Ewald Nowotny, Gouverneur der Oesterreichischen Nationalbank, im Gespräch
Eine im besten Sinn aussergewöhnliche Begegnung fand an einem stürmischen Oktobertag am jüdischen Friedhof Währing in Wien statt. Anlass war die DAVID-Serie über die hier bestatteten Gründungsmitglieder der Oesterreichischen Nationalbank (OeNB), in deren Rahmen Gouverneur Ewald Nowotny zum Interview gebeten wurde. Mit dem Ersuchen verbunden war die Einladung zu einem Besuch des jüdischen Friedhofs und einer Führung durch Tina Walzer, die Autorin der Serie. Das Sturmtief, das am letzten Oktoberwochenende über Österreich gezogen war, hat auch am jüdischen Friedhof Währing Bäume gefällt, Wege wurden unpassierbar. Der Rundgang erfolgte dann unter ständiger Beobachtung der Bäume, angesichts der beeindruckenden und der vielen entwürdigten Grabmäler wurden die neuen Zerstörungen wie der Gesamtzustand des Friedhofs von den Besuchern mit viel Betroffenheit aufgenommen. Gouverneur Nowotny war in Begleitung zahlreicher an Geschichte und Archäologie interessierter Mitarbeiter der OeNB und seiner Frau gekommen – Ingrid Nowotny engagiert sich in ihrem Geburtsort Frauenkirchen, Burgenland, für die Gedenkstätte Garten der Erinnerung am Ort der ehemaligen Synagoge.1 Am anschliessenden Gespräch haben zum unmittelbaren Informationsaustausch auch OeNB-Archivar Walter Antonowicz und Tina Walzer teilgenommen.
Der Gouverneur der OeNB, Ewald Nowotny und seine Frau zu Besuch auf dem jüdischen Friedhof Währing im Oktober 2017: Vor dem Grabmal von Bernhard Eskeles, Vizegouverneur der OeNB 1816. Foto: T. Walzer, mit freundlicher Genehmigung.
Ewald Nowotny, 73, ist seit 2008 Gouverneur der Oesterreichischen Nationalbank. Nowotny habilitierte sich in Volkswirtschaft an der Universität Linz, als Universitätsprofessor lehrte er u.a. an der TU Darmstadt, an der Uni Linz und an der WU Wien. Politisch engagierte er sich lange Jahre hindurch auf Seiten der SPÖ, ab 1978 vertrat er die Partei mit einem Nationalratsmandat. 1999 wurde Nowotny Vizepräsident der Europäischen Investitionsbank, in diesem Jahr legte er seine politischen Funktionen zurück. Vor seiner Berufung zum OeNB-Gouverneur hatte Nowotny 2006/07 die Funktion des Generaldirektors der BAWAG P.S.K. inne.
DAVID: Herr Gouverneur, was ist Ihr Eindruck unmittelbar nach dem Rundgang im jüdischen Wiener Friedhof Währing?
Gouverneur Ewald Nowotny: Es war ein unglaublich eindrucksvoller Besuch in dieser Mischung aus Geschichte – wir hatten ja eine hervorragende Führung – und dem Kampf mit der Natur. Es ist ein Erlebnis, das ich in dieser Form noch nie gehabt habe. Zu sehen, dass uralte Bäume gefallen sind und uralte Grabsteine gestürzt und zerbrochen haben.
DAVID: Sie sind vor zerstörten, geplünderten Grabstellen jüdischer Mitgründer der Oesterreichischen Nationalbank gestanden. Was geht da in Ihnen, dem heutigen Gouverneur des Instituts, vor?
Gouverneur Nowotny: Was man hier sieht sind die Wurzeln einer Institution. Ich glaube, es ist für jede Institution wichtig, ihre Wurzeln zu kennen und daher habe ich mich bemüht, bei uns im Haus grösseres historisches Bewusstsein zu schaffen. Nach dem grossen Brand im Haus 1979 hat es zum Beispiel keinerlei Porträts der Führungspersönlichkeiten mehr gegeben, auf meine Veranlassung hin sind wieder Bilder angefertigt und für alle sichtbar gehängt worden. Das Besondere bei den jüdischen Mitgründern der Bank ist, dass es um eine Beziehung und Vergangenheit geht, die ausgelöscht worden ist. Hier wieder anknüpfen zu können, ist faszinierend.
DAVID: Welches Bewusstsein herrscht in der Oesterreichischen Nationalbank ihre Gründungsmitglieder von 1816 betreffend? Kaiser Franz I. hat nach dem Ende der teuren Napoleonischen Kriege mit der neuen „Privilegirten oesterreichischen National-Bank“ ja die Staatsfinanzen konsolidieren lassen, darüber hinaus haben die Aktionäre eine grössere Wirtschaftskrise abgewendet. Gibt es ein Wissen, dass zur Gründung auch jüdische Aktienkäufer wesentlich beigetragen haben?
