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Walter Arlen, der bekannte Musikwissenschaftler, Musikkritiker und Komponist, kam vor 100 Jahren als Walter Aptowitzer am 31. Juli 1920 in Wien zur Welt. Er stammte aus der Kaufhausfamilie Dichter in der Brunnengasse Nummer 40. Heute erinnern Gedenktafeln und Installationen am Brunnenmarkt an das Wirken seiner Familie in Ottakring. Aus dem Yppenplatz wurde symbolisch die „Edith Arlen Wachtel und Walter Arlen Piazza“.
Walter Arlen in Wien, 2017. Foto: Marko Lipuš. Mit freundlicher Genehmigung M. Lipuš.
Mit seiner Musik begann Walter Arlen in der neuen Heimat, den U.S.A., die in der Jugend erlittenen Traumata der Wiener NS-Zeit zu verarbeiten. Etwa in jenem Psalm, den er nach dem Nazi-Zynismus am Eingangstor zum KZ Auschwitz „Arbeit macht frei“ nennt: die Gefangennahme und Misshandlung des Vaters Michael Aptowitzer durch SA-Männer und dessen Internierung in den KZs Dachau und Buchenwald - die Plünderung der elterlichen Wohnung - Tante Gretl, die mit ihrer Zahnbürste antisemitische Sprüche vom Gehsteig wegputzen musste - die Flucht der Eltern mit der Schwester im Mai 1939 nach England und die mentale Zerrüttung der Mutter Mina Aptowitzer geborene Dichter, deren Selbstmord - die eigene Flucht.
Arlen konnte sich im März 1939 vor der Shoah nach Chicago zu Verwandten, der bekannten Familie Pritzker, in Sicherheit bringen und lebt seither in den U.S.A., in Los Angeles wie seine um fünf Jahre jüngere Schwester Edith Arlen Wachtel (1925 – 2012), die in der Nachkriegszeit an der Universität von Chicago zur Sozialpsychologin ausgebildet worden war. Walter Arlen unterrichtete als Universitätsprofessor für 29 Jahre an der Loyola-Marymount-University in Los Angeles, davon lange als Vorstand der Universität. Daneben arbeitete er jahrzehntelang auch als Musikkritiker für die Los Angeles Times. Die Musik selbst aber, das schöpferische Arbeiten mit Tönen und Klängen, wurde zum Überlebenskonzept für Walter Arlen.
Wir gratulieren zum 100. Geburtstag sehr herzlich!
Kurt Weill in Wien, 1932. Bildrechte: Deutsches Bundesarchiv, Bild 146-2005-0119 / CC-BY-SA 3.0, in Kooperation mit Wikimedia Commons, https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Bundesarchiv_Bild_146-2005-0119,_Kurt_Weill.jpg, abgerufen am 29.05.2020.
Kurt Weill wurde zwanzig Jahre vor Walter Arlen, am 2. März 1900 als Sohn des Kantors Albert Weill und seiner Frau Emma Weill geb. Ackermann im deutschen Kippenheim (Baden) geboren. Im Alter von 18 Jahren begleitete er Liederabende am Klavier und brachte dem Publikum dabei auch eigene Kompositionen zu Gehör; 1920 arbeitete er bereits als Kapellmeister an einem Theater. Weill heiratete 1926 in Berlin die Wiener Schauspielerin und Mezzosopranistin Lotte Lenya, die im Jahr darauf auch bei der Uraufführung des Song-Spiels Mahagonny, der ersten gemeinsamen Arbeit von Weill mit dem Schriftsteller Bertolt Brecht, mitwirkte. Aus dem kurzen Stück entstand die Oper Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny, uraufgeführt 1930. Das heute wohl bekanntesten Werk der beiden, die Drei- groschenoper, entstand dazwischen, 1928, und wurde von G. W. Pabst bereits drei Jahre später mit Lenya in der Rolle der Spelunken-Jenny verfilmt. Die Zusammenarbeit mit Brecht war eminent politisch orientiert; sie traf den Nerv der Zeit in den kritischen Jahren der Weimarer Republik, bevor die NSDAP 1933 die Macht in Deutschland übernahm.
