Alexander Kluy : Jüdisches Marseille und die Provence
Wien: Mandelbaum 2011
298 Seiten, zahlreiche Fotos, Euro 19,90.
ISBN 978-3-85476-415-1
Jüdisches Marseille und die Provence wurde vom Verlag Mandelbaum als derzeit letzter Band in der Reihe Städtereisen zum jüdischen Europa herausgegeben; wie auch die beiden Bände Jüdisches München und Jüdisches Paris von Alexander Kluy verfasst.
Eingeleitet wird der Band mit einer kurzen Geschichte der jüdischen Provence, kurz nur im übertragenen Sinn, denn die Geschichte der Juden im Süden des heutigen Frankreichs beginnt schon in der Spätantike. Zeiten, in denen Juden in relativer Sicherheit leben konnten, folgten Zeiten von Ausweisungen und schweren Verfolgungen, erst nach der Französischen Revolution erhielten sie die bürgerliche Gleichstellung.
In Marseille besteht heute die zweitgrösste jüdische Gemeinde Frankreichs, ungefähr 75000 Juden wohnen dort, weiters leben in Nizza 20000, in Avignon 3000 und in Aix-en-Provence 2500 Juden.
Trotz dieses heutigen blühenden Lebens in der Provence weist Alexander Kluy darauf hin, dass nur mehr Spuren der jüdischen Geschichte zu finden sind. Er schickt die Leser in zwei Routen - die erste führt von Marseille nach Carpentras und die zweite von Menton nach Marseille - auf eine literarische Reise mit Autoren wie Kurt Tucholsky, Joseph Roth, Lion Feuchtwanger und Ludwig Marcuse.
Die Provence, bereits im Mittelalter ein wichtiges Zentrum einer eher der sephardischen Tradition näher stehenden jüdischen Kultur, wurde im 19. Jahrhundert ein beliebtes Ziel von Künstlern, vor allem Malern. Ab den 1930 Jahren wurde Provence zur Zuflucht vieler aus Deutschland und Österreich fliehender Intellektueller und Künstler, zum grossen Teil Juden. So war das Fischerdorf Sanary eine Zeitlang praktisch eine deutsche Schriftstellerkolonie, in der viele der berühmtesten Schriftsteller die ersten Jahre des Exils verbrachten.
1939 lebten ungefähr 10000 Juden in Marseille, diese Zahl sollte in den nächsten Jahren ständig steigen, da zahlreiche Menschen aus den besetzten Teilen Europas kamen, um in der bis 1942 in der freien Zone liegenden Hafenstadt bei den Konsulaten Visas oder Durchreisegenehmigungen und Schiffskarten für eine Überfahrt nach Übersee zu bekommen. Zahlreiche jüdische Hilfsorganisationen hatten ihren Sitz ebenfalls dorthin verlegt. In Marseille war auch der amerikanische Journalist Varian Fry tätig, der im Auftrag des » Emergency Rescue Committee an die 2000 Menschen rettete, vor allem Künstler, indem er sie mit notwendigen Visas, Schiffskarten und Geld ausstattete, darunter z.B. Franz Werfel, Hannah Arendt, Marc Chagall, Soma Morgenstern, Alfred Polgar. Eine Gedenktafel an dem Gebäude in dem er sein Büro - eigentlich ein Hotelzimmer - hatte erinnert an ihn. Mitte November 1942 wurde Marseille von den Deutschen besetzt, im Frühjahr 1943 erfolgten grosse Razzien, bei der viele Juden verhaftet und schliesslich in die Vernichtungslager deportiert wurden.
Der grösste Teil der heute in der Provence lebenden Juden sind ab den 1960- Jahren aus den nordafrikanischen Ländern eingewandert, für sie war Marseille oft der erste Ankunftsort.
Dieser Band ist wie die anderen dieser Reihe kein klassischer Reiseführer, aber sollte bei einer Reise in die Provence unbedingt gelesen werden und bietet auch den Nichtreisenden eine Fülle von Informationen.
Wie bei allen Reiseführern dieser Reihe sind im Anhang viele praktische Angaben zu jüdischen Einrichtungen zu finden.