Dimitris Psarras: Neofaschisten in Griechenland. Die Partei Chrysi Avgi.
Hamburg: Laika, Edition Provo 2014.
220 Seiten, Euro 19,00 [D].
ISBN 978 3-944233-07-9
„Am Abend der Wahlen im Juni 2012 hielt eine Gruppe von etwa 50 Leuten, in Schwarz und mit den Abzeichen der Chrysi Avgi bekleidet, mit ihren Motorrädern vor dem Wahlkiosk von SYRIZA auf dem Korai-Platz neben dem Öffentlichen Theater von Piräus an und begann alle, die sich auf dem Platz befanden, zu beschimpfen und zu bedrängen. ... Am selben Abend wurde ein Migrant Opfer eines brutalen Angriffs an der Metrostation Attiki. Wenige Tage später, am 23. Juni, patrouillierte eine motorisierte Gruppe der Organisation in den Strassen Nikaias und bedrohte migrantische Inhaber kleiner Geschäfte ... gaben ihnen eine Woche, um ihre Läden zu schliessen und zu verschwinden. Am folgenden Tag griff eine etwa 20-köpfige Gruppe mit Knüppeln Bewaffneter pakistanische Arbeiter in der Markoni Strasse ... an. Eine weitere Gruppe attackierte migrantische Kleinhändler am Thiseio-Platz."1
Hört sich irgendwie bekannt an? In Berlin? In den 1930er Jahren? Nein, im demokratischen Athen im neuen 21. Jahrhundert, das eigentlich friedlich sein sollte. Schlägertrupps? Schwarzhemden anstelle von Braunhemden? Eine Organisation, die ihre Mitglieder als Fraktion der „Sturmabteilungen" mit Ausrüstung wie Knüppeln und Schilden und sichtbaren Abzeichen in die Menge schickt und auf Migranten hetzt? Was soll das? Wie kann es ausgerechnet in Griechenland, dem Vaterland der Demokratie, zu solchen Vorfällen kommen?
Zwischen 1967 und 1974 herrscht im Land eine Militärjunta. Kurz darauf tritt eine politische Organisation auf, die Hitler als ihr Vorbild anführt, Gewalt auf der Strasse als Methode der nationalen Auflehnung praktiziert - und den Holocaust leugnet. Griechenland wird das erste Land Europas, in dessen Parlament eine Partei einzieht, die offen den Nationalsozialismus als Vorbild nennt und bei den Wahlen sieben Prozent erhält. Wegbereiter ist eine neue Zeitschrift mit dem Namen Chrysi Avgi, die „Morgenröte", die im Dezember 1980 zum ersten Mal erscheint. Die Zeitschrift unternimmt keine Anstrengungen, ihre Gesinnung zu verbergen. Das Hakenkreuz ist von Anfang an am Titelblatt präsent, wenn auch in andere Zeichen und okkulte Symbole verwoben. Der Untertitel „Nationalsozialistische periodische Publikation" taucht hin und wieder auf. Vorherrschendes Thema der Zeitschrift sind Adolf Hitler und die Namen und Taten einiger seiner engsten Mitarbeiter.
Schon früh berichtet Nikolaos G. Michaloliakos, der Chefideologe der Bewegung, über die neofaschistische Szene in ganz Europa, um später ihre Nähe zu suchen: zu den Neonazis in München, 1981; zu den Neofaschisten in Italien, die den 100. Jahrestag des Geburtstags von Mussolini feiern; über die Auflösung einer französischen neofaschistischen Organisation und über die Gründung der Nationalsozialistischen Aktionspartei in Grossbritannien. In den 1990er Jahren kommt es zu grossen Demonstrationen, in deren Windschatten die Anhänger der Chrysi Avgi, nunmehr zu einer Organisation mutiert, gerne mit Baseballschlägern, Schlagringen und Ähnlichem auf Linke einschlagen, ohne dass die Polizei derlei Umtrieben Einhalt gebieten würde. Ja, die Chrysi Avgi ist zu einer straff organisierten Hierarchie geworden, bestehend aus Stosstruppenkämpfern, Kriegern, Gruppenführern, Bereichsführern und Stosstruppführern. Strenge Kleidervorschriften werden erlassen: kein Bart, keine langen Haare, und auch das Rauchen ist den Anhängern verboten. Man propagiert die Bewahrung der Reinheit der griechischen Rasse.
Trotz ihres rabiaten Auftretens landen nur ein bis zwei Prozent der Angreifer der Chrysi Avgi vor Gericht. Schuld daran dürfte nach Ansicht von Psarras nicht zuletzt die „Übereinstimmung zwischen den Sicherheitskräften und der Chrysi Avgi sein", denn bei den Wahlen in von überwiegend von Polizisten bewohnten Gegenden stimmen 2012 immerhin zwischen 17,2 und 23,04 Prozent der Wähler für die Chrysi Avgi. Und sie kann auch auf den Segen der Kirche hoffen. Allerdings sieht man „das Christentum mit der jüdischen Tradition als etwas an, das „den arischen Körper der Völker Europas" verunreinigt.2 Seit den 1980er Jahren zirkuliert das ideologische Dokument der Organisation: Sie ist antichristlich, antimarxistisch und antisemitisch. Die Schrift enthält auch ein eigenes Kapitel über die Juden. Erklärt wird ausdrücklich: „Die Abschlachtung eines gesamten Volkes" ist lediglich „jüdische Nachkriegs-Propaganda".3
Es bleibt abzuwarten, ob das demokratische Griechenland die Kraft haben wird, sich dieser faschistischen Auswüchse zu entledigen.