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Wolfgang Hafer: Die anderen Mautners. Das Schicksal einer jüdischen Unternehmerfamilie
Berlin: Hentrich&Hentrich 2014
216 Seiten, Euro 22,00 [D]
ISBN 978-3-95565-061-2
Über die Wiener Unternehmerdynastie Mautner, die einen der grössten Textilkonzerne des Kontinents unterhielt, gab es bisher in der Geschichtsschreibung des Wiener Judentums kaum etwas zu lesen.
Der Gründer Isaac Mautner wird 1824 in Nachod (Böhmen) geboren. Er heiratet Stephania Julia, die Tochter des Rabbiners von Nachod Ascher Sulzbach-Rosenfeld. Isaac ist zeitweise Vorsitzender der jüdischen Kultusgemeinde von Nachod, Mitglied des Stadtrats und versieht auch rabbinische Funktionen. 1850 gründet er eine kleine Textilmanufaktur, mit der er gut zwanzig Jahre später nach Wien übersiedelt.
Dort stirbt er 1901, sein Leichnam wird nach Nachod überführt.
Seit 1874 ist sein Sohn Isidor Teilhaber, 1876 heiratet er Jenny, deren Vater David Neuman, ein wohlhabender Seidenhändler, Kunst sammelt - eine Leidenschaft, die Jenny fortführen wird. 1908 bezieht das Paar eine repräsentative Wohnung in der Löwelstrasse 8. Man pflegt Kontakte mit den Schauspielern des gegenüberliegenden Burgtheaters; diese kommen nach den Vorstellungen gerne zu Besuch. Jenny ist selbst leidenschaftliche Sängerin und Pianistin. Regelmässig sind Arthur Schnitzler, Felix Salten, Hugo von Hofmannsthal, Max Reinhardt, Bruno Walter und Richard Strauss zu Gast.
Mautner beteiligt sich an Textilfabriken in Böhmen und kauft 1893 einen Häuserblock in der Michelbeuerngasse im neunten Bezirk zur Unterbringung seiner Fabriken. 1888 erwirbt er für seine Frau das Geymüller-Schlössel in Pötzleinsdorf. Er erhält mehrere österreichische Auszeichnungen, ihm wird der Titel Kommerzialrat verliehen, 1890 wird Isidor Mautner schliesslich in den noblen Verein der Freunde des Künstlerhauses aufgenommen. 1916 hat das Imperium mit 42 Fabriken und 23.000 Mitarbeitern seinen Höhepunkt erreicht. 1918 wird zur Unterstützung der Arbeiter und Angestellten der Isidor Mautner Fonds gegründet.
Tochter Marie heiratet 1919 den Regisseur Paul Kalbeck; der gemeinsame Sohn ist der Schriftsteller Florian Kalbeck. Nicht zufällig beteiligt sich Isidor mit 25 Prozent an der Aktiengesellschaft, die das Theater von Max Reinhardt in der Josefstädterstrasse (nicht in der Josefstrasse, wie es im Buch heisst) finanziert.
Stephan, Isidors Sohn und Nachfolger, interessiert sich nur mässig für die Firma. Er liebt die Jagd, ist ein begabter Zeichner und Verfasser von Erzählungen. 1921 wird er Präsident der Neuen Wiener Bankgesellschaft, die jedoch schon wenige Jahre später zusammenbricht. Im Zuge der Weltwirtschaftskrise muss auch die Mautnersche Textilfabrik in Trumau-Marienthal - über sie entstand die berühmte Studie „Die Arbeitslosen von Marienthal" - stillgelegt werden. Isidor muss seinen Immobilienbesitz verpfänden und als er 1930 an Krebs stirbt, steht er, wie der Autor schreibt, vor einem Scherbenhaufen.
Der jüngere Sohn Konrad interessiert sich überhaupt nicht für die Belange der Firma. Er verliebt sich in das Ausseer Land und lebt vor allem am Grundlsee, wo er die heimischen Trachten und Volkslieder beschreibt. 1910 veröffentlicht er das berühmte „Steyerische Raspelwerk", 1919 lässt er sich evangelisch taufen, 1924 stirbt er noch vor dem Vater an Magenkrebs.
Auf einige Irrtümer sei hingewiesen: Theodor Ritter von Taussig war nie Leiter der jüdischen Gemeinde in Wien - er war von 1901 bis 1906 Mitglied des Kultusvorstands. Der Wiener Rabbiner Max Grunwaldt schrieb sich Grunwald. In den Anmerkungen wird sein Name zwar korrekt geschrieben, aber leider wird er dort zum Wiener Oberrabbiner ernannt, was nicht den Tatsachen entspricht.
Über Julius Jolesch, Isidor Mautners Generaldirektor, hätte Hafer in Robert Sedlaczeks „Die Tante Jolesch und ihre Zeit. Eine Recherche"(2013) fündig werden können.
Wolfgang Hafer, der 2007 gemeinsam mit seinem Bruder Andreas eine Biografie über Hugo Meisl veröffentlichte, ist mit dem vorliegenden Buch dennoch ein lesenswerter Beitrag zur Wiener Industrie- und Kulturgeschichte gelungen. Erzählt wird die Geschichte eines sozialen Auf- und Abstiegs, der Assimilation des jüdischen Bürgertums und seiner unglücklichen Liebe zu Österreich und seiner Kultur. Die vielen Details und genauen Recherchen sind beeindruckend; im letzten Kapitel beschreibt Hafer ausserdem das weitere Schicksal der Familie im Nationalsozialismus bzw. im Exil.