404: Not Found Zur Entwicklung einer neuen Dauerausstellung im Palais Eskeles, Jüdisches Museum Wien David - Jüdische Kulturzeitschrift

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Zur Entwicklung einer neuen Dauerausstellung im Palais Eskeles, Jüdisches Museum Wien

Andrea BRAIT

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„Sehr sophisticated sieht das Wiener Jüdische Museum nun aus, man könnte es sich auch in Paris oder New York vorstellen",1 urteilte die Journalistin Uschi Sorz im „Falter" wenige Wochen nach der Wiedereröffnung des renovierten Palais Eskeles im Oktober 2011. Mehrere Monate war das Haus geschlossen und präsentiert nun - doch keine neue Dauerausstellung, sondern vielmehr eine Diskussion, die zu einer solchen hinführen soll. Die seit 2010 im Amt befindliche Direktorin Danielle Spera meint: „Wie man jüdische Inhalte 67 Jahre nach der Shoah vermitteln kann, wird international intensiv diskutiert (...). Diese Debatte möchte ich auch in Wien aufgreifen."2

Die im Atrium für ein Jahr präsentierte „Space in Progress"3-Schau, die den Weg zu einer neuen Dauerausstellung begleiten soll, lässt bereits einen klaren Trend erkennen: Das Jüdische Museum wird künftig wohl noch deutlicher als bisher auf die Geschichte der jüdischen Gemeinde in Wien nach 1945 ausgerichtet sein. Spera betont: „Die Shoa wird immer in unserem Bewusstsein bleiben und in unserem Museum mitbedacht. Allerdings soll sie heute nicht mehr im Zentrum stehen. Es gilt, nun das heutige jüdische Leben zu zeigen, die dritte Generation nach der Shoa und wie - aus welchen verschiedenen Facetten - sie sich zusammensetzt."4 Damit scheint das Wiener Jüdische Museum einen anderen Weg einzuschlagen als etwa das Jüdische Museum in Berlin.5

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Blick ins Atrium auf den "Space in Progress" , © Klaus Pichler

Sieben Fragen

Trotz des scheinbar bereits vorgezeichneten Weges sind die Besucher und Besucherinnen derzeit aufgefordert, Inputs zu geben: „Sieben Fragen auf dem Weg zu einer neuen Dauerausstellung" lautet der Titel dieser Werkstatt-Schau. Sie beruht auf einer Idee und einem Konzept von Werner Hanak-Lettner, das die Besucher und Besucherinnen zur Beteiligung anhand dieser Leitfragen animieren will, einer alten rabbinischen Tradition folgend, auf Fragen mit neuen Fragen zu antworten oder Antworten zu finden, die zu neuen Fragen führen: „Was bringt Sie hier her? Was wird hier gesammelt? Kann man die Schoa begreifen? Was kann Kunst im Jüdischen Museum? Wien - Stadt der ImmigrantInnen? Warum gibt es jüdische Museen? Welche Rolle soll Religion im Jüdischen Museum spielen?"

In den hierzu gestalteten Ausstellungsbereichen, die aufgrund der Gestaltung in Form von Werkbänken nochmals auf den Provisoriumscharakter verweisen, stehen kleine Zettel zur Verfügung, auf denen Antworten oder Gegenfragen notiert werden können. Von diesen werden einige ausgewählt und finden sich über den jeweiligen Ausstellungsbereichen auf Schnüren angebracht. Am Beginn der Schau steht die Frage „Was bringt Sie hier her?". In einer kleinen Kabine mit einer Videokamera werden die Besucher und Besucherinnen zu einem Interview geladen, das geleitet wird von Detailfragen wie z.B. „Was erwarten Sie von einem jüdischen Museum in Wien?"6.

An vielen Stellen wird bereits auf Möglichkeiten hingewiesen, welche Schwerpunkte die neue Dauerausstellung haben könnte. So heisst es etwa im Bereich zur Frage „Wien - Stadt der ImmigrantInnen?": „Die zukünftige historische Dauerausstellung des jüdischen Museums könnte die Geschichte der Stadt Wien ... aus der Perspektive jener erzählen, die seit dem Mittelalter hier angekommen sind. Und die Stadt durch ihr Leben und Tun verändert und geprägt haben."7 Das Museum verweist im Rahmen dieser Schau auch auf seine eigene Geschichte und die Geschichte des ersten Jüdischen Museums der Welt, das 1895 in Wien eröffnet und 1938 durch die Nationalsozialisten zerschlagen worden war. Besonders hervorgehoben wird die Judaica-Sammlung von Max Berger, eine der wichtigsten Judaica-Privatsammlungen der Welt, die 1989 durch die Stadt Wien angekauft worden war und damit den Grundstein für das neue Jüdische Museum legte.8 Anhand von ausgewählten Gegenständen dieser Sammlung werden im Bereich „Welche Rolle soll Religion im Jüdischen Museum spielen?" die jüdischen Festtage vorgestellt.

