Ausgabe

Die Shakh-Synagoge in Holleschau (heute Holešov, Tschechische Republik)

Tina WALZER

Inhalt

Das mährische Städtchen Holleschau erhielt bereits im 15. Jahrhunderts das Stadtrecht. Es liegt am Rande eines einst sehr wohlhabenden Bauernlandes, der Hanna, und am Fusse des Hosteiner Berglandes, berühmt für seinen Waldreichtum. Nicht zufällig hat sich später Michael Thonet hier mit seiner Bugmöbelproduktion angesiedelt; kurze Zeit darauf folgten seine Konkurrenten Jacob und Josef Kohn. Seit der Stadterhebung hatten Juden in Holleschau gelebt. Der aus Litauen hierher geflohene, berühmte Gelehrte Shabtai ben Meir ha-Kohen Shakh (dt. Schach) gab der Renaissance-Synagoge ihren Namen.

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Die ausgezeichnet erhaltenen Fresken im Inneren der Synagoge wurden von Flüchtlingen aus Polen im 17. Jahrhundert angefertigt.

 

Die älteste erhaltene Urkunde über Juden in Holleschau datiert aus 1391. Juden lebten hier seit dem 14. Jahrhundert, und nach der Vertreibung aus den mährischen Königstädten im Jahre 1454 kamen viele weitere Flüchtlinge nach Holleschau – genauso wie in das benachbarte Leipnik (Lipník nad Bečvou) oder nach Mährisch-Weissenkirchen (Hranice).

Holleschau sollte ein besonderes Zentrum des Judaismus werden. Eine zweite Welle an Flüchtlingen kam aus dem Osten hierher, als der Kosakenführer Bohdan Chmelnyzkyi (1595 - 1657) Gemetzel an den Juden im Gebiet der heutigen Ukraine anrichten liess. Unter der

Führung des aus Litauen geflohenen Gelehrten Shabtai ben Meir ha-Kohen Shakh (1621 – 1663, deutsch Schach, tschechisch Šach, nach seinem wichtigsten Buch Sifse Kohen) blühte die etwa 250 Familien zählende Gemeinde auf und sollte im Jahre 1848 sogar einen Höchststand von 1.700 Mitgliedern erreichen, was etwa ein Drittel der Einwohnerschaft der Stadt darstellte.

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Der im Osten gelegene Eingang der Renaissance-Synagoge von Holleschau.

 

Die erstaunliche Renaissance-Synagoge aus dem Jahr 1560, die erhalten geblieben ist, legt heute noch Zeugnis von der überragenden Bedeutung Holleschaus ab: ein nach aussen puristischer weisser Kubus mit scharf eingeschnittenen Fensteröffnungen, glaubt man eigentlich vor einem Werk der Weissen Moderne zu stehen – Erinnerungen an Le Corbusiers Kapelle in Ronchamp werden wach. Die Synagoge, heute benannt nach Rabbiner Schach, wurde mehrmals erweitert, zuletzt in der Barockzeit, als auch das Innere neu gestaltet wurde. Die schmiedeeiserne Bima kann es leicht mit jener aus der Prager Alt-Neuschul aufnehmen, ganz besonders bemerkenswert sind auch die Malereien, die sich über drei Etagen von der Synagoge über die Frauengalerie bis in die einstigen Schulräume hinaufziehen.

 

Nach 1848 begannen die Juden, wieder in jene alte Königsstädte zu ziehen, aus denen sie im Mittelalter vertrieben worden waren. Nun konnten sie sich wieder hier niederlassen, hatten Entwicklungsmöglichkeiten und letztlich auch mehr Sicherheit. Denn in Holleschau tobten 1899 und nochmals 1918 Po-grome, der letztgenannte, bei dem zwei Menschen umgebracht wurden, fand sogar erst in der gerade neu entstandenen Tschechoslowakei statt. Waren das antijüdische Ausschreitungen, oder eher Judenhass gepaart mit antideutschen Ressentiments? Die Spannungen schienen jedenfalls gross gewesen zu sein, denn gerade in Holleschau formte sich die tschechische faschistische Bewegung (Narodní obec fašistická) unter Radola Gaj-da (1892 – 1948). Hinzu kommt, dass in Holleschau die tschechische Polizeiakademie eingerichtet wurde, die dann von den deutschen Besatzern übernommen und von den Kommunisten weitergeführt wurde. Sie ist bis zum heutigen Tage hier angesiedelt.

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Original erhaltenes rituelles Handwaschbecken in der Eingangshalle der Synagoge.

