Ausgabe

Der polnisch-jüdische Violinist Bronislaw Huberman

Evelyn Adunka

Inhalt

Piotr Szalsza: Bronislaw Huberman.

Leben und Leidenschaften eines vergessenen Genies.

Wien: Hollitzer Verlag 2020.

504 Seiten, 50 Euro

ISBN 978-3-99012-618-9

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Piotr Szalszas Biographie über den berühmten polnisch-jüdischen Violinisten Bronislaw Huberman erschien 2001 in Polen. Es ist sehr erfreulich, dass sie nun auch in der deutschen Übersetzung zu lesen ist.

 

Bronislaw (Bronisław) Huberman (1882 - 1947) war der Sohn eines Rechtsanwalts und ein Wunderkind; als Kind musizierte er zum Beispiel im Haus von Anton Rubinstein in Lodz. Sein grosses Debüt feierte er im Alter von 13 Jahren 1896 im Wiener Musikverein. Im Publikum waren Johannes Brahms, Anton Bruckner, Karl Goldmark, Max Kalbeck, Gustav Mahler und Johann Strauss. 1910 heiratete Huberman die aus Berlin gebürtige Schauspielerin Elsa Galafrés (1879 – 1977), die sich in Österreich auch beim Bund der Frauen engagierte. Ihr gemeinsamer Sohn Johannes (John) Bronislaw wurde 1911 im Sanatorium Loew geboren und einen Tag später protestantisch getauft. Nach der Scheidung der Ehe 1913 heiratete Elsa 1919 den Schauspieler und Musiker Ernst von Dohnányi. Das Paar lebte meist in Budapest, John wurde von Dohnányi adoptiert. Sein Stiefbruder war der Widerstandskämpfer Hans von Dohnányi. Für die nächsten Jahrzehnte wurde Ida Ibbeken Hubermans Gefährtin, Mitarbeiterin und Sekretärin. Sie publizierte 1969 das Buch An Orchestra is Born und starb 1980 im hohen Alter in Israel.

 

Von 1926 bis 1936 lebte Huberman im Schloss Hetzendorf in Wien. In den Zwanzigerjahren engagierte sich Huberman für die von Richard Nikolaus Coudenhove-Kalergi (1894 – 1972) gegründete Paneuropa-Union. Huberman publizierte zwei Bücher über Paneuropa und hielt im Oktober 1926 am ersten Paneuropa-Kongress im Wiener Konzerthaus eine Rede, in der er ausführte, dass „innereuropäische Konfrontationen keine Kriege, sondern Bürgerkriege sind“. Ebenfalls 1926 schrieb der 21jährige Elias Canetti ein Gedicht über Huberman, das er Veza Canetti widmete. Das Gedicht, in dem es heisst: „Dem edelsten aller Geiger Bronislaw Huberman […] Denn Deine Hand ist nicht von dieser Erde“, hat Veza dem Geehrten in einem Brief beigelegt.  1929, 1931 und 1934 gastierte Huberman auf Konzertreisen in Palästina. Der aufkommende Nationalsozialismus war einer der Gründe, dass Huberman die Idee bekam, ein Orchester in Palästina zu gründen, mit dessen Hilfe er auch rund 70 junge Musiker aus Mitteleuropa rettete. Yella Hertzka (1873 – 1948), die Ehefrau des Leiters des Musikverlags Universal Edition Emil Hertzka, organisierte 1936 Wien eine Sammelaktion für Bücher über Musik für Palästina. Im Dezember 1936 dirigierte Arturo Toscanini in Tel Aviv das Eröffnungskonzert des Orchesters. Der erste Orchesterdirektor 1936 war Heinrich Simon (1880 - 1941), der frühere Verleger der berühmten Frankfurter Zeitung. Sein Nachfolger wurde im Dezember 1938 Leo Kestenberg (1882 - 1962), ein Pianist, Pädagoge, sozialdemokratischer Publizist und Ministerialrat in Berlin. Huberman und Toscanini wurden 1937 Ehrenbürger von Tel Aviv.

 

Im Oktober 1937 wurde Huberman bei einer Bruchlandung mit einem Flugzeug der KLM in Sumatra schwer verletzt. Die Rekonvaleszenz verbrachte er in Mailand und im Wiener Cottage Sanatorium. Im August 1940 reiste er mit einem Besuchervisum in die U.S.A., das im Oktober zu einem Dauervisum umgewandelt wurde. In New York wurde er mit einem Ehrendoktorat des zionistischen Rabbinerseminars Jewish Institute of Religion (JIR), gegründet von dem Reformrabbiner und Politiker Stephen S. Wise, ausgezeichnet. Gemeinsam mit Huberman wurde auch der Philosoph Jakob Klatzkin geehrt. Leider wurde Klatzkin in Szalszas Buch zu „Jakob Katzlin“. Elsa Galafrés publizierte 1973 das Buch Lives…Loves…Losses. Sie starb 1977 in Vancouver. John Huberman arbeitete als Ingenieur und starb 1996.

 

Der wichtigste Quellenbestand für Szalszas Buch ist das Huberman Archiv, das sich in der Felicja Blumental Center and Library in Tel Aviv befindet. Ergänzende Materialien und Informationen kamen von Hubermans Enkelin Joan Payne in Vancouver. Szalszas Biographie enthält zahlreiche Abbildungen, ein Literaturverzeichnis und ein genaues Personenregister, aber keinerlei Anmerkungen oder Quellenhinweise ausserhalb des Fliesstextes. Nur einzelne historische Zeitungsartikel werden mit genauen Daten zitiert. Bis auf wenige Ergänzungen hat Szalsza das Buch nicht aktualisiert. Daher fehlen Hinweise auf die wichtigen Bücher von Barbara von der Lühe Die Musik war unsere Rettung! Die deutschsprachigen Gründungsmitglieder des Palestine Orchestra (1998) und Josh Aronson, George Denise, Orchestra of Exiles (2016). Szalsza zitiert einige Gespräche mit einem Flötisten des Palestine Orchestra, Uri Toeplitz (1913 - 2007), die Leser erfahren aber nicht, dass dessen Erinnerungen 1999 im Verlag Hartung-Gorre in Konstanz, herausgegeben von Erhard Roy Wiehn, erschienen sind. Ein kurzes Nachwort über die jüngsten für das Thema relevanten Publikationen hätten Szalszas Buch sehr aufgewertet. Das Buch wurde von einem Team von 19 (!) Übersetzern unter der Redaktion von Joanna Ziemska ins Deutsche übertragen. So erklärt sich, dass die Jewish Agency an einer Stelle wie meines Erachtens korrekt auch in deutschen Texten die Jewish Agency bleibt, während sie an einer anderen Stelle zur „Jüdischen Agentur“ wird.

 

Zum Autor: Piotr Szalsza, geboren 1944, ist ein polnischer Dokumentarfilmer und Musiker, der seit 1983 in Wien lebt und viele wichtige Projekte verwirklicht hat. 2006 gab er ein Buch über den Musikschriftsteller Max Kalbeck, den Grossvater des 1996 verstorbenen Schriftstellers Florian Kalbeck, heraus. 2009 präsentierte er den Film „Ventzki – Kinder der Täter, Kinder der Opfer“ über den deutschen Oberbürgermeister des Ghettos und der Stadt Litzmannstadt (Łódź) Werner Ventzki und dessen 1944 Sohn Jens-Jürgen Ventzki, der 2011 ein beeindruckendes Buch über seine Geschichte veröffentlicht hat. 2018 vollendete er einen Film über Julius Madritsch, einen österreichischen Gerechten unter den Völkern.