Das satirische „ballet chanté“ Die sieben Todsünden konnte 1933 erst nach der Flucht, im Exil, uraufgeführt werden, am Pariser Théâtre des Champs-Élysées. Aus Frankreich übersiedelte Weill zwei Jahre später gemeinsam mit Lenya weiter in die U.S.A. Es gelang ihm dank seiner Anpassungsfähigkeit, auch dort das Publikum zu begeistern und seine Kompositionen, die oft in Zusammenarbeit mit namhaften amerikanischen Kollegen entstanden, feierten bald Erfolge am Broadway. Völlig zu Unrecht wird Weill in der europäischen Perspektive meist nur mit Brecht und der ikonenhaften Moritat von Mackie Messer in Zusammenhang gebracht.
Weill war ein vielseitiger Künstler und international höchst erfolgreich, auch weil er sich mühelos in den unterschiedlichen musikalischen Stilen seiner Exil-Länder orientieren konnte und diese kreativ zu verarbeiten wusste. Sein musikalisches Schaffen spannt einen weiten Bogen von klassischer Musik über den Expressionismus bis hin zum Jazz und zu amerikanischer Unterhaltungsmusik. Die Kompositionen entwickelten sich von Oper und Operetten ausgehend über Songspiele und Theatermusiken zu Musicals, parallel dazu von Klavier- und Orchesterwerken, Kantaten, Kammermusik und Liederzyklen zu Songs und Chansons. Weills Schaffen ist überaus vielfältig.
Seine Zusammenarbeit mit jeweils stilbildenden Künstlerpersönlichkeiten verschiedener Epochen der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts bot immer neue Anregungen zur Weiterentwicklung seiner musikalischen Stilmittel, vom norwegischen Dramatiker August Strindberg und den Lyrikern Richard Dehmel und Rainer Maria Rilke über die expressionistischen Schriftsteller Georg Kaiser und Yvan Goll, über Walter Mehring und Erich Kästner, zum französischen avant-garde Künstler Jean Cocteau und bis hin zum amerikanischen Schriftsteller James Langston Hughes, dessen Vorfahren sich unter anderem aus Juden, Schwarzen und Irokesen zusammensetzten und der als Mitglied der afro- amerikanischen Künstlerbewegung Harlem Renaissance für die amerikanische Bürgerrechtsbewegung eine wichtige Rolle spielte. Mit Ira Gershwin erarbeitete Weill 1941 unter dem Titel Lady in the Dark ein psychoanalytisches Musical (Buch: Moss Hart, Musikalische Leitung: Maurice Abravanel). Uraufführungen seiner Werke dirigierten die berühmtesten Maestri ihrer Zeit: Otto Klemperer, Bruno Walter und in den U.S.A. dann Leonard Bernstein. Weill verstarb 1950 sehr plötzlich in New York. Sein Grabstein trägt ein Gedicht seines damaligen Librettisten, des Schriftstellers Maxwell Anderson: es stammt aus dem Song A Bird of Passage des Weill-Musicals Lost in the Stars (1949). Die Arbeit an einem neuen Musical nach Mark Twains Huckleberry Finn (1950) aber musste unvollendet bleiben.
Victor Léons Grab am Hietzinger Friedhof in Wien. Hier ruhen auch seine Tochter Lizzy und sein Enkel Viktor Marischka. Foto: Walter Anton 2007. Quelle: Wikimedia commons, https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Victor_Leon_Vienna_Hietzinger_Friedhof.JPG, abgerufen am 31.05.2020.
Victor Léon kam am 4. Januar 1858 in Szenitz, Komitat Nitra (heute: Senica, Slowakei) als Sohn des Rabbiners Jakob Heinrich Hirschfeld zur Welt und vor achtzig Jahren, am 23. Februar 1940 in Wien zu Tode. Zunächst als Journalist tätig, verlegte Léon seinen Schreibschwerpunkt bald in die Welt der Musik. Im Alter von 22 Jahren textete er bereits für das spätere Etablissement Ronacher Theater in Wien, aber auch für Theater in Hamburg, München und Budapest. Als Operettenlibrettist arbeitete Léon später an einigen der bis heute weltweit erfolgreichsten Werke dieses Genres mit, die auch in Wien jedes Jahr wieder auf den Spielplänen der grossen Häuser stehen und in den Sommermonaten unzählige Sommerfestivals landauf, landab zu Publikumsmagneten machen, darunter Franz Lehárs Die lustige Witwe ebenso wie Land des Lächelns oder das Johann Strauss-Potpourri Wiener Blut.
