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Die Überwindung der Geschichte

Tina WALZER

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Zwei Initiativen stellen in Wien die Folgen der Shoah in einen neuen Kontext. Während sich der Verein Servitengasse 1938 um die Erforschung der einstigen Ereignisse in seiner unmittelbaren Nachbarschaft bemüht, wird Wien im Sommer 2011 als Austragungsort der Europäischen Makkabi-Spiele erstmals seit der Shoah Ziel tausender jüdischer Besucher sein, die bisher in Erinnerung der einstigen Vertreibung keinen Fuss in diese Stadt gesetzt hatten.

Ausgehend von einer Nachbarschafts-Initiative, bemüht sich der Verein Servitengasse 1938 zur Erforschung von jüdischen Schicksalen am Alsergrund seit nunmehr 6 Jahren, mehr über die ehemaligen jüdischen Bewohner seines Stadtviertels im 9. Wiener Gemeindebezirk herauszufinden. Nachdem im April 2008 nach längeren Auseinandersetzungen ein Mahnmal an der Servitengasse/  Ecke Grünentorgasse eingeweiht werden konnte, präsentiert der Verein nun Einzelschicksale ausgewählter ehemaliger Bezirksbewohner in einer Ausstellung.

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Die erste Maccabia, Israel 1932. Copyright EMC, mit freundlicher Genehmigung EMG Wien 2011.

Die Aktivitäten des Vereines können sich sehen lassen: Die Schlüssel gegen das Vergessen versinnbildlichen mit alten Wohnungsschlüsseln zum zerstörten Zuhause vertriebener, deportierter Juden die Kraft des Erinnerns. Daneben widmet sich der Film Unter dem Alsergrund - Servitengasse 1938  von Tobias Dörr und Henri Steinmetz (Ö 2006, 61 min) den Schicksalen der ehemaligen Nachbarn. Die fundierte Forschungsbasis zu den Projekten lässt sich im Forschungsbericht Servitengasse 1938; Schicksale der Verschwundenen nachlesen1, ein Buch eröffnet darüber hinaus den Blick auf die einstigen Nachbarn auch einem breiten Publikum.2 Insgesamt spiegeln die Aktivitäten des Vereines eine in den letzten Jahren zunehmend populäre neue Hinwendung zur einem verdrängten Kapitel der Geschichte der Stadt. Das Interesse an individuellen Schicksalen der Opfer ist in den Vordergrund getreten, wie auch die immer zahlreicher angebrachten Stolpersteine beweisen.3 Die Beschäftigung mit der Frage, was wohl mit den vielen ehemaligen jüdischen Bewohnern der eigenen und umgebenden Wohnungen, den Betreibern der Geschäfte, Betriebe geschehen sein mag, wird zunehmend in den gelebten Alltag der heutigen, vorwiegend nichtjüdischen Bewohner integriert und markiert damit ein Ende der Nachkriegsära, die vom Vergessen-Wollen geprägt gewesen war.

Eine andere Art, die traumatischen Folgen der Shoah zu überwinden zeigt sich in der Tatsache, dass Wien zum Austragungsort der Europäischen Makkabi-Spiele im Sommer 2011 gewählt wurde. Diese werden damit die ersten Makkabi-Spiele auf deutschsprachigem Boden sein. Nachdem sich vier Städte - St. Petersburg, Stockholm, Madrid und Wien - als Austragungsort beworben hatten, gab die Überlegung der „games of short distances" doch den Ausschlag für Wien. Ähnlich der Olympiade fungierte hier die Europäische Makkabi-Konföderation als Ausschreiber, Bürgermeister Michael Häupl unterstützte die Wiener Kandidatur.  Die Spiele werden im und um das neue Hakoah-Sportzentrum im Prater ausgerichtet.

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Eröffnung der Maccabia, Israel 2009. Foto: Itamar Grinber, mit freundlicher Genehmigung EMG Wien 2011.

Die ersten Spiele hatten 1929 in Prag stattgefunden, gefolgt von Antwerpen 1930. Es folgte eine Pause von 29 Jahren, bis die dritten Makkabi-Spiele in Kopenhagen abgehalten wurden. Seither finden die Europäischen Makkabi-Spiele alle vier Jahre statt, ähnlich wie die Makkabiade in Israel (erstmals 1932 in Tel Aviv, dann ab 1950 regelmäßig). In Israel haben bereits 18 Spiele stattgefunden. Die Makkabiade-Teilnehmer kommen aus allen Ländern der Welt, bei den letzten Spielen waren es 7.000. Diese den olympischen Spielen nachempfundene jüdische Sportveranstaltung zählt damit zu den fünf grössten internationalen Sportereignissen. Im Vergleich dazu hatten die Europäischen Makkabi-Spiele 2007 in Rom 1.700 Teilnehmer. Für die Wiener Spiele 2011 gibt es bereits jetzt über 2.000 Anmeldungen aktiver Teilnehmer aus über 40 Nationen. Makkabi Wien und Hakoah, die zusammen den Jüdischen Sportverband Österreichs bilden, richten über das ehrenamtliche Organisationskomitee des Sportverbandes die Wiener Spiele gemeinsam aus. Ab dem 6. Juli 2011 werden bis zu 100 Bewerbe in insgesamt neunzehn verschiedenen Disziplinen stattfinden, die Eröffnungsfeier am Abend des 6. Juli soll am Rathausplatz mit einem Fackellauf begangen werden. Zur Verpflegung werden täglich über 4.000 koschere Menüs bereitgestellt. Oskar Deutsch, der Vizepräsident der IKG Wien, Vorsitzende der Makkabi-Spiele sowie Präsident und Gründer des Sportklubs Makkabi 1996, betont:

