Ausgabe

Wie ein Traum

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Nejusch: Die Hand der Miriam. Mit Bildern von Janina. Mit einem Nachwort von Hilde Gött

Berlin: Lichtig Verlag 2009 

43 Seiten, Euro 14.90

ISBN 3-929905-22-1

  

Leicht und in vielen Farben schweben die Formen über das Papier, die die Tochter mit dem Pinsel auf das Papier zaubert oder mit den Fingernägeln abkratzt, während sie den traumhaften Worten der Mutter lauscht. Bei mehr als der Hälfte kommt es vor oder ist Teil der Form: Rot, verwässertes Rot, kräftiges, heftiges Rot, aufgetragen mit einem breiten Pinselstrich, schüchtern hervorlugend unter dem Schwarz und Braun, dem Lila und dem Hellrosa, dann wieder blutrot und auf- und abwogend in Kreisen und Kurven. Hin und wieder ist alles Grün, Hellgrün, Mittelgrün bis Schwarzgrün, grüne Pinselstriche, aufsteigend in Ellipsen und verschlungenen Kreisen, dazwischen eine hellbraune Maske, aus der verstohlen Augen furchtsam lugen, und ein schwarzes spinnenförmiges Gebilde vor einem changierenden orangenfarbenen Hintergrund. Am Ende ein braunes Gesicht mit einem offenen und einem fast geschlossenen Auge, die spitze Nase greift wie ein Pfeil nach unten.

Was hört die Tochter, während ihr Pinsel mit den Farben dergestalt über das Papier wandert?  Sie hört vom Traum ihrer Mutter. Von ihrer Reise im Bett durch die Luft und durch die Nacht. Von dem Geist, zornig und griesgrämig, der auf der Wolke sitzt, in das sich das Bett verwandelt hat. Immer eisiger wird es, immer brausender der Wind. Hagelkörner und Eiszapfen jagen durch die Nacht, ein gewaltiger Lärm liegt in der Luft.

Ein Wunderrabbiner schaut zum Himmel auf; er fängt den zornigen Geist in seinem Schmetterlingsnetz ein, fischt ihn behutsam daraus hervor. Kann er dem Geist helfen? Sieht er etwas in den Augen des Geistes? Mit seiner Parabel vom Staudamm, der den Fluss austrocknet, befreit er die Mutter aus ihrem Traum. Und noch einen Traum hat die Mutter. Die Sonne führt sie zum Wunderrabbiner, der legt ihr Worte der jüdischen Weisheit ins Herz. Schneeschmelze, Tauwetter, der Geist öffnet seine Augen hinter der Eiskruste. Im Keller findet er sechs farbige Steine. Mit ihren heilenden Kräften kehrt er in die lebendige Welt zurück und wird eins mit der träumenden Mutter.

Die Mutter wacht auf, die Tochter wacht auf und blickt ihrer Mutter direkt in die Augen.

„Vier Jahre alt war das Mädchen gewesen, als die Mutter sich eingestanden hatte, dass es anders als die anderen Kinder in seinem Alter war." Es ist ein langer Weg vom Erkennen bis zum Akzeptieren. Die Träume helfen der wachen Mutter, Trost zu finden und Freude, Freunde und Zuversicht und auch die Liebe zu ihrer Tochter und zu sich selbst. Die Hand der Miriam handelt von Trauer, von Verzweiflung, um zu Akzeptanz, Zuversicht und Liebe zu führen. Ein tröstliches Buch, das hoffentlich nicht nur anderen betroffenen Müttern und Eltern Trost spendet.