 

Die grosse neologe Synagoge, 1891-93 im maurisch-orientalischen Stil vom bekannten Wiener Architekten Jakob Gartner (1861 Přerov – 1921 Wien, errichtete auch in Wien vier Synagogen) geplant, wurde 1941 in Brand gesteckt und anschliessend dem Erdboden gleich gemacht. 200 Menschen wurden in der Shoah ermordet. Einige wenige Juden kehrten nach dem Kriege zurück und erneuerten für kurze Zeit die Gemeinde.

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 Blick aus dem Hauptraum hinauf zur Frauengalerie.

 

Die Renaissancesynagoge wurde 1964 renoviert und ist seither als Museum für die Geschichte der mährischen Juden geführt. Unverständlicherweise hat man allerdings in den 1970er Jahren die bis dahin komplett erhaltenen Häuser des ausgedehnten Ghettos, das sich damals noch mit fünfzig Gebäuden über vier Strassenzüge erstreckte, zerstört. Einst hatte das Ghetto 108 Häuser entlang der Strassenzüge Přerovska, Příční, Dlažánky, Mála und U Potoka sowie beim Námestí Svobody umfasst.

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Bemalte Holzdecke im zweiten Stock des Synagogen-Nebengebäudes.

 

Der am nördlichen Ende des früheren Ghettos gelegene Friedhof beeindruckt zunächst vor allem mit seinen sehr wertvollen Rabbinergräbern, die in einer Gruppe auf der Spitze eines Hügels im westlichen Bereich des Areals zu finden sind. Es handelt sich um regelrechte Sarkophage nach polnischem Muster, die auch heute noch aus aller Welt Besucher anziehen, sie sind über und über mit Steinchen und Kwittel-Zetteln übersät. Die Ursprünge dieses Begräbnisplatzes sind aufgrund der lückenhaften Überlieferung unklar, reichen aber jedenfalls in die zweite Hälfte des 15. Jahrhunderts zurück. Der älteste heute noch lesbare Grabstein stammt aus dem Jahr 1647. Bei näherer Betrachtung finden sich daneben noch eine ganze Reihe sehr wertvoller, stark skulpturierter Renaissance-Grabsteine mit überaus kunstvoll ausgearbeiteten Schriftbildern, die gut erhalten sind. Auch die Produzenten des allseits beliebten Jellinek-Schnapses Slivovice (den es auch in einer koscheren Variante zu kaufen gibt), die Familie Jellinek (dt. Hirschlein) aus Vizovice sind auf dem jüdischen Friedhof von Holleschau bestattet. Die bislang letzte Bestattung auf dem weitläufigen Areal fand 1975 statt, rund 1.500 Grabsteine sind erhalten.

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Modell der neuen, neologen Synagoge von Jakob Gartner, die 1941 zerstört wurde, in der Winterschul.

 

Aus Holleschau stammte nicht nur der um die Geschichte der Wiener jüdischen Gemeinden sehr verdiente Historiker Gerson Wolf (1823 – 1892 Wien), sondern auch der bekannte österreichische sozialdemokratische Jurist Arnold Eisler (1879 – 1947 New York), der 1938 nach New York fliehen musste. Dort war er Vorstand der Sozialisten Österreichs in Amerika. Seine Wiener Anwaltskanzlei samt Wohnung in der Skodagasse 1 „übernahm“ Adolf Schärf. Eine Marmortafel, die an Eislers Wohnhaus angebracht wurde, erinnert: „Hier lebte Adolf Schärf von 1938-1965, Baumeister des neuen demokratischen Österreich“.  Arnold Eisler wird nicht erwähnt. Aus Holleschau stammt übrigens auch der 1828 geborene Julius Jonas Fischer, Urgrossvater des ehemaligen österreichischen Bundespräsidenten Heinz Fischer.1

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Grabmonumente sehr verehrter Rabbiner auf dem Rabbinerhügel des Friedhofsareals.

 

In Holleschaus Umgebung liegt die Stadt Zlín. Sie ist berühmt für ihre Schuhfabrik Bat‘a. Tomáš Bat‘a baute hier in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts sein Klein-Amerika, sein Klein-Chicago. Noch heute dient Zlín als Filmkulisse für amerikanische Filme. Die Atmosphäre einer Industriestadt der Zwischenkriegszeit hat sich erstaunlicherweise ungebrochen erhalten, die Fabriksgebäude sind in ausgezeichnetem Zustand und in der Zentrale ist eine Bat’a-Ausstellung eingerichtet. Heute ist Zlín vor allem eine vibrierende Studentenstadt. Auf dem Waldfriedhof von Zlín, hoch über der Stadt gelegen, gibt es auch eine kleine jüdische Abteilung mit den Gräbern der Angestellten der Schuhfabrik.

Alle Fotos: T. Walzer 2017, mit freundlicher Genehmigung.

 

1 https://www.geni.com/people/

Julius-Fischer/6000000025459611631; abgerufen am 09.11.2017.