Judith Buber Agassi: Die jüdischen Frauen im Konzentrationslager Ravensbrück - Wer waren sie?
Berlin/Münster/Wien/Zürich/London: Lit Verlag 2010
Reihe: Geschichte des Holocaust, Band 4
376 Seiten, geb, 24,90 Euro
ISBN 978-3-643-10690-2
Wenn das Thema Konzentrationslager aufkommt, denkt man zuerst an Auschwitz. Hier in Österreich auch an Mauthausen. Wenn das Frauenlager Ravensbrück erwähnt wird, gibt es bestimmt noch Personen, die sich an Rosa Jochmann, die dieses Lager überlebt hat, erinnern können und vielleicht auch an Käthe Leichter, die es nicht überlebte. Mehr weiss man kaum. In ihrem Buch Die jüdischen Frauen im Konzentrationslager Ravensbrück - Wer waren sie? führt uns Judith Buber Agassi in die Geschichte eines Lagers, das zwar anders, nicht aber humaner geführt wurde als andere Konzentrationslager.
Die Soziologin Judith Buber Agassi widmet dem sozialen Aspekt viel Aufmerksamkeit. Sie weist daraufhin, dass es hinsichtlich der jüdischen Häftlinge in diesem Lager fünf Zeitabschnitte gab. Da die Frauen der ersten Transporte nach Bernburg, Auschwitz und später in andere Konzentrationslager in Deutschland geschickt wurden ehe die nächste Gruppe nach Ravensburg kam, war es schwer, Näheres über die Vorgangsweise im Lager zu erfahren, beziehungsweise von den „Erfahrungen" der Älteren im Lager zu lernen. Weil die jüdischen Frauen sowohl in den Baracken als auch bei der Arbeit von den anderen isoliert wurden, war der Kontakt zwischen beiden Gruppen minimal, sporadisch und mit grossen Gefahren verbunden. Wenn man bedenkt, dass die SS im letzten Moment viele Dokumente vernichtet hat und das „Weitererzählen" fast unmöglich war, ist es bemerkenswert, was Judith Buber Agassi an Informationen zusammentragen konnte. Wir erfahren zum Beispiel, wie viel Frauen jeweils inhaftiert waren, woher sie kamen, ihr Alter, ihren Beruf und ihre Staatsangehörigkeit und vieles mehr.
Breiten Raum lässt Judith Buber Agassi dem sozialen Verhalten innerhalb der Gruppen. In der ersten Gruppe waren hauptsächlich deutsche und österreichische Frauen. Sprachbarrieren gab es keine, nicht wenige waren zuvor politisch tätig, vor allem kommunistisch oder sozialdemokratisch. Diese Frauen bildeten mitunter straff organisierte Gruppen. Man half einander, wo es nur möglich war und schützte solcherart die Schwachen. Die Frauen dieser Gruppe waren auch kulturell aktiv. Sie hielten Vorträge, unterrichteten und waren literarisch tätig. Käthe Leichter verfasste in Zusammenarbeit mit der Wiener Anwältin Herta Breuer eine ironische Fantasie, die im Lager auch aufgeführt wurde. Diese Frauen der ersten Zeit wurden alle im Jänner 1942 in der Tötungsanstalt Bernburg umgebracht.
Keine der folgenden Gruppen fand zu solchen kulturellen Aktivitäten wie die erste Gruppe. Es lag daran, dass diese Gruppen inhomogen waren. Sie kamen aus mehreren Ländern - daher gab es keine gemeinsame Sprache, zudem waren sie zuvor nicht politisch tätig und organisiert, wie ein Grossteil der ersten Häftlinge.
In Ravensbrück gab es einen Familienblock. Dort waren Mütter mit Kleinkindern, die verschiedene Staatsbürgerschaften besassen. Die Niederländerinnen unter ihnen entwickelten eine Gruppendynamik, die es unter Anderem ermöglichte, die Kinder zu unterrichten. Die Belgierinnen schafften es nicht. Judith Buber Agassi vermutet, dass die Niederländerinnen einander schon aus dem Lager Westerbork kannten und daher leichter zueinander fanden.
Bemerkenswert sind die Schlussfolgerungen der Autorin. Sie betrachtet die Frauen als Heldinnen, als Frauen, die angesichts extremer Unmenschlichkeit ihr eigenes menschliches Antlitz nicht verloren haben. Widerstand leisten heisst nicht ausschliesslich von Waffen Gebrauch zu machen. Durchhalten, den anderen helfen, Mensch bleiben in dieser Hölle - das zu erreichen ist Heldentum, und das bescheinigt Judith Buber Agassi den Frauen, den wenigen Überlebenden und den vielen, die es nicht überlebt haben.