404: Not Found Wir lachen in den Flammen David - Jüdische Kulturzeitschrift

Ausgabe

Wir lachen in den Flammen

Monika KACZEK

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Der 1942 in Manchester geborene Schriftsteller Howard Jacobson zählt zu den renommiertesten Autoren Gross-britanniens. Seine Romane, die in zwanzig Ländern erschienen sind, wurden vielfach ausgezeichnet, unter anderem erhielt er für Die Finkler-Frage/The Finkler Question den Man Booker-Preis, den wichtigsten Literaturpreis der englischsprachigen Welt. Nach Liebesdienst/The Act of Love (2012) erschien auf Deutsch zuletzt Im Zoo/Zoo Time (2014) - ein Roman über Menschliches und Tierisches, Literatur über die komischen sowie tragischen Seiten des Lebens. (siehe Rezension Seite 81)

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Foto: Jenny Jacobson. Mit freundlicher Genehmigung DVA.

DAVID: Lassen Sie uns mit der unvermeidbaren Frage nach dem „Jüdischsein" beginnen. In einem Interview mit der Jewish Chronicle1 im Jahre 2010 bemerkten Sie dazu: „Wenn man in einem Satz sagen müsste, was es bedeutet jüdisch zu sein, würde er so lauten: Es ist die Fähigkeit, sich über sein Jüdischsein lustig zu machen." Obwohl es ziemlich schwierig erscheint, jüdischen Humor zu definieren, und man benötigt rabbinische Fähigkeiten dazu: Was sind Ihre Gedanken dazu?

Howard Jacobson: Ich stimme der Meinung zu, dass jüdischer Humor nicht definiert werden kann, denn jede Art von Komödie verweigert sich einer Definition. Doch es gibt einige Dinge, die ich dazu sagen kann. Komödie ist immer dann am schärfsten, wenn sie von den Rändern der Gesellschaft kommt, wenn sie ein Ausdruck von Unruhe, ja sogar Furcht ist. Jüdischer Humor besitzt Intensität und Bitterkeit, die sich mit Selbstironie abwechseln. Aber auch Sarkasmus und Melancholie alternieren mit dem Wilden und dem Traurigen, dem Schockierenden und dem Herzzerreissenden. Er ist voller Gegensätze, weil wir Komödie aus Kummer, aus Terror und natürlich - wie könnte es anders sein? - aus der Erwartung einer Katastrophe machen. Wir lachen in den Flammen. Wenn Leute fragen, warum Juden lustig sind, sage ich, weil sie wissen, dass es das Leben nicht ist. Im jüdischen Humor gibt es auch ein starkes Element eines aufsässigen Masochismus. Wir wissen, welche schrecklichen Dinge Menschen über uns sagen, deshalb erklären wir es ihnen besser. Auf eine Art erzielen wir durch Witz einen Sieg, den wir nicht mit Waffen erreichen können. So als ob man sagen würde: Ihr glaubt zu wissen, wie ihr uns gegenüber unhöflich sein könnt. Wir werden euch jetzt zeigen, wie man das tun soll.

  

DAVID: Im Jahre 2010 wurden Sie für Ihren Roman Die Finkler-Frage mit dem Man Booker-Preis ausgezeichnet. Bevor Sie von dieser Ehre erfuhren, hat sich Ihre Mutter skeptisch geäussert, indem sie gemeint hat, dass Ihr Buch wahrscheinlich nicht gewinnen würde: „Es ist vermutlich ein bisschen zu jüdisch." 2 Wie im Roman Die Finkler-Frage liegen auch Im Zoo Tragödie und Komödie nebeneinander, zum Beispiel, Literaturagenten, die spurlos verschwinden oder Selbstmord begehen, Ablemans zahlreiche Krisen, aber auch seine witzigen Bemerkungen. Der Erfolg Ihrer Bücher, in denen immer jüdische Charaktere vorkommen, beweist, dass die LeserInnen sich für die Geschichten von Menschen interessieren und es ihnen dabei nicht wichtig ist, ob jüdische oder nichtjüdische Themen behandelt werden.

Howard Jacobson: Ja, der Erfolg bestätigt das. Und ich bin überrascht und ermutigt von dem Beweis. Aber es stimmt nach wie vor, dass es einige Themen gibt, die sich bei modernen LeserInnen schneller beliebt machen. Im Zoo ist teilweise ein komischer Wortwechsel mit LeserInnen, die hauptsächlich über sich selbst lesen wollen. Der zeitgenössische Autor befindet sich in einem ständigen Kampf mit diesen LeserInnen - und sie können nicht nur in örtlichen Leserunden sondern auch in Universitäten oder literarischen Magazinen gefunden werden - , die das Nichtvertraute, das Herausfordernde und das Schwierige fürchten. In England gibt es den Ausdruck ‚a good read‘ 3  und für einen seriösen Schriftsteller ist es Pflicht, dem zu widerstehen, weil der Begriff davon ausgeht, dass der problemloseste und am wenigsten Ärger bringende Weg die grösste Zufriedenheit bringt. Ein Roman muss sich nicht als erfolgreich beweisen, aber meiner Meinung nach haben die besten Werke immer mit einem Kampf zu tun. Ich glaube, wenn man LeserInnen zu Orten bringt, die ihnen ungewohnt erscheinen, sie in Leben führt, die sie in Begleitung von Charakteren, die sie nicht mögen, niemals besuchen möchten, auch in dem Sinn, dass der Roman in Wegen „denkt", ist das eine Herausforderung.

