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Walter Ranzenhofer, ein Widerstandsatlas

Manfred PAWLIK

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Widerstand gegen den Nationalsozialismus im Weinviertel  war weit verbreitet, wenn man dem Erleben, Verhalten und Werten von vielen Menschen auf den Grund geht.

Ich habe im Rahmen  des Weinviertel-Festivals 2013 dieses Projekt durchgeführt und meine erfolgreiche Spurensuche gemeinsam mit noch lebenden Zeitzeugen in einer Veranstaltung vorgestellt und in dem Buch „Widerstand im Weinviertel" dokumentiert. Oft ist es plakativ so wie bei dem Gewerbetreibenden Cikanek, der sogenannte „Feindsender hörte" oder der Hausfrau  Anna Goldsteiner, die eine Jugendgruppe „Ewig treu mein Österreich" unterstützte, die beide zum Tode verurteilt und hingerichtet worden sind, dann wieder der stille oft unbemerkte Widerstand wie von der Hausfrau Holly, die ihrem Mann bei der Desertion unterstützte oder der Gewerbetreibende Angelis, der Fremdarbeiter und Gefangene als Freunde behandelte. Oder auch Walter Ranzenhofer, der sich noch mit dem Jugendtransport, schmerzlich von seiner Familie getrennt, nach England retten konnte und als englischer Offizier bei der Befreiung seiner Heimat mitwirkte.

Walter Ranzenhofer, der österreichischen Heimat verbunden.

Walter Ranzenhofer, Sohn von Karl und Rahel Ranzenhofer, Teil der kleinen, aber rührigen jüdischen Gemeinde in Hollabrunn, ist ein besonderes Beispiel eines aufrechten Österreichers, den vielleicht gerade wegen seines schweren Schicksals Menschlichkeit, aussergewöhnlicher Mut und Sinn für Gerechtigkeit auszeichnete. Ein Vorbild für ihn mag  Dr. Ernst Ritter, auch Mitglied der jüdischen Gemeinde Hollabrunn, gewesen sein. Dr. Ernst Ritter, 1888 -1981, war Arzt und Gemeinderat, 1929 - 1934 Fraktionsführer der Sozialdemokratischen Partei.  Er ist auch Verfasser eines heimatgeschichtlichen Rückblickes auf Hollabrunn. Er war Ritter des Franz-Josephs Ordens und Besitzer des Goldenen Verdienstkreuzes mit der Krone. Meine Begegnung mit der jüdischen Gemeinde Hollabrunn, die heute nicht mehr existiert, war nicht so einfach.Als ich 1976 nach Sonnberg, einer Katastralgemeinde von Hollabrunn,  zog, machten mich die Hinweise der Einheimischen neugierig. Es war da die Rede vom „Judenstrassl" und vom „Judenfriedhof". Dorthin machte ich mich auf. Dieses Judenstrassl verbindet Sonnberg mit Hollabrunn. Es gibt dann eine Abzweigung von diesem Strässchen durch einen Gebüschwald auf den Friedhof. Damals als ich dort das erste Mal einbog, war direkt an der Friedhofsmauer noch ein Haus, in dem ein einsamer Mann wohnte, der mich misstrauisch beobachtete, als ich durch das Tor in den Friedhof eintrat. Einige Wochen zuvor waren einige Gräber von unbekannten Unverbesserlichen verwüstet worden. Der alte Mann war möglicherweise ein letzter Nachkomme des Kantors Jellinek, heute bin ich mir nicht mehr sicher, ob ich das wirklich erlebt habe, oder ob es nur ein Traum war. Jedenfalls wurde das Haus einige Jahre später niedergerissen, der es bewohnende Mann soll gestorben sein. Ich besorgte mir die Türschnalle vom im Schutt liegenden Eingangstor, die nun auch verschwunden ist, wie das den Friedhof beschützende Haus. Nun sind von der jüdischen Gemeinde in Hollabrunn nur mehr die Gräber der Toten vorhanden.

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Titelseite, Manfred Pawlik: Widerstand im Weinviertel. Ein Widerstandsatlas.  Verlag Berger 2013.

