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Die virtuelle Rekonstruktion der Synagoge Krems an der Donau

Hubert JAGSCH

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„... Auf Weisung des Landeskonservators wurde aufgrund von Informationen des Magistrates der Stadt Krems am 10.3.1978 eine Unterschutzstellung der ehemaligen Synagoge begonnen ... obwohl eine Baugenehmigung vorlag - wie sich nachträglich herausstellte -, die am 10.3.1978, 0.00 Uhr in Rechtskraft erwuchs und derart genützt wurde, dass um 11 Uhr vormittags bereits das komplette Dach und der Dachstuhl abgetragen waren. Aufgrund dieses Sachverhaltes und telefonischer Mitteilung vom Kulturamt der Stadt Krems wurde nach Rücksprache des Sachbearbeiters mit dem Landeskonservator für Niederöster-reich von einer Unterschutzstellung Abstand genommen."1

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Max Fleischer, Aquarell Innenansicht Synagoge Krems Archiv Jüdisches Museum Wien

Schon im 12. Jahrhundert siedelten sich die ersten jüdischen Familien in Krems an. Krems stellte bis zur Mitte des 12. Jahrhunderts den bedeutendsten Handelsplatz der babenbergischen Mark dar, die erste Münzstätte und die Lage an der Donau förderten den Handel der damaligen Zeit, der auch jüdische Familien anzog. Durch die Vertreibung von 300 Juden aus Krems 1420/21 hörte die mittelalterliche Kremser Judengemeinde zu bestehen auf. In den folgenden Jahrhunderten besuchten Juden lediglich als Kaufleute die für die Region besonders wichtigen Jahrmärkte in Krems.

Erst nach 1848 wurden Juden wieder sesshaft und bildeten Kultusgemeinden. Mit Bewilligung des Kreisamtes vom 2. Juni 1848 wurde den Juden in Krems ein Bethaus zugestanden, und im Jahr 1851 wurde der erste Statutenentwurf für den israelitischen Betverein vorgelegt. Die endgültige Genehmigung der Statuten erfolgte am 19. Dezember 1861.

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Ansicht Nord

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Blick Galerie zu Thoraschrein

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Parterre Sitzreiche zu Thoraschrein

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Blick von Thoraschrein zu Eingang

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Galerie zu Eingang Parterre

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Ansicht West

Die Abbildungen wurden uns dankenswerterweise von Herrn DI Hubert Jagsch zur Verfügung gestellt.

Langwierige Suche nach einem Synagogen-Bauplatz

Ab 1872 begann die Israelitische Kultusgemeinde Krems einen Bauplatz für die Errichtung einer Synagoge zu suchen. Sie interessierte sich für den Baugrund „in der Realschulgasse hinter Dr. Stingl's Garten". Vom Grundkauf wurde Abstand genommen, die finanziellen Mittel hätten nur für den Grund, jedoch nicht für den Neubau der Synagoge gereicht. Erst eine Erbschaft über 10.000 Gulden im Jahr 1876 ermöglichte der Kultusgemeinde den Bau eines Tempels. 1880 interessierte sich die jüdische Gemeinde für einen weiteren Bauplatz Ecke Donaustrasse/Heinz Strasse, doch auch dieser Kauf wurde nicht realisiert.

Die Ansuchen im den Jahren 1890 und 1892 um Überlassung städtischer Baugründe zur Erbauung einer Synagoge lehnte der Gemeinderat der Stadt Krems ab. Jedoch wies Bürgermeister Heinemann 1892 den Gemeinderat darauf hin, dass der Bau einer Synagoge seiner Meinung nach nicht verhindert werden könnte und auch nicht verhindert werden sollte. Er gab zu bedenken, dass die Gemeinde bei weiteren Ablehnungen von Kaufgesuchen städtischer Gründe jeden Einfluss auf die spätere Lage verlieren werde. Denn es sei anzunehmen, dass früher oder später ein reicher Jude ein Grundstück erwerben würde, und der Gemeindevertretung bliebe in diesem Falle nichts anderes übrig, als zuzustimmen. Zwei Monate später, am 19. April 1892, erwarb die Israelitische Kultusgemeinde Krems ein Grundstück in der Dinstlstrasse zum Bau einer Synagoge. In der Gemeinderatssitzung vom 25. Jänner 1893 wurde das Projekt mit fünfzehn gegen acht Stimmen gemäss den vorgelegten Plänen bewilligt. Am 15. Juli 1893 genehmigte die niederösterreichische Statthalterei den Bau.

