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Papst Pius XII. und die Juden

Wolfgang BENZ

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Eugenio Maria Giuseppe Giovanni Pacelli war Spross einer Patrizierfamilie aus Viterbo, sein Vater war Doyen der Konsistorialadvokaten der Kurie, auch der Grossvater war Jurist im Dienste des Vatikans gewesen. Vor der Priesterweihe 1899 studierte Pacelli an der Gregoriana und promovierte 1901 zum Dr. theol. und Dr. ur. utr. Seine Karriere als Spezialist für Staatskirchenrecht und ab 1914 in der Kongregation für Ausserordentliche Angelegenheiten des Vatikans führte ihn 1917 als Nuntius nach München. Zur gleichen Zeit hatte er die Weihe zum Bischof erhalten. Von 1909 bis 1914 war er auch Professor für Kirchliche Diplomatie an der Päpstlichen Diplomatenakademie gewesen.

Der rhetorisch begabte und in mehreren Sprachen gewandte Pacelli hatte den Auftrag, ein Konkordat mit dem Königreich Bayern vorzubereiten und die päpstliche Friedenspolitik im Ersten Weltkrieg zu vermitteln. 1920 wurde Pacelli zugleich bei der Reichsregierung akkreditiert, führte nun den Titel Apostolischer Nuntius in Deutschland, blieb aber bis zum Abschluss des Konkordats mit Bayern in München, ehe er 1925 nach Berlin übersiedelte. Im Dezember 1929 zum Kardinal erhoben, wurde Pacelli im Februar 1930 Kardinal-Staatssekretär und damit Chef der Regierungsbehörde des Vatikans. Am Abschluss des Konkordats mit dem Deutschen Reich 1933 war er, wie auch an den Konkordaten mit Preussen (1929) und Baden (1932) massgeblich beteiligt. Papst Pius XI. (1857-1939) bereitete Pacelli systematisch auf seine Nachfolge vor, die dieser nach nur eintägigem Konklave am 2.3.1939 antrat.

Schon als Kardinalstaatssekretär hatte Pacelli zu den 1938 erlassenen Rassegesetzen im faschistische Italien geschwiegen. Interesse erregte allenfalls die Frage des Verbots von Mischehen, wobei der Vatikan vergeblich versuchte, in diplomatischen Verhandlungen mit der Regierung Mussolinis die rassistischen Kriterien durch konfessionelle zu ersetzen. Zum Papst gewählt, vermied Pius XII. jedweden Kommentar zur sukzessiven Verschärfung der antijüdischen Verfolgung im faschistischen Italien von 1939 bis 1943. Sein Interesse richtete sich lediglich auf die Unterstützung konvertierter Juden.

Auch angesichts der Judenverfolgung im nationalsozialistischen Deutschland verzichtete Pius XII. auf deutliche Proteste. Eine päpstliche Enzyklika, die sein Vorgänger Pius XI. ab Juni 1938 vorbereiten liess, die unter dem Titel Humani generis unitatis (Über die Einheit des Menschengeschlechtes) das christliche Fanal gegen nationalsozialistischen Rassenwahn hätte werden sollen, verschwand in den Archiven. Verfasser des Entwurfes war der amerikanische Jesuit John LaFarge, der Text lag im Herbst 1938, noch vor den Novemberpogromen, im Vatikan vor. Zum Thema Juden und Antisemitismus enthielt die Enzyklika folgende Passage:

„Ist die Verfolgung einmal in Gang gekommen, dann werden Millionen von Menschen auf dem Boden ihres eigenen Vaterlandes der elementarsten Bürgerrechte und -privilegien beraubt, man verweigert ihnen den Schutz des Gesetzes gegen Gewalt und Diebstahl, Beleidigung und Schmach harren ihrer, man geht sogar so weit, das Brandmal des Verbrechers Personen aufzudrücken, die das Gesetz ihres Landes bis dahin peinlich genau befolgt haben. Sogar jene, die tapfer für das Vaterland gekämpft haben, werden wie Verräter behandelt; die Kinder derer, die auf dem Schlachtfeld gefallen sind, werden aufgrund der alleinigen Tatsache, wer ihre Eltern sind, für ausserhalb des Gesetzes stehend erklärt".