Walter Ranzenhofer und Hollabrunn

So gespenstisch wie der einsam gelegene Friedhof ist,  muss es Walter Ranzenhofer ergangen sein, als er nach Hollabrunn zurückkam. Der Gemeindearzt, der Tierarzt, die Geschäfte, die Synagoge alles der „Arisierung",  alles dem Raub der in Hollabrunn verbliebenen „Arier" überlassen.  Was aber ist mit der Familie Ranzenhofer geschehen und ihrem Geschäft in der Sparkassagasse? 1938 wurde das Geschäft von einem aus Stockerau organisierten Stosstrupp der Nationalsozialisten ausgeraubt, unter anderem wurde auch die Geschäftskasse entwendet. Wie ordentlich die Nationalsozialisten vorgingen, geht daraus hervor, dass dieser Raub nicht nur registriert wurde, sondern dass Carl Ranzenhofer, der Vater von Walter Ranzenhofer, gezwungen wurde wie die anderen jüdischen Mitbürger auch, dass dies als freiwillige Parteispende für die NSDAP zu gelten habe. Sie wurden dazu gezwungen, dies mit ihrer Unterschrift zu bestätigen. Ordnung muss sein!

Walter Ranzenhofer, der später das Konfektionsgeschäft der Eltern in Hollabrunn übernehmen sollte, war zu diesem Zeitpunkt schon als Schneiderlehrling bei einem Onkel in Wien. Um ins Reich melden zu können, dass Hollabrunn judenfrei sei, wurde die gesamte Hollabrunner jüdische Bevölkerung gezwungen nach Wien zu übersiedeln. Das geschah noch 1938. Die Familie Ranzenhofer, das war Carl Ranzenhofer, der zwei Häuser und das Geschäft in der Sparkassagasse gemeinsam mit seiner Frau Rachel besass, und ihr 1914 geborener Sohn Erwin. Sie mussten Hollabrunn verlassen und ihr Eigentum „günstig" „Ariseuren" überlassen und nach Wien  in ein für die jüdische Bevölkerung bestimmtes Massenquartier ziehen.

Die Tragik der jüdischen Gemeinde von Hollabrunn ist auch aus dem Schicksal der Familie Ranzenhofer ablesbar - die meisten Menschen wurden ermordet, einigen wenigen gelang die Flucht von Shanghai über England, Amerika bis nach Australien, Walter Ranzenhofer blieb der einzige, der nach Hollabrunn zurückkehrte. Die Familie Ranzenhofer versuchte auch die Möglichkeit einer Auswanderung zu erlangen. Walter Ranzenhofer gelang es als 16-Jähriger mithilfe eines Freundes, von seiner Familie gut zugeredet, nach London auszuwandern. Die zurückgebliebene Familie versuchte dies mithilfe eines Kontaktes zum Neffen Francis Lederer, wie er dann als Schauspieler in Hollywood hiess. Francis Lederer war schon ein Stummfilmstar in Deutschland,  von Max Reinhardt ausgebildet, schaffte er auch den Durchbruch im Tonfilmkino. Er war in seiner Jugend oft bei seinem Onkel Carl Ranzenhofer in Hollabrunn gewesen und er liebte die Familie Ranzenhofer. Er hatte früh gemerkt, dass für jüdische Menschen in Deutschland und Österreich kein Platz sei und war schon früh nach Amerika ausgewandert. Allerdings war das Affidavit von Seiten Amerikas an die amerikanische Staatsbürgerschaft gebunden, die aber Francis Lederer zu diesem Zeitpunkt noch nicht besass. Aus den mir von Johann Ranzenhofer, dem Sohn von Walter Ranzenhofer, zur Verfügung gestellten Dokumenten geht hervor, dass Francis Lederer unendlich darunter litt, dass er der Familie nicht helfen konnte. „Das Bewusstsein eurer Lage ist für mich eine unbeschreibliche Seelenqual und ich versichere euch, dass das Bestreben, Euch allen zu helfen, mir am allernächsten liegt," schreibt er in einem Brief im Dezember 1938. Und die Tragik liegt darin, als er endlich 1939 die amerikanische Staatsbürgerschaft bekam und er der Familie des Onkels die Ausreise nach Amerika ermöglichen konnte, waren die Nazis schon dabei die Grenzen für die jüdische Bevölkerung dicht zu machen - nun im schon begonnenen Krieg steuerte die Naziherrschaft  auf die sogenannte Endlösung der Judenfrage zu. Wie Millionen andere jüdische Staatsbürger in Deutschland, Österreich und in den anderen Herrschaftsgebieten der Nazidiktatur, wurde die Familie Ranzenhofer in ein Konzentrationslager überstellt und ermordet.

