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Das Schicksal der jüdischen Familien Kummermann, Perger und Stein in der Stadt Horn im Waldviertel

Erich Rabl

Die Stadt Horn im Waldviertel war von 1874 bis 1938 Sitz einer Israelitischen Kultusgemeinde, die über einen ausserhalb der Stadt gelegenen Friedhof und ab 1903 über eine kleine Synagoge in einem ehemaligen Wohnhaus verfügte.

Inhalt

Die Stadt Horn im Waldviertel war von 1874 bis 1938 Sitz einer Israelitischen Kultusgemeinde, die über einen ausserhalb der Stadt gelegenen Friedhof und ab 1903 über eine kleine Synagoge in einem ehemaligen Wohnhaus verfügte.

 

Im Jahr 1880 hatte die Stadt Horn 2.214 Einwohner, davon gaben bei der Volkszählung 89 Personen oder 4,02% „israelitisches Religionsbekenntnis“ an. Dieser Anteil sank bis 1934 auf 1,60 %. Die jüdischen Bewohner waren bis 1938 weitgehend integriert, wenngleich es vor dem Ersten Weltkrieg und verstärkt in den 1930er Jahren antisemitische Anfeindungen gab.

 

Der in Neupölla und Wien beheimatete Kunst- und Zeithistoriker Dr. Friedrich Polleross brachte in der Schriftenreihe des Waldviertler Heimatbundes den umfangreichen Band „Jüdische Familien im Waldviertel und ihr Schicksal“ heraus.  Vier Beiträge in dem Buch beziehen sich auf den Bezirk Horn. Margit Andrä schreibt über jüdische Familien in Brunn an der Wild, Burghard Gaspar und Franz Pieler berichten über das Schicksal der Familien Altbach und Schick in Eggenburg. Hanns Haas behandelt „Arisierung“ und „Rückstellung“ am Beispiel von Gars am Kamp.  Ein weiterer Beitrag – vom Verfasser dieses Beitrages – beschäftigt sich mit den drei Horner Familien Kummermann, Perger und Stein.

 

Der begüterte Getreidehändler Jakob Kummermann war aus Stockern, wo seine Eltern eine Landkrämerei betrieben, im Jahre 1900 nach Horn gekommen. Er kaufte 1913 das grosse Haus Wiener Strasse Nr. 31 (heute Musikhaus Höllerer). Kummermann hatte ein Gemischtwarengeschäft, er betrieb einen Landproduktenhandel, vorwiegend mit Getreide und Futtermitteln, und er besass ein Magazin nahe dem Bahnhof. Der angesehene Geschäftsmann Jakob Kummermann war von 1905 bis 1938 Vorstand der Israelitischen Kultusgemeinde Horn. Er starb am 9. März 1938 und wurde am 11. März auf dem Horner jüdischen Friedhof begraben. Wenige Stunden später marschierten Hitlers Truppen in Österreich ein und die Nationalsozialisten ergriffen die Macht.

 

Die Familie Kummermann hatte zwei Kinder. Die Tochter Friederike besuchte das Mädchen-Lyzeum in Znaim (Znojmo) und eine Kochschule. Sie war im elterlichen Betrieb für die Buchhaltung zuständig. Der Sohn Ernst ging in die Unterstufe des Horner Gymnasiums und danach in eine Handelsakademie. Auch er war Mitarbeiter im elterlichen Betrieb. Im Jahr 1938 wurde den Kummermanns das Geschäft durch einen kommissarischen Leiter namens Ernst Einzinger entzogen und die Firma durch die Horner Kreisleitung der NSDAP liquidiert. Aufgrund einer Anordnung des NSDAP-Kreisleiters Karl Hofmann wurden alle jüdischen Bewohner Horns Mitte September 1938 aus ihrer Heimatstadt Horn gewaltsam vertrieben. Emilie Kummermann, 65 Jahre alt, und ihre Tochter Friederike, 39 Jahre alt, wurden 1942 nach Weissrussland deportiert und nahe Maly Trostinec wie rund 9.000 andere österreichische Juden entweder erschossen oder in Gaswagen ermordet. Ernst Kummermann konnte 1939 nach England emigrieren und gelangte von dort nach Kanada. Er starb am 9. Mai 1991 in Ottawa.

 

Im Jahre 1919 liess sich der Rechtsanwalt Dr. Georg Perger, von Wien kommend, in Horn nieder. Er war im Alter von 34 Jahren aus der Israelitischen Kultusgemeinde Wien ausgetreten und zu evangelischen Religion konvertiert. Seine Kanzlei hatte er in Horn im ersten Stock des Gasthauses Dirsch (Hauptplatz Nr. 6), als Wohnung konnte er die Villa in der Puechhaimgasse Nr. 4 anmieten. Georg Perger heiratete die Hornerin Berta Swoboda. Aus der Ehe gingen zwei Söhne hervor, der ältere, Gustav, wurde 1922 geboren, der jüngere, Hermann, war Jahrgang 1924. Die Familie wurde durch die gewaltsame Vertreibung auseinandergerissen. Wie sie überlebte, geht aus Briefen hervor, die eine Hornerin dem Autor zur Verfügung stellte. Der Sohn Hermann und die Eltern konnten nach Venezuela emigrieren. Der Vater konnte sich in Caracas eine neue Existenz aufbauen, doch er starb schon 1943, nicht einmal 60 Jahre alt. Die Mutter und ihr Sohn kehrten 1948/49 nach Horn zurück, danach gingen sie wieder nach Südamerika zurück. Der Sohn Gustav wurde als Zivilgefangener über England nach Australien gebracht, dort interniert, später aber zum unbewaffneten Militärdienst eingezogen. Nachher konnte er Metall- und Hüttenkunde studieren und in Australien eine Familie gründen. Er hatte in Australien eine neue Heimat gefunden. Er starb am 26. Dezember 2006 in Melbourne.

