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The King of Glass, Mirror, and Metal on Good Sets

Ines SONDER

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Es gibt eine Szene im Wiener Film Sonnenstrahl (A, 1933), wo an der Wand eines düsteren Treppenhauses neben einem Galgen und diversen Strichmännchen auch die Worte „Fenchel liebt Sophie" zu lesen sind. Keiner der Protagonisten des Films, der in den Hauptrollen von Gustav Fröhlich (alias Hans Schmidt) und der französischen Schauspielerin Annabella (alias Anna Bergner) verkörpert wird, heissen „Fenchel" oder „Sophie".  Dessen ungeachtet, der unbedarfte Zuschauer wird hierin eine Liebesbotschaft an der Wand eines von sozialer Not geprägten Wiener Mietshauses deuten, wie man sie auch andernorts und allenthalben lesen kann. Der Szenenausschnitt ist kurz und schnell vergessen, indes: beliebig war er nicht.

Es gibt auch eine Fotografie, die während der Dreharbeiten zu Sonnenstrahl entstand und die genau jenen Moment festhält, wo Paul Fejos (1897-1963), der begnadete ungarisch-amerikanische Regisseur des Streifens, ebendiese Zeilen „Fenchel liebt Sophie" an die Wand des Treppenhauses schreibt. Die Fotografie ist signiert: „To Heinz, the king of glass, mirror, and metal on good sets. Paul Fejos".

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Heinz Fenchel (links) und Paul Fejos am Filmset von SONNENSTRAHL. Quelle: Archiv Federmann, Tel Aviv. Mit freundlicher Genehmigung I. Sonder.

Es war, so können wir heute nur vermuten, offenbar ein spontaner Gag für die Filmkulisse, mit dem Paul Fejos seinen Kollegen, den deutsch-jüdischen Filmarchitekten Heinz Fenchel in einer kleinen Filmsequenz - und nicht nur im Abspann - namentlich verewigen wollte. Wer allerdings Sophie war, bleibt weiterhin im Dunkeln. Die Widmung auf der Fotografie selbst ist zweifellos eine der wenigen überlieferten Huldigungen eines Regisseurs an das künstlerische Schaffen eines Filmarchitekten, deren Wirken häufig, und leider zu Unrecht, in der Anonymität bleibt.1

Der im Stil des poetischen Realismus gedrehte Film Sonnenstrahl, von dem es auch eine französische Version Gardez le Sourire (A/F 1933)2 gibt, war der erste von insgesamt fünf Filmen, die Paul Fejos und Heinz Fenchel gemeinsam verwirklichten, gefolgt von Frühlingsstimmen (A 1933) mit der Koloratursopranistin Adele Kern, sowie den drei dänischen Produktionen Flugten fra Millionerne (Flucht vor Millionen, DK 1934) mit Inga Arvad, Fange Nr. 1 (Der Gefangene Nr. 1, DK 1935) mit Christian Arhoff und Det gyldne Smil (Das goldene Lächeln, DK 1935) mit Bodil Ipson. Danach trennen sich ihre Wege: Paul Fejos brach zu Filmexpeditionen nach Madagaskar und Indonesien auf und ging 1941 zurück in die USA; Heinz Fenchel, der noch gemeinsam mit Max Ophüls in den Niederlanden Komedie om Geld  (Komödie ums Geld, NL 1936) realisierte, emigrierte Ende 1936 nach Palästina. Ob die Männer sich noch einmal begegnet sind, wissen wir nicht.

Während mit der von Elisabeth Büttner herausgegebenen Publikation Paul Fejos. Die Welt macht Film (Filmarchiv Austria, 2004) eine neuere Forschungsarbeit zum filmhistorischen (weniger biographischen) Kontext von Fejos' Wirken vorliegt,3 ist das Leben und Werk des deutsch-jüdischen Filmarchitekten Heinz Fenchel noch Desiderat.4 Sein ausserordentliches Œuvre - Fenchel hat nach seiner Emigration nach Palästina vor allem als Interieur Designer und Architekt gewirkt -, das sich im Nachlass seiner Tochter Liorah Federmann in Tel Aviv erhalten hat, wird derzeit in einem deutsch-israelischen Kooperationsprojekt bearbeitet.

Heinz Fenchel wurde am 11. September 1906 in Berlin als Aron Heinz Fenchel in eine assimilierte deutsch-jüdische Familie geboren (in Palästina hebräisiert er seinen Vornamen später in Chaim). Sein Vater Carl Fenchel (1873-1942) war Kaufmann und Mitinhaber der Firma Meyer& Hirsch, eines prosperierenden En gros - Geschäftes für Hanf-Seilerwaren. Seine Mutter Gertrud Fenchel (1881-1926) geb. Hirsch war die Tochter des Firmeninhabers. Fenchels ein Jahr älterer Bruder war der bekannte Mathematiker Moritz Werner Fenchel (1905-1988), der 1933 nach Kopenhagen emigrierte.