Spera zufolge nimmt das Publikum „die Schau im Atrium sehr gut an". Das Museum bekomme „täglich Feedback, spannende Antworten, zusätzliche Fragen werden aufgeworfen, kreative Anregungen werden gegeben".9 Dass das neu eröffnete Jüdische Museum viele Menschen neugierig gemacht hat, zeigen auch die Besucherzahlen deutlich: Obwohl das Haupthaus neun Monate geschlossen war, konnten 2011 59.471 Besuche verzeichnet werden. Rund 65 Prozent der Besucher und Besucherinnen kommen aus Österreich, der Rest aus dem Ausland, hauptsächlich aus Deutschland, Israel, USA und Frankreich.10

Das rege Interesse erklärt sich möglicherweise auch aus zahlreichen negativen Pressemeldungen während der Renovierungsphase, als Glaswände, auf denen die jüdische Geschichte Wiens in Form von Hologrammen erzählt worden war, zerstört wurden. Direktoren anderer jüdischer Museen schrieben in einem offenen Brief: „Ihre Zerschlagung stellt nicht die Demontage einer Ausstellungsarchitektur dar, sondern den Verlust eines unwiederbringlichen Originals".11 Felicitas Heimann-Jelinek, zum damaligen Zeitpunkt Chefkuratorin des Museums, verliess kurz darauf das Museum.12 Bis zur Eröffnung des renovierten Palais Eskeles hatte sich die Aufregung aber weitgehend gelegt, nur mehr wenige Kommentatoren erwähnten die heftigen Diskussionen um die Hologramme.

Innovative Neuerungen

Die Werkstattschau im Erdgeschoss ist nur ein Teil der Neuerungen, die es im renovierten Museum zu entdecken gilt. Das Palais Eskeles präsentiert sich auch architektonisch verändert. Auf der restaurierten und in schlichtem Weiss gehaltenen Fassade wurde das Wort MUSEON in hebräischer Schrift in Form einer Lichtinstallation von Brigitte Kowanz angebracht. Im Inneren kann der hier seit 1996 angebrachte Wandgemäldezyklus „Installation der Erinnerung" der New Yorker Künstlerin Nancy Spero aus neuen Perspektiven betrachtet werden. Neben grosszügigen Räumen für die Sonderausstellungen in der Beletage, in der auch die Eröffnungsschau „Bigger than Life" (100 Jahre Hollywood. Eine jüdische Erfahrung) untergebracht war, findet sich im Atelier eine Schau, die Heranwachsenden wichtige Rituale des Judentums von der Geburt bis zum Tod näher bringt. Im Extrazimmer werden die Besucher eingeladen, an einem runden Sofa Platz zu nehmen, das einst in der Wohnung von Trude und Max Berger stand, und sich via Tablet-PCs über jene Sammlungsbestände zu informieren, die nicht ausgestellt werden können. Dieser Raum wird auch für kleine Sonderausstellungen genutzt, wie beispielsweise für die Schau „Der Wienerwald in Israel", die im Frühjahr 2012 zu sehen war.

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Blick ins Atelier © Stefan Fuhrer

Das neu gestaltete Schaudepot zeugt vom aktuellen Forschungsstand zu den ausgestellten Stücken und kontextualisiert diese nun: Zu den zu besichtigenden Objekten wurde die Provenienz sichtbar gemacht, und die Besucher und Besucherinnen erfahren über an den Vitrinen angebrachten Texten etwas über deren Geschichte. Hervorragend gelungen ist die Inszenierung der Antisemitika-Sammlung von Martin Schlaff: Die Objekte werden dem Betrachter von der Rückseite gezeigt - ein Spiegel ermöglicht zwar den Blick auf die Vorderseite, jedoch wird damit eine einbezogene Selbstbetrachtung erzwungen.