Der englische Offizier

Die Freiheit für die österreichischen Flüchtlinge in England war nicht unkompliziert. Walter Ranzenhofer berichtet über seine Zeit als Hilfsarbeiter in London, dann als Hausboy bei der Generalswitwe Babbington, dann über seine Internierung auf der Isle of Man, schliesslich wieder als Hausboy bei der Generalswitwe. Bei Kriegsbeginn wurden alle Ausländer als „Enemy Alien" gesehen und deshalb interniert. Der Wandlungsprozess in der offiziellen Meinung hing auch mit dem Zusammenschluss aller österreichischen Organisationen zum Free Austrian Movement (FAM) zusammen und mit einer grossen Kundgebung in London, an der die grosse Mehrzahl der österreichischen Emigranten teilnahm. Das erweckte auch das Vertrauen der englischen Öffentlichkeit. Winston Churchill gab in diesem Zusammenhang eine Erklärung ab, dass ein freies Österreich nach dem Sieg der Alliierten einen ehrenvollen Platz einnehmen und das britische Volk die Sache Österreichs und seine Befreiung vom deutschen Joch niemals im Stich lassen werde. Das bedeutete auch für Walter Ranzenhofer die Entlassung aus der Internierung. „Noch im selben Jahr, nämlich 1941, ging ich wieder nach London. Ich hatte erfahren, dass verschiedene Stellen in der Kriegsindustrie offen seien. Ich arbeitete in einer Heeresreparaturwerkstätte, einer Privatfirma, die Fahrzeuge reparierte,"  berichtet er.

In London hatte er auch Kontakt zum Austria Center, einem zentralen Treffpunkt der österreichischen Emigranten. Ein wichtiger Kontakt war dort Herbert Steiner, der Historiker, der später am Aufbau des Dokumentationsarchivs des Österreichischen Widerstandes entscheidend mitwirkte. Ich selbst habe Herbert Steiner und auch Hilde Mareiner, die über die österreichische Emigration in England berichtete, persönlich kennen gelernt und kann Walter Ranzenhofers Beurteilung des Charismas dieser beiden mutigen Österreicher bestätigen. Hilde Mareiner berichtet über den entscheidenden Wendepunkt der österreichischen Emigration in England. Dadurch dass sich diese als Teil der Widerstandsbewegung gegen den Nationalsozialismus in Österreich und im Ausland begriff, öffneten die Alliierten ihr Militär für die Österreicher. 1943 begann Walter Ranzenhofer seine Ausbildung im Militär und war einer jener Österreicher, die mit grossem Engagement bereit waren, gegen den Hitlerfaschismus zu kämpfen.

Walter Ranzenhofer kämpfte ehrenvoll in Frankreich, Holland und Belgien und war schliesslich an der Befreiung des Konzentrationslagers Bergen-Belsen beteiligt. Dort wurde er als Aufklärungsoffizier bei der Hilfe der Repatriierung der Häftlinge aus dem Konzentrationslager stationiert. Hier musste er leidvoll erfahren, was er über das Schicksal seiner eigenen Familie vermuten musste. Und er war auch der einzige Überlebende seiner Familie. Die Verbundenheit zu seiner Familie veranlasste ihn auch dann, seine Entlassung aus dem englischen Militär zu beantragen und nach Hollabrunn zurückzukehren. Dort erreichte er unter vielen Mühen die Rückgabe seines Familienbesitzes und lebte dann als angesehener Bürger in Hollabrunn. Dass er der einzige jüdische Rückkehrer nach Hollabrunn blieb und die jüdische Gemeinde Hollabrunn der Geschichte angehörte, darunter litt er lebenslang.