Heinz Fenchels künstlerisches Talent war bereits als Schüler deutlich erkennbar und wurde von Otto Dannenberg (geb. 1867), Professor an der Unterrichtsanstalt des Kunstgewerbemuseums in Berlin, gefördert. Nach seiner Schulausbildung an der Menzel-Realschule und der Leibnitz-Oberrealschule studierte Fenchel Architektur an der Staatlichen Hochschule der Bildenden Künste zu Berlin-Charlottenburg. Er absolvierte das Atelier für Baukunst bei Hans Poelzig (1869-1936) und die Fachklasse für Theater und Bühnendekoration bei César Klein (1876-1954). Im Berliner Adressbuch des Jahres 1927 wird der 21-Jährige als „Möbelzeichner" aufgeführt, wohnhaft in der Wullenweberstrasse 7. Drei Jahre später findet sich unter der Adresse Eyke von Repkow Platz 1 die Berufsbezeichnung Architekt.

1928 arbeitete Heinz Fenchel zunächst als Assistent beim bekannten Bühnenbildner Ernst Stern (1876-1954) am Grossen Schauspielhaus zu Berlin und erhielt noch im selben Jahr seinen ersten Arbeitskontrakt als 2. Filmarchitekt bei der Universal Film AG (UFA) in Neubabelsberg. Vermutlich war es Stern, der selbst seit 1918 regelmässig Filmkulissen entwarf, der den Kontakt zum Film vermittelte. Ein Blick auf Fenchels Filmografie macht jedoch deutlich, dass dieser bereits vor seiner offiziellen Anstellung bei der UFA an ersten Filmproduktionen beteiligt war. Sein erster Film war Die geschenkte Loge (D, 1928) unter der Regie des spanischen Regisseurs und Anarchisten Armand Guerra (1886-1939), der wegen Zensurverbotes jedoch nie die Kinos erreichte. Noch im gleichen Jahr folgte der Liane Haid-Film S.O.S. Schiff in Not (D, 1928, Regie: Carmine Gallone), bei dem Fenchel erstmals gemeinsam mit Jacek Rotmil (1888-1944, hingerichtet) für die Filmbauten verantwortlich zeichnete. Rotmil (auch Jack oder Jacques) war seit Beginn der 1920er Jahre für zahlreiche Produktionen als Filmarchitekt und Set Designer tätig, darunter auch viele polnische und jiddische. Fenchel realisierte mit Rotmil insgesamt 14 Filme in Folge, darunter die UFA-Produktionen Adieu Mascotte (D, 1929, Regie: Wilhelm Thiele) mit Lilian Harvey, Der Sträfling aus Stambul (D, 1929, Regie: Gustav Ucicky) mit Heinrich George und Paul Hörbiger, Wenn Du einmal Dein Herz verschenkst (D, 1929, Regie: Johannes Guter) ebenfalls mit Lilian Harvey, sowie Dolly macht Karriere (D, 1930, Regie: Anatol Litvak) mit Dolly Haas und Theo Lingen.5

Gemeinsam mit Rotmil war Fenchel auch an Filmen der Ondra-Lama�-Film GmbH beteiligt. Die bekannte deutsch-tschechische Schauspielerin Anny Ondra (1902-1987), die 1929 Alfred Hitchcocks erste blonde Mörderin war, und ihr erster Ehemann, der Regisseur Carl Lama� (1897-1952) hatten 1930 ihre eigene Filmproduktionsfirma in Berlin gegründet, die vor allem in Deutschland, der Tschechoslowakei,  Frankreich und Österreich Filme produzierte. Noch 1930 realisierte das Duo Rotmil/Fenchel die Filmbauten von Die vom Rummelplatz (D, 1930) und Eine Freundin so goldig wie Du (D, 1930), in der Regie von Carl Lama� und mit Anny Ondra als Hauptdarstellerin. Insgesamt zeichnete Fenchel bei der Ondra-Lama�-Film GmbH für elf Filme als Set Designer verantwortlich, darunter Der Zinker (D, 1931),  Die Fledermaus (D/F, 1931), Mamsell Nitouche (D/F, 1932), Der Hexer (A/D, 1932), Kiki (D/F, 1932), Baby (F, 1932) und Die Regimentstochter (D/A, 1933). Die auf Anny Ondra in der Hauptrolle zugeschnittenen Filme waren intelligent gemachte, unprätentiöse Komödien mit poetischen Plaudereien, häufig im Theatermilieu angesiedelt, und mit opulentem Dekor und eleganten Draperien ausgestattet. In Fenchels Nachlass haben sich zu einigen dieser Filme von ihm entworfene Szenenbilder und Standfotografien erhalten - einzigartige und heute kaum noch aufzufindende Quellen seiner Arbeit und der Filmindustrie der Weimarer Republik.