Im Schaudepot ist der Holocaust sehr präsent: Insbesondere eine interaktive Medienstation zu den zwischen 1825 und 1938 existierenden Wiener Synagogen belegt den grossen Verlust, den die jüdische Gemeinde während der NS-Herrschaft erlitten hat. Darüber hinaus verweist die Sammlung der Israelitischen Kultusgemeinde, die das Museum als Dauerleihgabe betreut, auf zahlreiche Synagogen und Bethäuser, die von den Nationalsozialisten zerstört wurden, wie beispielsweise der Währinger Tempel oder das Bethaus Montefiore. Auch Objekte aus dem alten Jüdischen Museum sind hier zu finden, wie solche aus der „Guten Stube", die vom Künstler Isidor Kaufmann gestaltet wurde und eine Hauptattraktion des Museums war. Gezeigt werden im Schaudepot aber auch moderne Judaica aus aller Welt. In kurzen Dokumentarfilmen kommen darüber hinaus die Sammler Max Berger und Martin Schlaff zu Wort.

Ein Rundgang durch das Palais Eskeles zeigt deutlich, dass das Jüdische Museum zahlreiche Trends in der Museumslandschaft des 21. Jahrhunderts aufgreift. Neben der ausgeprägten Interaktivität, Medialität und Einbeziehung der Besucher und Besucherinnen zählt hierzu auch der Bookshop, in dem neben Ausstellungskatalogen auch zahlreiche Publikationen zum jüdischen Leben, aber auch Souvenirs zu erwerben sind, sowie das völlig neu gestaltete Museumscafé, das unter anderem mit einem speziellen Sortiment von koscheren Weinen wirbt.

Hohe Erwartungen an die neue Dauerausstellung

Nun warten an dem Museum Interessierte gespannt auf die Eröffnung der Dauerausstellung. Trifft die mancherorts geäusserte Vermutung zu, dass die „Space in Progress"-Schau dazu dient, dass die Kuratoren des Museums in Ruhe weiterarbeiten können?13 Oder werden wir viele von den - sicher höchst unterschiedlichen - Anregungen der Besucher und Besucherinnen wieder finden? Und vor allem: Wird das Jüdische Museum die Entscheidungen über die Auswahl der Themen transparent machen?

Spera plant derzeit eine wissenschaftliche Publikation, in welcher die Kommentare der „Space in Progress"-Schau zumindest teilweise publiziert werden sollen. Allerdings ist die Eröffnung der Dauerausstellung bereits für 2013, also zum 20-jährigen Jubiläum des Jüdischen Museums, geplant. Inwiefern dieser knappe Zeithorizont eine Planung auf Basis der „spannende[n] Antworten, zusätzliche[n] Fragen ... [und] kreative[n] Anregungen", von denen Spera berichtet, erfolgen kann, muss bezweifelt werden. Auch deutet in der Werkstattschau bereits einiges daraufhin, dass manche Fragen bereits durch die Kuratoren beantwortet wurden, wenn etwa im Ausstellungsbereich zur Leitfrage „Welche Rolle soll Religion im Jüdischen Museum spielen?" die jüdischen Festtage vorgestellt werden.

Der Bereich „Kann man die Schoa begreifen?" beziehungsweise der erläuternde Text zu diesem zeigt noch viel stärker eine Positionierung des Museums, wenn es hier heisst: „Das Jüdische Museum Wien ist kein Schoa- oder Holocaust Museum."14 Gleichzeitig wird hier auf die Grenzen von musealen Darstellungen verwiesen: „Einige wenige Erinnerungsgegenstände in der Sammlung des Museums erzählen von einzelnen Menschen, die in der Schoa ermordet wurden oder diese überlebt haben. Diese Dinge ermöglichen uns, dieser Menschen zu gedenken. Aber ermöglichen sie es auch, den Mord an über sechs Millionen Jüdinnen und Juden zu begreifen?"15

Zu erwarten ist wohl keine Dauerausstellung im herkömmlichen Sinn. Spera verweist darauf, dass es derzeit international eine nachhaltige Diskussion darüber gibt, „ob und wie sinnvoll permanente  Ausstellungen heute noch sein können. In den USA spricht man heute eher von ‚core exhibition' - also einem fixen Kernstück, um das sich viele verschiedene, flexible Elemente ranken."16 Das wird, so Spera, auch der Weg des Jüdischen Museums sein: „Wir wollen uns Flexibilität ermöglichen, damit wir unseren BesucherInnen immer wieder neue Eindrücke bieten und somit auch Aktualität gewährleisten können."17

