Überlebende seiner Familie, die in der Brunnengasse 72 in Wien Ottakring beheimatet war. Ursprünglich war er nach Frankreich geflüchtet, wo er den Widerstand organisierte. „Dann geht die Türe auf und ein Windstoss kommt herein und alle Leute stürzen herein", wiederholt Frau Roubicek noch einmal nachdenklich. „das war wirklich ein Trauma von ihm, dass man alles Schöne zerstört und friedliche Menschen nicht in Ruhe lässt."

Reine Freude und Entwicklung

Das Ehepaar fand sich in Sandleiten, denn Frau Roubicek ist in Sandleiten aufgewachsen und Herr Roubicek lebte nach seinem Aufenthalt in einer Art Displaced Persons-Lager am Wilhelminenberg in der Wilhelminenstrasse 70 im 16. Wiener Gemeindebezirk. Sie unternahmen viele Reisen gemeinsam. „Er malte oft am Lenkrad, vom Auto aus, er hatte Tusche mit, Architektur faszinierte ihn, Kirchen geben ja auch viel her." „Das hat ihn dann gefreut", sagt sie immer wieder, das Kopieren von italienischen Plakaten zum Beispiel - Blumensträusse, Biedermeier. „Der Fritz war ja Textilingenieur, er zeichnete sicher Muster und Vorlagen für Stoffe. Er ging in die Spengergasse und sattelte dann auf Maschinenbau um. Eigentlich wollte er Mediziner werden, doch sein Vater meinte, so viele Mediziner wären gerade arbeitslos. Weil ich ein folgsamer Sohn war, habe ich die Spengergasse gemacht, sagte er. Später sekkierte er den Vater so lange, bis er Welthandel studieren durfte." Roubiceks Vater war Buchdrucker und hatte visavis der Oper gelernt, dort befanden sich eine alte Buchdruckerei und ein Geschäft. „Dann ging der Vater zu einer Zeitung am Fleischmarkt. Wie der Hitler gekommen ist, haben sie ihn hinausgehauen. Das neue Wiener Tagblatt wurde auch dort gedruckt." Seit Ende der 1960er Jahre besuchte Fritz Roubicek einmal in der Woche die Kunstschule, er ging sehr gerne zur Frau Professor Gerda Matejka Felden in den Akt- und Porträtkurs. Vom Winde verwehte Bäume im Burgenland, farbige Häuschen in Holland in Fleckentechnik, die vom Pointilismus inspirierten Bilder wurden alle verkauft. „Er hat Fortschritte gemacht, das hat man deutlich gesehen", sagt Lilly Roubicek. „Er hat sich sehr entwickelt." Fahle Farben in gelb-orange in Spanien, zwei steife, verschwommene Figuren im Vordergrund. Kaputte, abgebrochene Scheunen in Toulouse, alte Dächer, Holzschindeln. „Immer wenn etwas abgerissen wurde, hat er es vorher gezeichnet", erklärt Liliane Roubicek.

Kindern „das" nicht antun

Die Boote in Norwegen auf den Gouachen sind positiv und locker dargestellt - Roubiceks eigene Flucht verlief mit dem Zug in die Schweiz über die Zehn-Mark-Grenze und dann nach Frankreich. „Die Flucht war so, wie es halt heute ist. Man wurde von der Organisation Joint (Anm. Joint Distribution Commitee) irgendwohin geschickt - du kommst eben in irgendein Flüchtlingslager und wirst weiter gereicht." Und eine Sekunde später: „Seine Gouachen waren viel lockerer, die gefallen mir eigentlich besser als die doch etwas steifen Ölbilder."

Knapp nach der Hochzeit fuhr das Ehepaar gemeinsam nach Frankreich und Fritz zeigte seiner Liliane, wo er nach seiner Flucht wohnte - in Murais an der Garonne, einem kleinen Dorf in der Nähe von Toulouse. „Den böhmischen Prater zeichnete er sehr gerne, das Ringelspiel. Er hat selten etwas ohne mich gemacht. Bitt schön, lass mich in Ruhe, sagte ich manchmal. Ein jeder Mensch braucht einen gewissen Freiraum. Er ist sogar mit mir ins Konzert gegangen", lächelt Liliane Roubicek in der Erinnerung. Die Ereignisse im Konzentrationslager Auschwitz wirkten sich vielfältig aus. „Er hat Angst gehabt, dass das wieder kommt. Er wollte seinen Kindern nicht antun, was er im KZ gesehen hat, was man mit Kindern tut." Sie hatten keine Kinder. „Ich wollte immer, dass er über seine drei Jahre im KZ schreibt«, sagt Lilly Roubicek bedauernd. »Er hat mir viel zu Liebe getan, aber das nicht. Fritzi war in Frankreich bei der Widerstandsbewegung und schleuste Menschen, aber man hat ihn erwischt. Er war aber mit dem roten Winkel in Auschwitz, nicht mit dem Judenstern. Einmal in meinem Leben war ich schlau, sagte er, und gab ihnen den Namen des gefallenen Sohnes meiner Quartiergeberin in Frankreich. So war er als politischer Franzose inhaftiert. Als Jude hätte er nicht überlebt."

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Alle Fotos: Bernhard Kummer, mit freundlicher Genehmigung.