„Zum ersten Mal in der Geschichte kommen über 2.000 Juden nach Wien, nicht um über Vertreibung und Enteignung zu recherchieren, sondern um Sport auszuüben, und um eine gute Zeit zu haben. Das ist gut für die Sportorganisation, gut für die Kultusgemeinde, gut für die Stadt, und gut für Österreich."

Auf die Frage, ob es denn keine Bedenken des Europäischen Makkabi-Komitees gegen den Austragungsort Wien gegeben hätte, meinte Deutsch, Wien habe sich bereits öfters beworben, und sei meist an ehemaligen österreichischen Juden gescheitert, die sich gegen einen Austragungsort auf dem Boden des ehemaligen Deutschen Reiches ausgesprochen hätten. Umso grösser sei daher die Freude, dass dieser Bann nun endlich gebrochen werden konnte. Die Wiener Bevölkerung wird von den Europäischen Makkabi-Spielen einiges mitbekommen: Die Juniors (Altersklasse 14 bis 16 Jahre) werden an spielfreien Tagen ein educational programm bekommen, in dem sie mit der Aufarbeitung der lokalen Geschichte, jener Israels sowie des Antisemitismus vertraut gemacht werden. Thema der Veranstaltung sei, so Deutsch,

„auch Geschichte, aber vor allem Gegenwart und Zukunft des Judentums, weil wir ja alle nach vorne schauen wollen."

Die IKG Wien möchte sich in diesem Rahmen als junge, dynamische jüdische Gemeinde vorstellen - eines ihrer wichtigsten Anliegen, das sie in der ganzen Welt anderen Juden demonstrieren möchte. Jeder Interessierte ist eingeladen,  unentgeltlich als Zuschauer an den Bewerben teilzunehmen.

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Schwimmer, Israel 2009. Copyright EMC, mit freundlicher Genehmigung EMG Wien 2011. 

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Feldhockey, Israel 2009. Copyright EMC, mit freundlicher Genehmigung EMG Wien 2011.

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Die Hakoah-Mehrzweckhalle in Wien. Mit freundlicher Genehmigung EMG Wien 2011.

Mit ihren Initiativen bekunden beide Seiten, die jüdische wie auch die nichtjüdische, ihren Willen, aufeinander zuzugehen, die Last der Vergangenheit nicht nur zu tragen, sondern in einem zukunftsorientieren Akt der Öffnung zu überwinden und in einen als positiv empfundenen Alltag zu integrieren.

Ausstellung:

Servitengasse 1938. Spuren in der Nachbarschaft.

Galerie FORTUNA

Berggasse 21

1090 Wien

16. Juni bis 31. Juli 2010

Montag bis Freitag von 9 Uhr bis 18 Uhr

Parallel dazu findet eine Plakatausstellung in einzelnen Geschäften der Servitengasse statt.

Information: http://www.redirect.servitengasse1938.at/

European Maccabi Games : www.emg20111.eu

1   Forschungsbericht: Servitengasse 1938. Schicksale der Verschwundenen. Jubiläumsfondsprojekt Februar 2007, Projektleitung Mag.a Birgit Johler, Wissenschaftliche Mitarbeiterinnen: Mag.a Maria Fritsche, can.Mag.a Barbara Sauer, Mag.a Katharina Kober und Mag.a Ulrike Tauss

2    Birgit Johler/ Maria Fritsche (Hg): 1938 Adresse Servitengasse. Eine Nachbarschaft auf Spurensuche. Wien: Mandelbaum 2007.

3   So etwa auch die Projekte im Wiener 2. und 8. Bezirk; Information: http://www.steinedererinnerung.net Irmtraut Karlsson/ Manfred Kerry/ Tina Walzer: ...lebte in der Josefstadt. Steine der Erinnerung 1938 - 1945. Wien: Milena Verlag 2008; oder in Wien-Mariahilf, http://www.erinnern-fuer-die-zukunft.at