Mit diesem Zugang wird es wohl auch in Zukunft gelingen der besonderen Stellung, die dem Jüdischen Museum in der österreichischen Museumslandschaft zukommt,18 gerecht zu werden. Gleichzeitig muss jedoch festgestellt werden, dass dieses Museum nie die grosse Lücke in der österreichischen Museumslandschaft füllen kann, die sich aus der Tatsache ergibt, dass es kein Museum gibt, welches sich der Geschichte Österreichs ohne spezielle thematische Eingrenzung widmet; kein anderes Museum thematisiert die Shoah ausführlich.19 Spera ist nur zuzustimmen, wenn sie konstatiert:

„In Wien fehlt ein Haus, das die Zeitgeschichte thematisiert. Ein Haus der Geschichte wurde über viele Jahre diskutiert und ist leider nicht realisiert worden. ... Wo wird die Shoa thematisiert? Wo wird die Rolle Österreichs im Zweiten Weltkrieg und davor diskutiert? Offenbar ist diese Aufgabe derzeit an die Schulen delegiert worden, wo der Stundenplan aber oft gar nicht die Möglichkeit bietet, sich diesem Thema genügend zuzuwenden."20

Dies macht die Aufgabe des Jüdischen Museums jetzt und in Zukunft noch schwieriger. Während es in den USA viele verschiedene jüdische Museen gibt - Museen der jüdischen Geschichte, Museen der Geschichte der amerikanischen Juden, Holocaust-Museen - muss das Jüdische Museum Wien all das vereinen: „Geschichte, Gegenwart und auch ein bisschen in die Zukunft blicken."21

1  Sorz, Uschi: „Jüdische Geschichten erzählen", in: Falter vom 7. Dezember 2011, Seite 12.

2  Ebenda.

3  Jüdisches Museum Wien (Hrsg): Museum, Wien 2012, Seite 82.

4  Interview der Verfasserin mit Danielle Spera in schriftlicher Form, Antworten übermittelt am 23. April 2012.

5  Eine Besprechung der Dauerausstellung des Jüdischen Museums in Berlin folgt in einer der nächsten Ausgaben von DAVID.

6  Text zum Ausstellungsbereich „Was bringt Sie hier her?", Abschrift in der Ausstellung am 9. April 2012.

7  Text zum Ausstellungsbereich „Wien - Stadt der ImmigrantInnen?", Abschrift in der Ausstellung am 9. April 2012.

8  Vgl.: Text zum Ausstellungsbereich „Welche Rolle soll Religion im Jüdischen Museum spielen?", Abschrift in der Ausstellung am 9. April 2012.

9  Interview der Verfasserin mit Danielle Spera in schriftlicher Form, Antworten übermittelt am 23. April 2012.

10  Vgl.: Ebenda.

11  Dusini, Matthias: Jüdisches Museum: Hologramm ist nicht gleich Holocaust, in: Falter vom 16. Februar 2011, Seite 6.

12  Vgl.: Vieles neu im Jüdischen Museum. Chefkuratorin geht, neue Dauerausstellung kommt, in: Der Standard vom 2. April 2011, Seite 27.

13  Vgl. Dusini, Matthias: Mehr Licht, weniger Holocaust: das Jüdische Museum in neuem Look, in: Falter vom 19. Oktober 2011, Seite 6.

14  Text zum Ausstellungsbereich „Welche Rolle soll Religion im Jüdischen Museum spielen?", Abschrift in der Ausstellung am 9. April 2012.

15  Ebenda.

16  Interview der Verfasserin mit Danielle Spera in schriftlicher Form, Antworten übermittelt am 23. April 2012.

17  Ebenda.

18  Die Direktorin betont: „Das jüdische Museum greift Fragen auf, die kaum woanders thematisiert werden. Die jüdische Geschichte, Gegenwart und Zukunft werden nur hier greifbar gemacht" (Ebenda).

19  So werden die Verbrechen der Nationalsozialisten etwa im Heeresgeschichtlichen Museum zwar keineswegs verschwiegen, doch hauptsächlich in Bezug auf ihre militärhistorische Dimension thematisiert, weshalb insbesondere der Einsatz von KZ-Häftlingen in der Rüstungsindustrie angesprochen wird. Den umfassendsten Überblick bietet derzeit das Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes. Zur Darstellung des Holocaust in österreichischen Museen vgl. u.a. Brait, Andrea: Museale Präsentationen im Umgang mit dem Holocaust. Österreich und Deutschland im Vergleich, in: Weber, Thomas/Keitz, Ursula von (Hrsg.): Medialität des Holocaust, Berlin 2012, Seite 355-388, hier Seite 358-365 (in Druck).

20  Interview der Verfasserin mit Danielle Spera in schriftlicher Form, Antworten übermittelt am 23. April 2012.

21  Ebenda.