Gouverneur Nowotny: Zum 200-jährigen Gründungsjubiläum im Vorjahr haben wir einen wissenschaftlichen und einen für das breitere Publikum interessanten Band herausgegeben.2 Darin sind natürlich auch die jüdischen Gründer wie Bankier Nathan Adam Freiherr von Arnstein und Berhard Freiherr von Eskeles genannt, Eskeles war auch Mitglied der Direktion.
DAVID: Unter den Aktionären der Anfangsjahre dürften sehr viele jüdische gewesen sein.
Archivar Walter Antonowicz: Wir haben die frühen Aktionärslisten und darin scheinen viele Namen auf eine jüdische Herkunft hinzudeuten und ich bin von Seiten des Archivs der Nationalbank gerne bereit, die Forschungen von Magister Walzer zu unterstützen.
Tina Walzer: Aus den mir vorliegenden Listen und einer Aufstellung der wichtigsten der ersten einhundert Aktionäre, die ich in der Laibacher Zeitung gefunden habe, ergeben sich zu den dort genannten Namen von Persönlichkeiten hier auf dem jüdischen Friedhof über einhundert Gräber. Ich freue mich sehr auf die Zusammenarbeit mit dem Archiv der Nationalbank.
DAVID: Als eigene Gruppe sind die jüdischen Aktionäre der Nationalbank demnach bisher nicht untersucht?
Gouverneur Nowotny: Nein. Und sie waren ja auch keine eigene Gruppe sondern wichtige Wirtschaftsleute dieser Zeit. Nach dem, was ich bei der Führung heute gehört habe, wollten sie auch nicht als eine gesonderte Gruppierung gesehen werden sondern sie haben gemeinsam mit anderen am Aufbau mitgewirkt.
DAVID: Die Geschichte von Baruch Bernhard Eskeles (1753 – 1839) erzählt – gemeinsam mit der seines Kompagnions Nathan Adam Arnstein – viel über das weit gespannte Schaffen dieser Menschen. Die Grabmonumente der Eskeles und das von Fanny Arnstein wurden Ende der 1990er Jahre durch Vandalen beschädigt, das Grabmal von Nathan Arnstein wurde nach der Not-Exhumierung seines Leichnams während des NS-Regimes gestohlen und fehlt. Muss man angesichts des Zustands ihrer Gräber nicht den Eindruck haben, dass die Menschen vergessen worden sind?
Gouverneur Nowotny: Es berührt einen. Gerade die Leerstelle Arnstein ist berührend. Zum anderen wächst das Bewusstsein. Wenn ich etwa an Ephrussi denke, über das Buch „Der Hase mit den Bernsteinaugen“3 sind sie ja weltweit bekannt geworden. Das Palais Ephrussi an der Ringstrasse kenne ich schon lange, da es ja Sitz der österreichischen Casino AG war, an der die Nationalbank im Weg der Münze Österreich eine Beteiligung hatte. Oder auch Arnstein. Ich glaube also nicht, dass diese Menschen ganz vergessen sind. Für mich ist aber das ganz Persönliche interessant, das ich heute hier über die Menschen erfahren habe, die man als grosse Wirtschaftsförderer und -kapitäne kennt: dass sie an der Seite ihrer Mutter bestattet sind, die Mutter als Zentrum, das ist eine wunderbare Geschichte.
DAVID: Jede Generation stellt neue Fragen an die Geschichte. Welche Fragen sehen Sie in Zusammenhang mit dem Entstehen der Oesterreichischen Nationalbank für unsere Generation?
Gouverneur Nowotny: Die erste zentrale Frage ist natürlich die nach der Stabilität. Notenbanken haben die zentrale Aufgabe, wirtschaftliche Stabilität zu sichern. Die Nationalbank ist als Notmassnahme in einer Zeit der Instabilität nach den Napoleonischen Kriegen entstanden. Als Kenner der Wirtschaftsgeschichte muss man natürlich sagen, dass sie diese Stabilität nicht permanent garantieren konnte. Das dokumentiert, wie schwierig es ist, diese Stabilität aufrecht zu halten, wie gefährlich die Übertragung politischer Instabilität auf die Wirtschaft ist und umgekehrt zeigt es die Gnade, dass wir schon so lange in wirtschaftlicher Stabilität leben können.
DAVID: Für uns alle ist die Nationalbank eine fixe Grösse. Dass sie, auf kaiserliches Privilegium hin, durch das Engagement privater Aktionäre geschaffen wurde, scheint wenig bekannt.
Gouverneur Nowotny: Es war der Zug der Zeit. Alle grossen Notenbanken, auch die Bank of England, sind zunächst als private Gesellschaften mit staatlichen Privilegien entstanden. Die Bank of England ist überhaupt erst nach dem Zweiten Weltkrieg verstaatlicht worden. Diese Entstehungsgeschichte bedeutete, dass die Notenbank – trotz ihrer staatlichen Aufgabe – eine besondere Beziehung zu ihren privaten Aktionären hatte.
DAVID: Sprechen Sie jetzt von der OeNB?