  

Der renommierte Architekt Max Fleischer

Die Baupläne lieferte der Wiener Architekt Max Fleischer. Der am 29. März 1841 geborene Fleischer absolvierte in Wien seine Ausbildung an der Technischen Hochschule und an der Akademie der bildenden Künste, unter anderem bei Friedrich von Schmidt, und war ein bedeutender jüdischer Architekt der damaligen Zeit. Er war aktives Mitglied der Israelitischen Kultusgemeinde Wien und erlangte als Erbauer von Synagogen grosse Bedeutung. Er errichtete nicht nur drei Tempel in Wien und zwei in Niederösterreich, sondern auch in den damaligen Kronländern der Donaumonarchie, u.a. in den Städten Budweis, Pilgram und Brünn. Neben vielen Grabdenkmälern erbaute Fleischer darüber hinaus auch Villen sowie Wohn- und Warenhäuser, die heute noch in Wien zu finden sind.

Die Bauführung der zwischen 1893 und 1894 errichteten Synagoge Krems übernahm Josef Utz sen., wobei auch sein Sohn Josef Utz jun. am Bau beteiligt war. Die Tempelweihe wurde bereits am 25. September 1894 durch Dr. Güdemann vollzogen. Der Bau kostete ohne Baugrund, aber mit Einrichtung, insgesamt 58.000 Kronen.2

Max Fleischer plante eine Synagoge im Stil der deutschen Renaissance. Verschiedene Elemente dieses Stils wurden in der strassenseitigen Hauptfassade im Giebel vereint. So ist der dreistufige Giebel mit den seitlichen Voluten ein Komglomerat aus der strukturellen Urform des Fassadengiebels von Santa Maria Novella in Florenz, die seitlichen Viertelbögen haben ihr Vorbild im Giebel der Fassade der Kirche San Zaccaria in Venedig.3 Die Wahl fiel bewusst auf diesen Stil, der eine möglichst harmonische Eingliederung des Baus in die Fassaden der umgebenden Häuser ermöglichte.

Der zweigeschossige Bau selbst war ein Hallenbau über rechteckigem Grundriss. Ein höheres und auch breiteres „Querhaus", das den Stiegenaufgang zur Galerie enthielt, war dem Hauptraum vorgelagert. Die Hauptstiege, eine dreiteilige gegenläufige Stiege, führte in das Obergeschoss. Diese erschloss nicht nur die Frauengalerie, sondern auch noch ein Sitzungszimmer und eine Kanzlei, welche seitlich der Stiegenanlage im Querhaus angeordnet waren. Darunter im Parterre befanden sich Vorhallen, die den Männern vorbehalten waren. Der Hauptraum wurde durch die umlaufende Frauengalerie in verschieden hohe Räume geteilt. Der Aufbau war durch die unterschiedlichen Höhen einer Basilika nachempfunden und wurde mit flachen Kassettendecken versehen, die mit Gipsstuck verziert waren. Die Beleuchtung erfolgte durch Gaslicht. Eine Besonderheit stellte die installierte Abluftanlage dar, welche in den einzelnen Deckenkassetten Abzüge hatte und über einen gemeinsamen Schlot über das Dach ins Freie führte. Die Innenausstattung aus Holz umfasste neben den Sitzbänken auch den Bereich des Thoraschreins und des Almemors. Da die Inneneinrichtung 1938 zerstört wurde, konnte nur eine von Architekt Fleischer selbst gemalte Innenansicht zur Rekonstruktion der Inneneinrichtung herangezogen werden.

