Dieter Stiefel: Camillo Castiglioni oder Die Metaphysik der Haifische
Wien, Köln, Weimar: Böhlau Verlag 2012
350 Seiten, Euro 29.90
ISBN 978-3-205-78832-4
Eine der erstaunlichsten Karrieren der österreichischen Industriegeschichte war jene von Camillo Castiglioni. Sie wurde von der bisherigen Geschichtsschreibung sehr vernachlässigt, aber nun hat der Wiener Wirtschaftshistoriker Dieter Stiefel, der sehr lange über Castiglioni geforscht hat, seine Ergebnisse publiziert.
Über Castiglionis 1911 verstorbenen Vater, den Oberrabbiner von Rom Vittorio Issaco, vielleicht auch die Stiefgeschwister oder die weitere Familie seines Vaters wären in Italien aber sicher noch weitere Forschungen möglich. Das jüdische Erbe interessierte den Sohn nicht; er liess sich taufen, war drei Mal verheiratet, zuletzt mit der Schauspielerin Iphigenie Augusta Buchmann, und hatte drei Kinder. Die Tochter Jolanda hat Stiefel 1991 noch interviewt.
Seine Karriere begann als Beamter und ab 1904 als kaufmännischer Direktor der Kautschukfabrik Continentale. Später wurde er Eigentümer der wichtigsten österreichischen Auto- und Flugzeugfirmen und in der Ersten Republik Präsident der Allgemeinen Depositenbank. Als Mäzen finanzierte er das „Neue Wiener Journal" und die Boulevardblätter „Die Stunde" und „Die Börse" von Emmerich Bekessy. Über den Elbemühl Papierkonzern kontrollierte er das „Extrablatt", die „Mittagszeitung" und die „Wiener Allgemeine Zeitung". Er finanzierte aber auch den Wiener Volksbildungsverein, die Salzburger Festspiele und das Theater in der Josefstadt
In den zwanziger Jahren begann mit Fehlspekulationen und dem Konkurs der Allgemeinen Depositenbank 1924 sein Abstieg. Seine Kunstsammlung und seine Bibliothek liess er versteigern. Das Wiener Palais steht heute nicht mehr; sehr wohl aber die Villa am Grundlsee, in der von 1942 bis 1945 die Privatbibliothek Hitlers eingelagert war.
Castiglioni übersiedelte in den zwanziger Jahren nach Berlin. In der NS-Zeit flüchtete er in die Schweiz und nach Italien, wo er sich in einem Kloster versteckt hielt. Er starb 1957 und ist am katholischen Friedhof von Rom begraben.