Wie kann ich den Nationalsozialismus besiegen und Österreich befreien?

Seine Enkelin Elisabeth Ranzenhofer hat als Schülerin des Gymnasiums in Hollabrunn im Rahmen der pädagogischen Aktion „A Letter To The Stars" die Geschichte ihrer Familie und auch ihres Grossvaters Walter Ranzenhofer angesprochen. Sie schreibt: „Liebe Rachel, liebe Urgrossmutter, du lebst in mir weiter. Mein Name ist Elisabeth und ich bin deine Urenkelin. Ich habe mich in den letzten Monaten viel mit dir und unserer Familie beschäftigt und habe dabei auch viel Interessantes, aber auch Abschreckendes gefunden. Sobald ich von diesem Projekt hörte, wollte ich unbedingt mitmachen und so recherchierte ich eine ganze Weile. Natürlich vergass ich auch deinen Sohn Erwin und deinen Mann Carl nicht. Ich hätte so viele Fragen an euch. Die eure Lebensgeschichte betreffen. Wie war die Stimmung damals? War der Hass gegen die Juden wirklich so gross? Woran bist du eigentlich wirklich gestorben? Warum seid ihr nicht gemeinsam mit meinem Opa ausgewandert?

Mir ist schon klar, dass es wohl nie Antworten auf diese Fragen geben wird, aber trotzdem gebe ich die Hoffnung nicht auf, dass ich im Laufe meines Lebens Antworten bekomme, denn ich beende sicher nie wieder die Recherchen über unsere Familie. Man könnte sagen, du hast mich auf den Geschmack gebracht. Ich hätte dich gerne einmal kennen gelernt.

Ich weiss allerdings, dass ich dir ähnlich schaue, eigentlich lebst du in mir ja weiter. Ich habe keine Vorstellung, wo du jetzt bist, ich hoffe nur, dir geht es gut und du legst manchmal deine schützende Hand über mich.

Ich kann jetzt nicht sagen, ich hab dich lieb, weil ich dich nie kannte. Ich kann nur sagen, dass ich hoffe, dass nie wieder Leute wie Hitler an die Macht kommen, denn die haben mir die Chance genommen dich einmal persönlich kennen zu lernen und deshalb hasse ich sie. Deine Urenkelin Elisabeth, 16."

Der Grossvater Walter Ranzenhofer war sicher über seine Enkelin sehr glücklich, denn sie erweist sich in ihrem Sein als ein Garant dafür, dass der Prozess des Besiegens des Nationalsozialismus und die Befreiung Österreichs in seiner Familie geschieht - ein wunderbares Beispiel für das Leben einer Familie in bewusster Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft!

  

Weinviertler  Lesesteine

Walter Ranzenhofer war und ist ein wichtiger  unverwechselbarer Exponent Hollabrunner und Weinviertler Kultur. Die jüdische Kultur wird im Weinviertel noch immer verdrängt, vielleicht auch weil die jüdischen Mitbürger verschwunden sind, keine jüdischen Gemeinden mehr existieren, der letzte Rest lebendiger jüdischer Kultur sind paradoxerweise die jüdischen Friedhöfe. Es wäre sinnvoll, jüdische Kultur wieder ins Weinviertel zurück zu holen. Ein wichtiger Schritt zur Bewusstmachung dieser Verödung wäre die Anbringung sogenannter Lesesteine. Dafür trete ich ein und sehe das als Zeichen einer notwendigen Aufarbeitung der furchtbaren Nazibarbarei in Österreich, speziell in der Bezirkshauptstadt Hollabrunn. Ein Lesestein für Walter Ranzenhofer in Hollabrunn hätte eine zweifache Bedeutung. Zum einen war er der letzte Angehörige der jüdischen Gemeinde von Hollabrunn, zum andern ist er ein wichtiges Mitglied des Weinviertler und österreichischen Widerstandes gegen die Unmenschlichkeit und das mörderische Wirken des Nationalsozialismus in Österreich!