Evelyn Adunka
Walter Rothschild: Rabbiner Dr. Erich Bienheim
Eine persönliche Biographie
Berlin, Leipzig: Hentrich & Hentrich Verlag 2019
216 Seiten, 20.50 Euro (AT)
ISBN: 978-3-95565-356-9
Erich Bienheim war der Sohn eines Kaufmanns aus Duingen in Niedersachsen.1921 wurde er als Rabbiner an der liberalen Hochschule für die Wissenschaft des Judentums in Berlin ordiniert. Er arbeitete als Rabbiner in Berlin und von 1928 bis 1939 in Darmstadt. 1932 heiratete er in Wien Edith Abeles. Sie war die Tochter von Armin Abeles (1872 - 1930), des Rabbiners des Kluckytempels in der Brigittenau, der an der Israelitisch-theologischen Lehranstalt in Wien studiert hatte.
Im November/Dezember 1938 wurde Bienheim vier Wochen lang im KZ Buchenwald gefangen gehalten. Nach seiner Flucht nach London 1939 wurde die Ehe mit Edith geschieden. Im Juni 1940 wurde Bienheim als Enemy Alien auf der Isle of Man interniert und nach kurzer Zeit, wie vier weitere geflüchtete Rabbiner und 2.300 Leidensgenossen, auf dem Schiff Dunera unter unmenschlichen Bedingungen nach Australien deportiert. 1942 wurden die Internierten freigelassen und Bienheim kehrte nach England zurück. In der ersten Zeit, als er keine Stelle als Rabbiner finden konnte, arbeitete er als Koch und Polierer. Bienheim war in zweiter Ehe mit Marion Krotoschin verheiratet und hatte keine Kinder. Von 1949 bis zu seinem Tod war er Rabbiner in Bradford.
In Bradford gibt es seit 1880 eine bis heute bestehende wunderschöne Reformsynagoge im maurischen Stil und mit dem aus Norddeutschland stammenden Unternehmer und Philanthropen Jacob Moser (1839 - 1922) eine weitere Verbindung zu Wien. Moser, ein engagierter Zionist, war Vizepräsident der britischen Zionist Federation und einer der Gründer, Geldgeber und Präsident der Synagoge in Bradford. Er finanzierte die Bibliothek seiner Stadt, deren Bürgermeister er 1910/11 war, vor allem aber das Herzliya Gymnasium in Tel Aviv. 1904 folgt er dem Sarg Theodor Herzls in Wien. 1913 war er Delegierter des XI. Zionistenkongresses im Wiener Musikverein.
Rothschild hat ein sensibles Buch geschrieben, viel Literatur eingesehen, und er zitiert aus den wenigen verfügbaren Dokumenten über die Familie Bienheim. Da es keinen Nachlass und keine Nachkommen gibt und Bienheim auch seine Bibliothek aus Darmstadt nicht in das Fluchtland retten konnte, bleiben viele Lücken in der Biographie, die Roth- schild an einer Stelle daher auch eine fragmentarische nennt. Leider hat das Buch keinen Index und kein Literaturverzeichnis. Es gibt einige Lektoratsfehler; so gibt es Dubletten in den Informationen über die Familie Abeles in Wien im Haupttext und in den Anmerkungen. Die Hochschule für die Wissenschaft des Judentums wird an einer Stelle zur Hochschule für Jüdische Studien. Die berühmte West London Synagogue, an der Bienheim vor seinem Amtsantritt in Bradford amtierte, wird zur Westend Synagogue.
Zum historischen Hintergrund der Fluchtgeschichte wäre die wissenschaftliche Studie German Rabbis in British Exile von Astris Zajdband (2016) eine ergänzende Lektüre und nachdrücklich zu empfehlen.
Zum Autor: Rabbiner Walter Rothschild war acht Jahre alt, als Rabbiner Erich Bienheim im Alter von 63 Jahren im Jänner 1962 in der englischen Stadt Bradford (in West Yorkshire mit fast 300.000 Einwohnern) starb. Sein Vater Edgar Rothschild (1924 – 2012) war Vorstandsmitglied der Reformsynagoge von Bradford, der drittältesten liberalen Gemeinde Englands. Rothschilds Familie war wie Bienheim aus NS-Deutschland geflüchtet, sein Grossvater war Richter in Hannover gewesen. 1984 wurde Walter Rothschild am Leo Baeck College in London ordiniert; er war Rabbiner in Leeds, in zahlreichen Gemeinden in Deutschland und in Osteuropa. Von 1995 bis 1997 und von 2005 bis 2017 amtierte er als Rabbiner der liberalen Gemeinde Or Chadasch in Wien.