Im Wiener Theaterleben ist sein Einfluss als Regisseur und Dramaturg auf die Ästhetik und Aufführungspraxis grosser Bühnen wie des Theaters an der Wien oder des Carl-Theaters nicht zu unterschätzen. Léons Tochter Lizzy heiratete 1907 den Sänger Hubert Marischka, der ein Jahr darauf seinen ersten Wien-Auftritt im Carl-Theater hatte. Er wurde einer der bekanntesten Operetten-Regisseure, in der Zwischenkriegszeit dann auch Direktor des Theaters an der Wien. Lizzy starb 1918 nach der Geburt ihres Sohnes Franz in der Léon-Villa im oberösterreichischen Salzkammergut-Sommerfrischeort Unterach am Attersee. Franz Marischka schrieb die Drehbücher für die Nachkriegsverfilmungen von Operettenhighlights wie Paul Abrahams Viktoria und ihr Husar (1954) oder Die Christel von der Post (1956), während der Bruder seines Vaters, Ernst Marischka, Romy Schneider in der Titelrolle seines identitätsstiftenden österreichischen Film-Nachkriegsepos Sissi (1955 – 57) besetzte.
Die Blume von Hawaii, Klavierauszug, Titelblatt, UFA 2009. Quelle: https://www.stretta-music.com/abraham-foeldes-gruenwald-loehner-beda-die-blume-von-hawaii-nr-124874.html, abgerufen am 31.05.2020.
Victor Léon hingegen war auf tragische Weise durch das nationalsozialistische Regime in Wien umgekommen: Jener Komponist, dem er mit seinen Texten zu so grossem Ruhm verholfen hatte, dessen Lustige Witwe von Adolf Hitler zum Lieblingsstück erklärt wurde, und den die Familie Léon einst als Taufpaten des kleinen Franz Marischka aufgenommen hatte, half ihm nicht (ebenso wenig wie seinem anderen Star-Librettisten, Fritz Beda Löhner, der 1942 mit neunundfünfzig Jahren im KZ Auschwitz erschlagen wurde). Franz Lehár ignorierte die an ihn gerichtete Bitten um Unterstützung seiner künstlerischen Partner, die von den Nazis als Juden verfolgt wurden, und nutzte seinen Einfluss bei den Nazibonzen nicht, um sie aus der Gefahr zu retten. Versteckt vor den Häschern, musste Victor Léon im Alter von vierundachtzig Jahren - verhungern. Er wurde auf dem Hietzinger Friedhof begraben. Neben ihm wurden später seine Tochter Lizzy und sein Enkel Viktor Marischka zur letzten Ruhe gebettet.
Paul Abraham, ein anderer herausragender Komponist der Silbernen Operetten-Ära Österreichs (Viktoria und ihr Husar 1930, Die Blume von Hawaii 1931 und Ball im Savoy 1932, Libretti jeweils: Fritz Beda Löhner und Alfred Grünwald), wurde am 1892 im damals ungarischen Apatin in der Woijwodina (heute Serbien) geboren. Er verstarb am 6. Mai vor sechzig Jahren unter tragischen Umständen in Hamburg an den Folgen jener Traumata, die er während der Verfolgung durch die Shoah erleiden hatte müssen. Wir gedenken seiner, in Würdigung der grossen Verdienste, die er für das Genre der Operette geleistet hat.1
Nachlese
Mag. Petra Stein: Abschlussarbeit an der Pädagogischen Hochschule Linz zum Lehrgang „Pädagogik an Gedächtnisorten“ im WS 2008/09 und SS 2009 Betreuer: Dr. Christian Angerer und Dr. Werner Dreier verfasst im Sommer 2009. Quelle: www.erinnern.at/bundeslaender/oesterreich/lernmaterial-unterricht/abschlussarbeiten/Stein_Abschlussarbeit_geschichtespaziergang.pdf, abgerufen am 31.5.2020.
Marie-Theres Arnbom, Die Villen vom Attersee. Wenn Häuser Geschichten erzählen. Wien, Amalthea Signum Verlag 2018, S. 101-106.
Kurt Weill Foundation for Music, www.kwf.org
Zu Paul Abraham siehe auch ausführlich einen eigenen Jubiläumsartikel anlässlich seines 125. Geburtstags: Tina Walzer, Der Komponist der „Blume von Hawaii“, In: DAVID, 29. Jg., Heft 115, Chanukka 5778/ Dezember 2017, S. 46.