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Hochzeit von Emanuel Stein (1869-1934) und seiner zweiten Ehefrau Marie Winter (1870-1945). Foto: Sammlung Friedrich Polleross, Neupölla.

Seit 1892 hatte der Altwarenhändler Emanuel Stein seinen Wohnsitz in Horn. Er wohnte zuerst in einem eigenen Haus (heute Rathausplatz Nr. 6), 1910 musste er das Haus offenbar aus finanziellen Gründen verkaufen. Stein übersiedelte mit seiner Familie in die ehemalige Hofmühle im Taffatal, dort umfasste die kleine Wohnung lediglich eine Küche und ein Zimmer. Emanuel Stein war zweimal verheiratet, er hatte acht Kinder aus erster Ehe und sechs Kinder aus zweiter Ehe. Von den sechs Kindern aus der zweiten Ehe verstarben schon drei im Kindesalter. Emanuel Stein, der auch als Lohnkutscher arbeitete und zeitweise einen Handel mit gebrannten Flüssigkeiten, mit Geflügel, Eiern und Butter betrieb und auch das Marktfahrergewerbe ausübte, verstarb im Alter von 65 Jahren am 17. Jänner 1934 in Horn. Emanuel Steins Kinder verliessen nach dem Tod ihres Vaters Horn, doch aufgrund ihrer jüdischen Herkunft gerieten sie in die Fänge des nationalsozialistischen Regimes. So hat beispielsweise Anna Stein, die jüngste Tochter, geboren am 23. Jänner 1914 in Horn, die Deportation nach Oppeln (Opole im heutigen Polen) nicht überlebt; sie wurde am 26. Februar 1941 ermordet. Ihre 1938 geborene Tochter Ruth überlebte die schwierige Zeit der Deportation in Polen; sie lebt heute in Wien und konnte für die Familiengeschichte wertvolle Unterlagen beisteuern.

 

Heute erinnern nur mehr wenige Spuren an die jüdischen Familien, die einst in Horn lebten: Der jüdische Grabstein beim Preussenfriedhof im Himmelreich, ausserhalb der Stadt der jüdische Friedhof und sowie die Aufschrift auf dem Magazinsgebäude Jakob Kummermanns nahe dem Bahnhof, die achtzig Jahre nach der nationalsozialistischen Machtergreifung immer noch lesbar ist.

 

Was in der Stadt Horn immer noch fehlt, ist ein Denkmal für die gewaltsam vertriebenen einstigen jüdischen Mitbewohner!    

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Im ersten Stock des Hotel-Restaurants Karl Dirsch, Horn, Hauptplatz Nr. 6, hatte Rechtsanwalt Georg Perger seine Kanzlei. Sammlung Erich Rabl, Horn.

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Rechnung des Geschäftes von Jakob Kummermann vom 1. März 1938. Foto: Stadtarchiv Horn.

 

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Jüdischer Friedhof in Horn: An die 1878 erbaute kleine Aufbahrungshalle (links) wurde 1913 eine grössere Aufbahrungshalle dazu gebaut. Foto: Erich Rabl, Horn.

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Ehemaliges Magazin von Jakob Kummermann beim Bahnhof Horn. Foto: Erich Rabl, Horn.

 

Alle Abbildungen: Mit freundlicher Genehmigung: E. Rabl.

 

Zum Autor: Dr. Erich Rabl, geb. 1948 in Sieghartskirchen, Studium der Geschichte und Geografie an der Universität Wien, 1977-2010 Professor am Bundesgymnasium und Bundesaufbaugymnasium in Horn, seit 1983 Leiter des Stadtarchivs Horn, 1983-2001 stv. Leiter der Museen der Stadt Horn, seit 1895 Präsident des „Waldviertler Heimatbundes“, 1988-2007 Redaktionsleiter der Zeitschrift „Das Waldviertel“, Organisator zahlreicher Sonderausstellungen, Herausgeber bzw. Redakteur mehrerer Ausstellungskataloge und Festschriften. Forschung und Publikationen zur Geschichte der Stadt Horn, zur Agrargeschichte Niederösterreichs und zur Geschichte der Markgemeinde Sieghartskirchen.

1 Friedrich Polleross (Hrsg.): Jüdische Familien im Waldviertel und ihr Schicksal (= Schriftenreihe des Waldviertler Heimatbundes, Bd. 58), 2. Aufl. Waidhofen an der Thaya: 2018, 704 Seiten (Preis: 29 Euro); erhältlich unter www.daswaldviertel.at oder im Buchhandel. Vgl. dazu die Rezension in DAVID Heft 119/2018.

2 „Arisierung“ = Verdrängung von Juden und „jüdischen Mischlingen“ aus Handel, Gewerbe, Wohnungen, Häusern und Wissenschaft im Sinne der Nürnberger Gesetze von 1935; „Rückstellung“ = Rückgabe der während der NS-Zeit entfremdeten Rechte und Vermögen nach 1945.