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Anna-Dorothea Ludewig (Hrsg.): Im Anfang war der Mord. Juden und Judentum im Detektivroman
Berlin: be.bra Verlag 2012
179 Seiten, Euro 30,80
ISBN 978-3-937233-88-8
Der Titel „Im Anfang war der Mord" nimmt bewusst Anleihen beim Johannes-Evangelium der Bibel auf. Auch wenn wir im ersten Buch Mose vom ersten Mord der Weltgeschichte lesen. Doch Detektive finden wir im Buch der Bücher nicht.
Die Wissenschafterin Anna-Dorothea Ludewig vom Moses Mendelssohn Zentrum für europäisch-jüdische Studien Potsdam, die sich selbst als bekennende Krimi-Leserin bezeichnet, hat sich gemeinsam mit Studierenden aus Brandenburg und einer Gastautorin dem Detektivroman aus einer ganz besonderen Perspektive genähert: Juden und Judentum. Dabei analysieren die sechs Autoren den Umgang mit dieser Spezies sowohl bei jüdischen als auch nichtjüdischen Schriftstellern. Dabei spannt sich der geografische Bogen von Finnland über Israel bis in die USA, der zeitliche - ausgenommen die Darstellung des Werks Friedrich Glausers (1896-1938) - von 1952 bis in die unmittelbare Gegenwart. Gilt Friedrich Dürrenmatts vor genau 60 Jahren erschienener Nachkriegsroman „Der Verdacht" aus dem Jahr 1952 als einer der ersten Krimis mit jüdischer Personage der Nach-Shoa-Zeit, finden sich in den Detektivromanen vor 1933 verschiedene jüdische Figuren wie bei Glauser als Synonym für Fremd- und Andersartigkeit. Das betrifft sowohl Glaubens- als auch körperliche Stereotypisierung.
Auf den ersten Blick lexikongleich listen die Herausgeberin Ludewig, ihre Wissenschaftskollegin Hannah Lotte Lund sowie Martin Breit, Rebecca Görmann, Ina Hünich und Alexander Steven Schmidt jüdische Detektive, Randfiguren und ihre Erfinder auf. Doch das 170 Seiten starke Buch geht über die Auflistung von Biografien und einen rein literaturwissenschaftlichen Ansatz hinaus. Widmen sich doch Kurz-Essays durchaus der Analyse gewisser Stereotypen, hinterfragen Autoren-Sicht und Helden-Bilder und finden deutliche auf den jüdischen Themenschwerpunkt fokussierte Wertungen. Dabei stossen die bewusst Lesenden - immerhin durchstöberten sie tausende von Krimi-Seiten - sowohl auf Anti- wie Philosemitismus. Es geht ihnen nicht um den literarischen Wert der Romane, sondern darum, in welcher Form sie Stereotype bedienen und sie jüdische Akteure und das Judentum schildern. Kati Hirschel, Istanbuler Ermittlerin in Esmahan Aykols Unterhaltungsromanen, pflegt einen eher unaufgeregten Umgang mit dem Jüdischen, das sie als Teil ihrer Multi-Kulti-Identität versteht. Rebecca Görmann bescheinigt der türkischen Schriftstellerin mit deutschem Pass, „angenehm ungekünstelt die jüdische Komponente in die Romane eingewoben" zu haben.
„Im Anfang war der Mord. Juden und Judentum im Detektivroman" geht es sowohl um Aussen- wie Binnenperspektiven. Die Grand Dame der israelischen Kriminalliteratur Batya Gur lässt ihren Inspektor Michael Ochajon in Jerusalem ermitteln oder die Amerikanerin Faye Kellerman das Paar Pete Decker und Rina Lazarus den Lesern neben Kriminellem auch Religiös-Kulturelles nahe bringen. Der 1996 verstorbene Harry Kemelman schuf mit seinem Protagonisten Rabbi Small ein Pedant zu Chestertons katholischem Ermittler Pater Brown. Smalls Diskussionen mit dem katholischen Polizeichef Lanigan zu Glaubensproblemen führen auch den Leser an die religiösen Fragen heran. Während sie qua jüdischer Herkunft weitgehend authentische Einblicke in die jüdische Religion und Kultur ergeben, finden sich bei anderen Autoren durchaus Passagen, die bemüht und kontraproduktiv wirken, stellen die Buchautoren fest. Gleichsam fragt das Buch mit dem lesenswerten Einstieg von Anna-Dorothea Ludewig, wie sich der europäische Umgang mit Juden und Judentum im Detektivroman seit 1933/1945 entwickelt hat und ob die unreflektierte Stereotypisierung nach dem Holocaust Urstände feiert.
Die Beiträge des 2012 im be.bra Wissenschaftsverlages erschienenen, nunmehr zehnten Bandes der wissenschaftlichen Sifra-Bibliothek, tragen sehr unterschiedliche Handschriften und reichen von eigenen Lese-Recherchen und Autoren-Gesprächen bis zum kurzen Nachdruck von Verlagsinformationen. Die Autoren selbst begreifen sich als „Archivmäuse" und „Netzfischer". Das Nachschlagewerk gleicht einem ersten Sachstandsbericht, auf dem weitere Forschungen aufbauen können. Der kurze Blick in die kriminalfilmische Widerspiegelung jüdischen Lebens am Ende des Bandes eröffnet gleichsam neue Forschungsgegenstände. Und vielleicht lassen sich in weiterführenden Werken kleine sachliche Fehler wie die Diskrepanz zwischen der Zahl von Romanen und Kurzgeschichten von Dorothy Sayers im Autoren- und Protagonisten-Teil noch korrigieren.