  

Die Synagoge bleibt fast unbeschädigt

Im Herbst 1938 wurde die Israelitische Kultusgemeinde Krems gezwungen, die Synagoge der Stadt Krems zu überschreiben. Zuvor, am Wochenende des 17. und 18. September 1938, mussten die Kremser Juden unter Aufsicht der SA die Synagoge räumen. Als Grund für die Aktion schoben die Nationalsozialisten die Ankunft von 70 sudetendeutschen Flüchtlingen vor, die eine Unterkunft benötigen, bevor sie weiter nach Herzogenburg und Melk gebracht werden sollten.

Die Matriken der IKG übernahm der Landrat Krems. Am 22. September 1938 unterschrieben Karl Rephan und Oberbürgermeister Franz Retter vor dem Kremser Notar Rudolf Dorn den Schenkungsvertrag4. Auch die übrigen Liegenschaften der Kultusgemeinde wurden enteignet und 1944 von der Stadt Krems gekauft. Bis 1940 wurden alle Kremser Juden aus ihrer Heimatstadt vertrieben.5

Die Rückstellung aller Liegenschaften in Krems an die Israelitische Kultusgemeinde Wien erfolgte 1952.6

Bemerkenswert scheint die Tatsache, dass, obwohl die meisten Synagogen in der Nacht vom 9. auf 10. November 1938 niedergebrannt wurden, die Synagoge in Krems kaum beschädigt wurde. Auch die schweren Bombenangriffe in den letzten Monaten des zweiten Weltkrieges, die hauptsächlich der unmittelbaren Umgebung des Bahnhofs gegolten haben, fügten der Synagoge keinen Schaden zu.

In den Jahren 1952 bis 1969 gab es immer wieder Anfragen an die Israelitische Kultusgemeinde Wien, ob die ehemalige Synagoge käuflich zu erwerben sei. An alle Interessenten erging die Antwort, dass ein Verkauf generell nicht in Frage käme, auch wenn das Gebäude nicht benützt würde. Im Juni 1969 änderte die IKG ihren Kurs. Es wurde über die Liegenschaft ein Schätzgutachten erstellt. Letztendlich wurde am 2. September 1971 die Liegenschaft Krems Dinstlstrasse 3 um 570.000 öS an die KONSUM Konsumgesellschaft „Niederösterreich-West" und die „Erste St. Pöltner Dampfbäckerei" verkauft.7

Die neuen Grundeigentümer begannen mit der Planung eines neu zu errichtenden Wohn- und Geschäftshauses, welcher auch den Abbruch der Synagoge beinhaltete. Dem Bundesdenkmalamt wurden die Entwürfe übermittelt. Dieses betonte in der Stellungnahme vom 3. Dezember 1973, dass der ehemalige Stadtturm aus dem 15. Jahrhundert, der sich auf der Liegenschaft der Synagoge befindet, unter Denkmalschutz stünde. Die Synagoge blieb unerwähnt.

Am 31. Jänner 1978 erfolgte die Ausstellung des Baubescheids. Dieser Bescheid wurde am 10. März 1978 um 00.00 Uhr rechtskräftig, woraufhin noch am Vormittag desselben Tages mit den Abbrucharbeiten begonnen wurde.

Heute befindet sich noch das im Jahr 1978 errichtete Büro- und Geschäftsgebäude an der Stelle der ehemaligen Synagoge und eine Gedenktafel der Israelitischen Kultusgemeinde Wien erinnert an den von 1894-1978 bestandenen Tempel.

Anmerkungen

1   Schreiben Bundesdenkmalamt vom 19. Juli 1978.

2   Fleischer, Max: „Synagoge in Krems", in „Der Bautechniker. Centralorgan für das österreichische Bauwesen.", XXII. Jg., Nr. 19, S. 410.

3   Heidrich-Blaha, Ruth: „Die Synagoge in Krems von Max Fleischer" in Polleross Friedrich (Hg): „Die Erinnerung tut zu weh: Jüdisches Leben und Antisemitismus im Waldviertel", Waldviertler Heimatbund, Horn: 1996, S. 224f.

4   Ebenda.

5   Hruschka, Hannelore: : „Die Geschichte der Juden in Krems an der Donau. Von den Anfängen bis 1938", phil. Diss., Wien: 1978, S. 240.

6   Archiv IKG Wien.

7   Kaufvertrag vom 2. September 1971, Archiv IKG Wien.