Pius XII. hielt nicht nur diese deutlichen Worte seines Vorgängers unter Verschluss. Er fühlte sich mit Deutschland verbunden, und dies, obwohl er den Nationalsozialismus ablehnte und seine Wahl auch von der NS-Regierung skeptisch aufgenommen worden war. Pius XII. übte sich, aus Gründen politischer Diplomatie, in Zurückhaltung gegenüber dem NS-Regime; er rechtfertigte sein Verhalten damit, dass starker Protest nur als Provokation empfunden und das Schicksal der Verfolgten allenfalls verschlimmern würde. Diese Haltung behielt Pius XII. auch bei, als ihm der Wiener Kardinal Theodor Innitzer Anfang 1941 über die Deportationen von Juden berichtete, und als er im folgenden Jahr von der Ermordung der deportierten Juden Kenntnis erlangte. In seiner Weihnachtsbotschaft 1942 sprach Pius XII. von

„den Hunderttausenden, die persönlich schuldlos bisweilen nur um ihrer Volkszugehörigkeit oder Abstammung willen dem Tode geweiht oder einer fortschreitenden Verelendung preisgegeben sind".

Deutlicher wurde er nie, und auch in dieser Ansprache vermied er es, von Juden zu sprechen. Der Papst glaubte, wie er dem Vertreter der USA beim Vatikan versicherte, er habe sich damit klar genug über die nationalsozialistischen Verbrechen auch an den Juden geäussert. In Deutschland ist die Botschaft aber nicht vernommen und verstanden worden.

Den deutschen Bischöfen erläuterte der Papst seine Zurückhaltung im Januar 1943 mit den Worten

„Für den Stellvertreter Christi wird der Pfad, den er gehen muss, um zwischen den sich widerstreitenden Forderungen seines Hirtenamtes den richtigen Ausgleich zu finden, immer verschlungener und dornenvoller".

Als im September desselben Jahres deutsche Truppen in Italien einmarschiert waren und damit die Verschärfung der Judenverfolgung in Italien einsetzte, blieb Pius XII. bei seiner Zurückhaltung. Nach der Besetzung weiter Teile Italiens durch die deutsche Wehrmacht führte die SS am 16. Oktober 1943 eine Razzia im Ghetto von Rom durch, bei der weit über tausend Juden verhaftet und nach Auschwitz deportiert wurden. Trotz aller Versuche, den Papst zu einer Stellungnahme zu veranlassen, schwieg Pius XII. Der deutsche Botschafter beim Heiligen Stuhl, Ernst von Weizsäcker, berichtete dem Auswärtigen Amt in Berlin von diesem „Vorgang, sozusagen unter den Fenstern des Papstes" und dass der Papst, obwohl „von vielen Seiten bestürmt, zu keiner demonstrativen Äusserung gegen den Abtransport der Juden aus Rom" sich hinreissen liess. Hilfsmassnahmen, die von Seiten der katholischen Kirche für Juden während der deutschen Besetzung Roms durchgeführt wurden, behinderte der Papst allerdings nicht.

Im Verständnis Pius' XII. war der Kommunismus die gefährlichere der totalitären Ideologien, gegen den Bolschewismus hat er sich nach 1945 auch entschiedener verwahrt als gegen den Faschismus in katholischen Ländern und gegen den Nationalsozialismus. Die Haltung des Papstes und der Katholischen Kirche wurde weltweit diskutiert, nachdem Rolf Hochhuth in dem Anfang 1963 uraufgeführten Schauspiel Der Stellvertreter die Haltung des Papstes kritisch thematisiert hatte. Der Vatikan, unterstützt von katholischer Publizistik, lehnt Fragen nach dem Schweigen des Papstes auch fünfzig Jahre nach dessen Tod noch ab, spricht von Gegnern der Katholischen Kirche oder einer Kampagne der Feinde des Papsttums, verweist auf die Unterstützung, die im Stillen einzelnen Juden gewährt wurde. Der Vatikan äussert sich auch nicht zu der Fluchthilfe, die ab 1945 nationalsozialistischen Verbrechern über Rom auf der Rattenlinie nach Südamerika geleistet wurde - ohne Zweifel mit Wissen Pius' XII.

Die teilweise Öffnung der Archive, eine jüdisch-katholische Historikerkommission (die 2001 scheiterte) oder eine peinlich apologetische Ausstellung 2009 in Berlin, die die bekannte Rundfunkansprache von Weihnachten 1942 zum Höhepunkt einer Hagiografie machte, sollten das Versagen des Papstes relativieren. Pius XII. wird wegen seiner Spiritualität, seines aristokratischen Habitus und der von ihm ausgehenden Impulse des Marienkultes im traditionsgebundenen Katholizismus hoch verehrt. Seine Seligsprechung ist im Gange, dagegen erhob sich in Israel 2008 Protest.