Das Jahr 1933 war auch in der Filmbranche Deutschlands eine Zäsur. Acht Wochen nach der Ernennung Adolf Hitlers zum Reichskanzler hatte Propagandaminister Joseph Goebbels am 28. März 1933 im Berliner Hotel Kaiserhof eine Rede vor Filmschaffenden gehalten, in der er die Grundzüge der Filmpolitik des NS-Regimes entwarf. Bereits am darauffolgenden Tag zog die UFA auf ihrer Vorstandssitzung am 29. März 1933 personelle Konsequenzen und entliess im Zuge der Arisierung des Unternehmens insgesamt 24 jüdische Angestellte, darunter Regisseure, Drehbuchautoren, Schauspieler, Tonmeister, Filmarchitekten und Büroangestellte. Auch Heinz Fenchel, der seit längerem als freier Filmarchitekt arbeitete und Mitglied des Dachverbandes der Filmschaffenden Künstler Deutschlands war, wurde nach der Gründung der Reichsfilmkammer im Juli  1933 als Jude jegliche Arbeit in Deutschland untersagt. Einer seiner letzten Filme in einer deutsch-französischen Koproduktion war Der Tunnel (franz. Le Tunnel; F/D, 1933) unter der Regie von Kurt Bernhardt, mit Gustaf Gründgens und Attila Hörbiger. Zu dieser Zeit begann auch Fenchels oben beschriebene Zusammenarbeit mit Paul Fejos in Wien und ab 1934 in Dänemark, die den Beginn seiner Arbeit als deutsch-jüdischer Film-Emigrant markiert.

Fenchels  letzter Film war die niederländische Produktion Komedie om Geld (NL, 1936) unter der Regie von  Max Ophüls (1902-1957). Ophüls, ebenfalls jüdischer Abstammung, hatte bereits 1933 Deutschland in Richtung Frankreich verlassen. Heinz Fenchel war in Komedie om Geld der letzte „ausländische" Architekt in einem niederländischen Spielfilm der 1930er Jahre.6 In seiner Ophüls-Biographie würdigte Helmut G. Asper in Komedie om Geld Fenchels Filmbauten und „modernistische Architektur", die in ihrer Gestaltung „an den deutschen Film der zwanziger Jahre" anknüpften.7 Und auch die zeitgenössische Presse war wohlwollend. So schrieb das Rotterdamsch Nieuwsblad Anfang November 1936:

„Mehr in diesem Film deutet auf internationales Niveau. So hat der Filmarchitekt Heinz Fenschel [sic] eine brillante Ausstattung entworfen."8 

Heinz Fenchel, der bis zu seiner Emigration nach Palästina noch einen Wohnsitz in Berlin hatte, verliess im November 1936 Deutschland. Nach kurzen Zwischenstationen in Prag, wo er für einen befreundeten Hotelier ein Landhaus entwarf,9 und in Budapest, wo er Abschied nahm von seinem engen Freund, dem Komponisten Ferenc Farkas (1905-2000), mit dem er gemeinsam an den fünf  Fejos-Produktionen beteiligt gewesen war, erreichte Fenchel Anfang 1937 Palästina. Noch ist wenig bekannt über seine Entscheidung, in das Land der „jüdischen Heimstätte" auszuwandern. Viele namhafte Regisseure, Schauspieler und Filmarchitekten emigrierten nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten nach England bzw. in die Vereinigten Staaten, wo sie - wenn auch zum Teil unter schwierigen Umständen - ihre Arbeit fortsetzen konnten. Der jüdische Sektor Palästinas besass demgegenüber keine florierende Filmindustrie, die den Lebensunterhalt des Emigranten hätte decken können.