DAVID: Menschen sind oft seltsame Wesen, vor allem wenn es um die Liebe geht. In einem Spiegel- Interview mit der Modedesignerin Diane von Furstenberg meinte diese: „Ich liebe Männer, sie sind eine andere Sorte Tier." 4 Einmal sinniert Ihre Romanfigur Guy Ableman über eine Frage nach, die ihm oft gestellt wurde: „ Was hatte eine so schöne und selbstbewusste Frau wie Vanessa, die einen Rockstar oder einen Banker oder einen Moderator aus dem Frühstücksfernsehen hätte heiraten können - die selbst eine Sendung im Frühstücksfernsehen hätte moderieren können -, in mir gesehen?" Diese Frage stellt ein grosses Problem für zahlreiche Männer dar und es wäre interessant, die Gründe dafür zu erfahren.

Howard Jacobson: Nun, bei Im Zoo - ein Roman über AutorInnen und Leserinnen, über Menschen, die schreiben und Menschen, die schreiben wollen - ist die Frage komisch gemeint. Guy Ableman beschliesst, dass nicht er es ist, den seine Frau Vanessa liebt, sondern, dass es die Worte sind. Sie liebt ihn wegen seiner Romane, obwohl sie seine neusten Werke nicht besonders mag. Man könnte sagen, dass sie ihn abstrakt liebt, einfach weil er überhaupt  schreibt. Als letztendlich sie selbst zu schreiben beginnt, braucht sie ihn deshalb nicht mehr. Der Roman hegt Sympathien für Vanessa und schätzt ihre intelligente, wenn auch oft frustrierte Leidenschaft für Sprache und Literatur. Im Roman gibt es eine Stelle, wo sie sich das Ende der Epoche fast wie eine Wagnerianische Heldin, eine Art Brünhilde, vorstellt, die sich den Flammen des Analphabetismus widersetzt...

DAVID: Ein Beitrag auf der Homepage des deutschen Nachrichtensenders NDR beschreibt Ihr Buch als „ (...) ein rasantes und sehr unterhaltsames Plädoyer für einen tiefen Humanismus und für jenen aufgeklärten Geist, der sich in wirklich guter Literatur ausdrückt." 5 Glücklicherweise hat Ableman mit seiner düsteren Perspektive über die Zukunft der Literatur nicht Recht, wo er meint, dass Bücher, die nicht von Vampiren handeln, keine Chancen haben werden. Haben Sie vielen Dank für das Interview, Herr Jacobson. Darüber hinaus möchte ich Ihnen für Ihre Bücher danken, die mich zum Lachen bringen und auch zutiefst berühren.

Howard Jacobson: Um noch bei Vanessa zu bleiben, sie ist diejenige, die viel von Guys Selbstgefälligkeit über Literatur zunichte macht und sie äussert sich wortgewandt zu seinem literarischen Pessimismus, der eine Art Trost für ihn darstellt. Für einen gescheiterten Romancier - und Guy erreicht nie den Erfolg, den er anstrebt - ist der Gedanke beruhigend, dass die Literatur vorbei ist, dass sich niemand mehr ums Lesen kümmert oder lesen kann, dass die Zivilisation zu Ende gegangen ist. Das bedeutet, dass Scheitern ihn nicht betrifft. So schauen wir, von Vanessa angeleitet, immer skeptisch auf Guys Prophezeiungen. Das heisst aber nicht, dass sie albern sind. Er sagt einige Dinge über die Zukunft des Lesens, über die Art, wie wir jetzt lesen, über unsere Erwartungen, über die Zurückweisung von Schwierigkeiten und Erhabenheit, die, wie ich hoffe, bei meinen LeserInnen Widerhall finden. Ein Charakter kann egoistisch und selbstsüchtig sein und dennoch die Wahrheit sprechen. Und ich glaube, dass Guy Recht hat, sich zu sorgen. Was ich will ist, dass meine LeserInnen den ganzen Weg bis hin zum Rande der Katastrophe lachen...

  

1  http://www.thejc.com/arts/arts-interviews/36461/interview-howard-jacobson, 30.01.2014

2  http://www.telegraph.co.uk/culture/books/booker-prize/8062512/Howard-Jacobson-My-mother-told-me-I-wouldnt-win-too-Jewish.html

3  Bedeutet „ein lesenswertes Buch".

4  Samiha Shafy: „Eine andere Sorte Tier". In: Der Spiegel, Nr. 2, 5.2.2015; S. 127

5  http://www.ndr.de/kultur/buch/tipps/Howard-Jacobson-Im-Zoo,imzoo104.html , 30.1.2015