Gouverneur Nowotny: Das Gesagte gilt für den Beginn aller dieser Institutionen. Zugleich hat sich dadurch eine sehr enge Verbindung zur Bankenwelt ergeben: man hat von der Notenbank ja von der „Bank der Banken“ gesprochen. Ich habe in meiner Antrittsrede als Gouverneur im Herbst 2008 deutlich gesagt, „Wir sehen uns heute nicht als die Bank der Banken, sondern als die Aufsichtsinstanz über die Banken.“ Wir stehen also in einer gesamtstaatlichen Verpflichtung.
DAVID: Zu ihrer Erörterung passt, was Tina Walzer in ihrer Führung über die jüdischen Aktionäre der Nationalbank gesagt hat, nämlich, dass sie – auch um den Anfang des 19. Jahrhunderts ungesicherten Status von Juden zu verbessern – in das staatliche Gesamtgefüge investieren wollten. Dieses Engagement von Menschen, die über ihre direkten eigenen Belange hinaus blickten, könnte heute vielleicht als „Role Model“ dienen.
Gouverneur Nowotny: Das ist sicherlich richtig. Es gibt ja in der Literatur sehr viele Hinweise, dass gerade Juden die treuesten Untertanen des Kaisers waren und an der Stabilität dieses Staates enormes Interesse hatten. Wahrscheinlich waren sie daher auch bereit, sich hier verstärkt zu engagieren. Dazu kommt historisch auch, dass das Bankwesen zu einem grossen Teil in der Hand jüdischer Familien war. Dazu möchte ich aus meiner Familiengeschichte etwas erzählen: im Band über die Millionäre in der Monarchie4 ist der einzige Bankier, der Millionär und nicht jüdisch war, mein Urgrossvater. Die grosse Stärke der Bankiers aus dem jüdischen Bereich lag ja in ihren vielen internationalen Verbindungen. Das wird gerade auf diesem Friedhof sehr deutlich. Und es ist etwas, das man gut auf die heutige Welt übertragen kann: denn es gibt ja wahrscheinlich kaum einen Wirtschaftsbereich, der international so verflochten ist wie das Bankwesen.
DAVID: Bundeskanzler Christian Kern hat auf die Frage nach einer möglichen Bringschuld der Nationalbank, die Geschichte ihrer Gründer und ihre Grabmonumente zu bewahren, in einem Interview mit dem DAVID im Sommer gemeint: “Tradition zu bewahren und unsere Verpflichtung hoch zu halten ist in jedem Fall die richtige Entscheidung. Man kann da nie zu viel tun.“ Wäre es vorstellbar, dass die Nationalbank für Grabmäler eine Art Patenschaft übernimmt?
Gouverneur Nowotny: Ich muss Ihnen ganz ehrlich sagen, ein Ergebnis des Rundgangs heute ist meine Überlegung, dass wir uns hier engagieren wollen. In welcher Weise wird sich zeigen. Persönlich neige ich dem Gedanken zu, das Engagement dem gesamten Friedhof zukommen zu lassen. Auch, um zu unterstreichen, dass die Geschichte des Judentums in Österreich nicht nur eine der grossen bekannten Familien war. Aber dass wir etwas machen wollen, ist das Ergebnis des heutigen Nachmittags. Besonders hat mir gefallen, dass Frau Walzer über Unternehmen erzählt hat, deren Mitarbeiter zum gemeinsamen Arbeiten hierherkommen. Es wäre für mich schön, wenn wir hier nicht bloss zu einem finanziellen, sondern zu einem Gemeinschaftsengagement kommen könnten. Wir werden intern darüber reden, denn es soll ja freiwillig geschehen. Aber diesen Gedanken nehme ich mit.
DAVID: Würde das bedeuten, dass Ihr Besuch gemeinsam mit Mitarbeitern der Notenbank heute ein Beginn ist?
Gouverneur Nowotny: Richtig. Und ich freue mich, dass eine grosse Zahl unserer Mitarbeiter heute mitgekommen ist. Es zeigt, dass so etwas von vielen getragen wird und unser ebenfalls heute anwesender Archivar Walter Antonowicz ist jemand, der auch die historischen Fakten bereitstellen kann. Ich werde meinen Kollegen berichten, Sie werden von uns hören, um es so auszudrücken. Wenn wir eine Gemeinschaftsaktion hier am Friedhof zustande bringen, mache ich selbst auch mit.
DAVID: Herr Gouverneur, vielen herzlichen Dank für das Gespräch!
1 Seit 2016 gibt es an jener Stelle, wo bis 1938 die Synagoge von Frauenkirchen stand, die beeindruckende Gedenkstätte Garten der Erinnerung. Link: http://www.garten-der-erinnerung.at/gedenkstaette.html
2 Die Oesterreichische Nationalbank. Seit 1816. Wien, Brandstätter 2016.
3 Edmund de Waal, Der Hase mit den Bernsteinaugen. Wien, Zsolnay 2011. Der Autor ist einer der Nachkommen der Wiener Familie Ephrussi.
4 Roman Sandgruber, Traumzeit für Millionäre. Die 929 reichsten Wienerinnen und Wiener im Jahr 1910. Wien, Styria 2013.