Krystyna Julia Tausch und Arno Tausch
Patrick Monod-Gayraud
Ni Dieu ni l‘Amérique ne sauveront la Pologne. Questionner l‘Europe
Paris: Editions L’Harmattan 2017
258 Seiten, 26 Euro
ISBN: 978-2-343-13036-1
Weder G’tt noch Amerika werden Polen retten ist der Titel dieses mit landeskundlicher Sachkenntnis geschriebenen Buches des französischen Polenexperten Patrick Monod-Gayraud. Der Autor gibt in seinem Werk viele passende Zitate aus der Weltliteratur wieder und möchte mit seinem Buch zu einem tieferen Verständnis des Ringens um Demokratie und Rechtsstaat in Polen beitragen. Seit 2015 wird Polen von der ultra-katholischen, konservativen Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) regiert. Ihr Anführer Jarosław Kaczyński brauchte nach den Wahlen 2015 nur ein Jahr, um die polnische Rechtsstaatlichkeit abzubauen und Hass zwischen den zwei gegnerischen Seiten – den Befürwortern und Gegnern seiner Partei PiS – zu schüren. Mit einem Stimmenanteil von nur 37 Prozent erreichte die PiS sogar eine absolute Mehrheit in beiden Kammern des Parlaments. Wegen der geringen Wahlbeteiligung hat damit aber nur jeder fünfte wahlberechtigte Pole die PiS gewählt.
Der erste Teil des Buches (Seiten 23-63) behandelt den Umbau des polnischen Rechtsstaates, und das, was die Kritiker der aktuellen Regierungspartei PiS die aktuelle Gleichschaltung des Justiz- und Beamtenapparats nennen. Teil II (Seiten 65 bis 175) ist eine Gesamtdarstellung des derzeitigen politischen Systems und reicht von einer Einschätzung der Institutionen, Parteien und Verbände bis zur Frage der Aussenpolitik und der Sicherheitsdienste, und der heute in Polen omnipräsenten Katastrophe von Smolensk vom 10. April 2010, bei dem 96 Menschen, inkl. Staatspräsident Lech Kaczyński, ums Leben kamen, als sie gerade nach Smolensk reisten, um des 70. Jahrestages des Massakers von Katyn zu gedenken. Im Wald von Katyn und bei weiteren Massenmorden in der Nähe waren damals 22.000 bis 25.000 polnische Berufs- oder Reserveoffiziere, Polizisten und andere Staatsbürger Polens ums Leben gekommen. Zu den Opfern der sowjetischen Repressionspolitik gegen Polen in der Zeit des Hitler-Stalin-Pakts bis Juni 1941 gehörte auch der Oberrabbiner von Warschau, Mojżesz Schorr (1874 –1941).
Der III. Teil des Buches (Seiten 177 bis 247) behandelt die allgegenwärtige Rolle der katholischen Kirche und die Tendenzen der Diabolisierung der politischen Gegner. Das Klima des Misstrauens und des Hasses geht ja so weit, dass Jarosław Kaczyński dem früheren Premierminister und Rats- präsidenten der Europäischen Union, Donald Tusk, im polnischen Parlament vorwarf, er habe seinen Zwillingsbruder Präsidenten Lech Kaczyński in Smolensk ermorden lassen. Monod-Gayraud bringt auch die politische Manipulation der öffentlichen Meinung, die heute sowohl vom Staat als auch von der Kirche ausgeübt wird, zur Sprache.
Es gibt nach Monod-Gayraud viele Gründe für den Wahlsieg Kaczyńskis: die neoliberale Transformationspolitik seit dem Beginn der Demokratie 1989, die wachsende Kluft zwischen Stadt und Land und die Abwanderung von mehr als 2 Millionen Menschen ab 1989. Trotz der wirtschaftlichen Dynamik litt Polen seit 1989 unter einem sozialen Defizit, das Kaczynski geschickt genutzt hat. Kaczyński betreibe, so Monod-Gayraud, sogar eine in vieler Hinsicht soziale Ausgabenpolitik. Kaczyński Ziel sei es, das Land für eine lange Zeit zu regieren, um die Geschichte zum Vorteil der PiS umzuschreiben „bis der Name Lech Wałęsa [Vorsitzender der Gewerkschaft Solidarność von 1980 bis 1990 und von 1990 bis 1995 der erste frei gewählte Staatspräsident Polens] verschwindet.“ Das Erziehungsministerium lasse heute sogar die Lehrbücher für den Geschichtsunterricht umschreiben, damit der Name „Wałęsa“ verschwinde.
Besonders gut gelungen ist Monod-Gayraud die kritische Analyse der Rolle der katholischen Kirche Polens. Kenntnisreich und mit grosser Liebe zum Detail stellt er Repräsentanten des liberalen Katholizismus in Polen dem Mainstream den national-konservativen Katholiken um Radio Maryja gegenüber. In dem Buch sind auch Informationen über die aktuelle Situation der Juden in Polen enthalten. Fremdenfeindlichkeit, Attacken gegen Homosexuelle, antisemitische Aktionen bis hin zur Schändung jüdischer Friedhöfe sind bekannt. Im November 2016 wurde in Wrocław bei einer rechtsradikalen Demonstration eine Puppe, die einen orthodoxen Juden darstellte, verbrannt.
Zur Lage der 5.000 bis 60.000 Juden im Land zitiert Monod-Gayraud auch den Oberrabbiner von Oberschlesien, Yehoshua Ellis. Er sagte, dass zwar Warschau mit seinen zwei jüdischen Museen, vier Synagogen und historischen Monumenten ein guter Ort des Zusammenlebens sei, dass aber die Situation im Rest des Landes nicht ideal sei und die jüdischen Gemeinden immer kleiner würden. In kleineren Ortschaften hätten Juden Angst, identifiziert zu werden. Dass Juden und Polen ein gemeinsames Erbe haben, werde in Polen aber mehr und mehr akzeptiert. Ellis betont auch die Renovierung der jüdischen Friedhöfe und den in Polen geschaffene Internetzugang zu den alten Archiven, der für die Nachkommen der Shoah von Bedeutung ist.
Der polnische Episkopat habe immer für die Unterstützung bei den Wahlen die entsprechenden Gesetze eingefordert. Die uneingeschränkte Unterstützung der Kirche ist der Partei von Jarosław Kaczyński „Recht und Gerechtigkeit“ sicher. Der Autor bezeichnet die Kirche als „nicht nur fordernd, sondern auch arroganter als je zuvor“.
Allerdings gibt es auf Seite 14, gleich zu Beginn des Buches, leider einen schweren Fehler. Es heisst dort: „1939-1945 (deutsche und sowjetische Besatzung)“ während die sowjetische Besatzung Polens im Rahmen des Hitler-Stalin-Paktes ja vom 17. September 1939 bis zum Überfall der deutschen Wehrmacht auf die Sowjetunion am 22. Juni 1941 dauerte. An vielen Stellen lässt der Autor auch eine Objektivität gegenüber den Schwächen der Europäischen Union, wie sie ja aktuell auch im Zuge der Bestellung der neuen EU-Kommissionspräsidentin zum Ausdruck kamen, völlig vermissen. Die neoliberale Sozial- und Wirtschaftspolitik und die fraglosen Demokratiedefizite in Europa sind der Nährboden, auf dem Ereignisse wie die in Polen oder Ungarn sich erst entwickeln konnten. Ein lesenswertes Buch, das nicht nur den Freunden Polens und der Frankophonie empfohlen wird.