Heinz Fenchel arbeitete nach seiner Emigration nach Palästina nie wieder als Filmarchitekt. Es gelang ihm jedoch, sich als innovativer Architekt und Designer für Interieurs zu profilieren und Auftraggeber für zahlreiche öffentliche und private Bauaufgaben sowie Inneneinrichtungen zu finden. Seine erste Arbeit im Land war 1938 das bekannte und beliebte Café Pilz in der Hayarkon Strasse 81 in Tel Aviv. Des Weiteren plante er Kinos, Geschäfte und Apartmenthäuser in Tel Aviv, aber auch Fabrikanlagen wie die Autofabrik Kaiser Ilin in Aschkelon. Neben Aufträgen auf dem privaten Wohnhaussektor war der Hotelbau ein wichtiges Betätigungsfeld, darunter für die renommierte Hotelkette DAN in Tel Aviv, Jerusalem und Haifa. Darüber hinaus entwarf Fenchel auch Hotels in Ländern Afrikas, unter anderem eines in Abidjan (Elfenbeinküste), das auf einer Reihe von Briefmarken veröffentlicht wurde, sowie einen Palast für König Abdallah von Jordanien. Für seinen Entwurf der Französischen Bibliothek Aschech (1958) in der Dizengoff-Strasse in Tel Aviv erhielt er 1961 den Rokach Prize for Architecture.

„Mir scheint", so schrieb sein Bruder Werner Fenchel im Oktober 1947 aus Dänemark,

„dass Du doch recht viel hast retten können. Du kannst doch Deine Fähigkeiten, wenn auch nicht voll, so doch weitgehend und mit Erfolg, ausnutzen."10

Heinz Fenchel arbeitete in Palästina und dem späteren Staat Israel 50 Jahre lang als erfolgreicher Architekt und Interieur-Designer. Seine Entwürfe und Ausstattungen für moderne Kaffeehäuser, elegante Wohnungseinrichtungen und luxuriöse Hotels erinnern zum Teil an die Filmdekorationen seiner frühen Jahre. Angesichts der in den 1930er und 1940er Jahren entstandenen Bauhaus-Architektur in Tel Aviv und landesweit entziehen sie sich jedem strengen funktionalistischen Diktat und stehen in ihrer stilistischen Vielfalt und ästhetischen Individualität singulär. Einige von Fenchels Bauten fanden Eingang in Publikationen zur israelischen Architektur des 20. Jahrhunderts.11 Man darf gespannt sein, dieses einzigartige und in seinem professionellen Spektrum bislang unbeachtet gebliebene baukünstlerische Œuvre  eines Berliner Filmarchitekten und israelischen Interieur-Designers in Zukunft in einer umfassenden Monographie dokumentiert zu sehen.

  

1  Heinz Fenchel entwarf die Bauten für Sonnenstrahl gemeinsam mit dem österreichischen Theatermaler und Filmarchitekten Emil Stepanek (1895-1945).

2   Regie führte in dieser Version Paul Fejos gemeinsam mit René Sti.

3   Vgl. auch Dodds, John Wendell: The several lives of Paul Fejos. A Hungarian-American Odyssey, New York 1973.

4   Vgl. Schlör, Joachim: Heinz Fenchel. Ein Berliner Filmarchitekt in Tel Aviv, In: Filmexil, Nr. 11 [Palästina] 1998, S. 71-75; Loewy, Ronny: ‚Grandeur of the Interiors‘. Max Ophüls und Heinz Fenchel, In: Filmexil, Nr. 15 (April 2002), S. 25f.

5   Weitere Filme mit Rotmil waren u.a.: Schwarzwaldmädel (D, 1929, Regie: Viktor Janson); Phantome des Glücks (D, 1930, Regie: Reinhold Schünzel); Troika (D, 1930, Regie: Vladimir Stri�evskij); Die Csikosbaroness (D, 1930, Regie: Jakob und Luise Fleck) und Das alte Lied (D, 1930, Regie: Erich Waschnek).

6   Vgl. Dittrich van Weringh, Kathinka: Der niederländische Spielfilm der Dreissiger Jahre und die deutsche Filmemigration, Amsterdam 1987, S. 38.

7   Vgl. Asper, Helmut G.: Max Ophüls. Eine Biographie mit zahlreichen Dokumenten, Texten und Bildern, Berlin 1998, S. 335.

8   Vgl. Rotterdamsch Nieuwsblad (7. November 1936), zitiert in Loewy [wie Anm. 4].

9   Auch in Deutschland hatte Fenchel einige private Wohnhäuser entworfen. Die Hintergründe dieser Planungen und ihre Klienten sind noch Forschungsdesiderat.

10   Brief von Werner Fenchel (Lund, DK) an Heinz Fenchel (Tel Aviv), 8. Oktober 1947, Archiv Liorah Federmann.

11   Vgl. Elhanani, Aba: The Struggle for Independence. The Israeli Architecture in the Twentieth Century, Jerusalem 1998; Efrat, Zvi: The Israeli Project: Building and Architecture, 1948-1973, Tel Aviv 2004.