Im Rahmen der Essence 2012, der Jahresausstellung der Universität für Angewandte Kunst Wien, veranstaltete das Institut für Konservierung und Restaurierung im Wiener Künstlerhaus am 28. Juni unter dem Titel „Zwischen Tradition und Moderne" eine Podiumsdiskussion zu den jüdischen Friedhöfen in Wien. Die Abteilung Fotografie unter Gabriela Rothemann und Jorit Aust präsentierte dazu eine Ausstellung zum jüdischen Friedhof Währing mit einem sehr kritischen Blick auf Österreichs Umgang mit seiner Vergangenheit. Unter reger Beteiligung der über einhundert Zuhörer diskutierten: Barbara Neubauer (Bundesdenkmalamt), Ariel Muzicant (Israelitische Kultusgemeinde Wien), Stefan Schmidt (Büro für Landschaftsarchitektur), Martin Pliessnig (Restaurator), Tina Walzer (Moderation), sowie die Institutsvorständinnen Gabriela Krist und Gabriele Rothemann (beide Angewandte, Wien).
Die Diskutanten nach erfolgreicher Veranstaltung, v. li.: Barbara Neubauer, Präsidentin des österr. Bundesdenkmalamtes, Ariel Muzicant, Ehrenpräsident der IKG Wien, Gabriela Krist, Vorständin des Instituts für Konservierung und Restaurierung der Universität für Angewandte Kunst, Wien. Foto: Bettina Neubauer, Österreichisches Bundesdenkmalamt, 2012.
Das religiöse Recht der Juden besagt, dass jüdische Friedhöfe auf ewige Zeiten bestehen bleiben müssen. Tatsächlich sind die meisten Areale in Österreich seit der Shoa verwaist, jüdische Friedhöfe stehen in Österreich aber unter Denkmalschutz. Sie sind für das Land vielfach die letzten Zeugen einer untergegangenen Welt. Und jeder Grabstein stellt nichts weniger als die Urform des persönlichen Gedenkens, ein Einzeldenkmal dar. Damit stehen die Bestattungsareale in einem Spannungsfeld zwischen Kultstätte, Erinnerungsort und Denkmal. Zu den Interessensgruppen für ihre Sanierung und Erhaltung zählen neben den jüdischen Gemeinden als Grundeigentümerinnen so unterschiedliche Akteure wie Familienmitglieder, öffentliche Stellen als Förderer und damit letztlich Entscheidungsträger, private Sponsoren, Denkmalbehörden als Aufsichtsgremien, Professionisten, Freiwillige, Museen, Vereine, Anrainer, lokale Bevölkerung, und auch Touristen. Eine Koordination der zweifellos vielfältigen Aktivitäten wäre wünschenswert, jedoch hat sich bislang keine Stelle gefunden, diese Aufgabe zu übernehmen. Nicht beseitigte Schäden aus der NS-Zeit, Bewuchs, Diebstahl sowie unsachgemäßer Umgang gefährden derweilen die Substanz aller Anlagen massiv, und der Verlust von Kulturgut schreitet akzelerierend voran.
Grundlagenforschung und Konzepte liegen in Wien neben dem Areal in der Seegasse auch für den jüdischen Friedhof Währing sowie, in Form einer Detailstudie, für die alte jüdische Abteilung am Zentralfriedhof bei Tor 1 vor. Nach dem Abschluss des Washingtoner Abkommens 2001 liess die IKG Wien am Währinger Areal Musterrestaurierungen durchführen und errechnete den Sanierungsbedarf. Der Restaurator Klaus Wedenig definierte das Sanierungsziel damals überzeugend im Sinne einer Konservierung des Status quo. Das Institut für Konservierung und Restaurierung der Universität für Angewandte Kunst finanzierte im Rahmen des Diploms von Martin Pliessnig die Komplettrestaurierung einer Grabmalanlage bei Tor 1. In der Seegasse werden ebenfalls Grabsteine restauriert. Demgegenüber steht die Praxis, in jüdischen Abteilungen auf Kommunalfriedhöfen, etwa auf dem Döblinger Friedhof oder auch beim Urnenhain der Feuerhalle am Zentralfriedhof, Grabstellen weiterzuverkaufen und neu zu belegt. Hier stehen ökonomische Interessen im Widerstreit mit religiösen Vorstellungen, aber auch mit gesetzlichen Regelungen anderer staatlicher Verwaltungsebenen. Tatsächlich wären all diese Areale durch das Washingtoner Abkommen und den daraus resultierenden Friedhofsfonds des Bundes zur Sanierung und Erhaltung vorgesehen.
Spannungsreicher Beitrag zur Fotoausstellung. Foto: Hessam Samavatian, Das Denken bestimmt den Standpunkt, Silbergelatine-Print, 50x60, 2012. Mit freundlicher Genehmigung der Angewandten Wien.
Die Debatte kreiste um die Frage, ob eine Sanierung die Wiederherstellung des ursprünglichen Erscheinungsbildes unter Ausblendung der NS-Zeit zum Ziel haben könnte -jüdische Friedhöfe sind Erinnerungsorte für die dort Bestatteten, aber eignen sie sich für ein Gedenken an die Shoa (die innerjüdische Perspektive), an den Holocaust (die Außensicht)? An die Brutalität des NS-Regimes und die Zerstörungen des 2. Weltkrieges? Arealbezogene Bestandsaufnahmen einerseits, aber vor allem eine historische Aufarbeitung sowie die daraus folgende öffentliche Debatte des politischen und gesellschaftlichen Kontexts wurden von den Diskutanten einhellig als Voraussetzung dafür festgestellt, Restaurierziele überhaupt definieren zu können.
Anschließend, so einigten sich die Diskussionsteilnehmer, sollte ihre Arbeitsgruppe in internationaler Kooperation und durch fachliche Diskussion Zielvorstellungen entwickeln und damit solide Grundlagen schaffen, um danach Einzelkonzepte, Kostenerhebungen sowie Masterpläne zu erstellen. Erst an deren Durchführung schlösse sich die dauerhafte Aufrechterhaltung des Erreichten. Voraussetzung für einen nachhaltigen Erfolg wären die Einbeziehung sämtlicher kompetenter Stellen, ein fachgerechter Umgang mit den Schäden sowie eine kontinuierliche, sachgerechte Pflege des Bewuchses.
Weiters stand die lange Perspektive im Mittelpunkt der Diskussion: wer wird sich in 10, 20 Jahren um die jüdischen Friedhofe kümmern, wenn es mutmaßlich einige der heute noch vorhandenen jüdischen Gemeinden Österreichs dann nicht mehr geben wird? Diese Frage musste zuletzt unbeantwortet im Raum stehen bleiben.
Die Gesamtfassung der Diskussion ist im Internet unter www.davidkultur.at nachzulesen.
Tina Walzer ist Expertin für jüdische Friedhöfe und leitet die Plattform Jüdisches Erbe zur Bewahrung und Erforschung der jüdischen Friedhöfe in Österreich; Kontakt: jea.info@gmx.at
Literatur: Claudia Theune/ Tina Walzer (Hg.): Jüdische Friedhöfe. Kultstätte, Erinnerungsort, Denkmal. Wien: Böhlau 2011. Tina Walzer: Der jüdische Friedhof Währing in Wien. Entstehung, Zerstörungen der NS-Zeit, Status quo. Wien: Böhlau 2011.