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Kaum eine Stadt der Welt verfügt über so viele Denkmäler wie Budapest. Ja, man dürfte kaum fehl gehen in der Annahme, dass weit mehr bedeutende Männer (kaum Frauen) von ihren steinernen und bronzenen Sockeln auf die endlos langen Boulevards oder die prächtigen Plätze der Donaumetropole blicken als anderswo, etwa in Paris, Madrid, London, New York.
Um das neugotische Parlamentsgebäude an der Donau, eine masstabgetreue - wenn auch vier Meter längere - Kopie des Parlaments von Westminster an der Themse gruppieren sich die Exponenten der ungarischen Unabhängigkeitskämpfe neben Grössen der ungarischen Literatur: Von Ferenc II. Rákoczi über Sándor Petöfi, Lajos Kossuth, Attila Jószef bis hin zu Imre Nagy. Vor den Kolonnaden des Millennium-Denkmals am Heldenplatz sind in die Heroen der frühen ungarischen Geschichte aufgereiht. Unweit davon, im Stadtwäldchen, findet sich ein bemerkenswertes Denkmal für einen Mann ohne Gesicht; eine sitzende Figur mit verhülltem Antlitz soll an jenen anonymen Geschichtsschreiber erinnern, der im 12. Jahrhundert die erste ungarische Chronik, die Gesta Hungarorum, niederschrieb.
Mindestens so skurril ist der Memento Park an der Peripherie Budapests, wo 42 Skulpturen aus verschiedenen Phasen des „Sozialistischen Realismus" zusammengetragen und mehr oder oder weniger sinnstiftend aufgestellt wurden - Personifizierungen einer lichten Zukunft, nach der Wende 1989 als unerwünschte Symbole einer überwundenen Ära abmontiert und zunächst in Depots dem Vergessen anheim gegeben.
Sie sind kaum zu zählen, die steinernen, eisernen und bronzenen Helden der ungarischen Geschichte, mit ihrem Pathos und ihren mannhaften Gesten - vor manchen liegen Kränze, andere wurden immer wieder zu Sammelpunkten politischer Bewegungen, doch ihr Anblick vermag heutzutage wohl kaum jemanden wirklich zu erschüttern.
Ganz anders jene ungewöhnliche Gedenkstätte unmittelbar an der Donau, nahe dem Parlamentsgebäude: Auf dem Quai, hart am Ufer, sind dort paarweise Schuhe aufgereiht - Schuhe von Männern, Frauen, auch von Kindern. Es sind keine Schuhe aus Leder: sie sind zu Bronze erstarrt. Und sie sind nicht ordentlich aufgereiht, ein Schuh neben dem anderen. Vielmehr scheint es, dass diese Schuhe hastig von den Füssen geschüttelt und achtlos hingeworfen wurden. Nach Panik sehen sie aus, diese fluchtartig von ihren Füssen verlassenen Schuhe, nach Gewalt. Die Schuhe sind geblieben. Wo sind die Menschen, die sie einst trugen? Die Schuhe, am Rande des Flusses - die Menschen, im Fluss. In einigen der bronzenen Schuhe welken Blumensträusse.
Im Oktober 1944 verübten hier die faschistischen Pfeilkreuzler einen der brutalsten Massenmorde der Shoah: Tausende, zehntausende ungarische Juden wurden hier am Ufer der Donau zusammengetrieben und erschossen. Ihre Leichen schwammen stromabwärts.
April 2010: die rechtsextreme Kleinpartei Jobbik („Jobbik Magyarországért" - „Bewegung für ein besseres Ungarn"), vor einem Jahr noch eine marginale Gruppierung mit einer Anhängerschaft von knapp zwei Prozent, überwindet nicht nur in den ungarischen Parlamentswahlen nicht nur die Fünfprozenthürde, sie zieht mit knapp 17 Prozent der Wählerstimmen als drittstärkste Partei ins Abgeordnetenhaus ein.
Das Denkmal für die im Oktober 1944 am Ufer der Donau ermordeten Budapester Juden. Foto: cer.
Jobbik unterhält als einzige rechtsextreme Partei Europas eine paramilitärische Truppe, die Ungarische Garde, deren schwarze Uniformen an die mörderischen Pfeilkreuzler erinnern. Hass wird nicht nur gegen die rund 600.000 ungarischen Roma gepredigt - unverhohlen sind von Exponenten der Jobbik (aber nicht nur von diesen) antisemitische Anspielungen, ja wahre Hetzreden zu vernehmen. In der Wahlabschluss-Versammlung der Jobbik in Budapest wurden die Opfer der Shoah vom Rednerpult und im Publikum gleichermassen verhöhnt. Und Wahlplakate wurden mit Davidsternen beschmiert. Zwar handelte es sich bei den auf solchen Plakaten abgebildeten Politikern keineswegs um Juden - die Vorfälle aber zeigen, wie das Wort „Jude" in Ungarn inzwischen als gängiges Schimpfwort missbraucht wird, wie jüdische Symbole als Signale des Hasses verwendet werden.
Der Oberrabbiner von Budapest, Robert Fröhlich, antwortet auf die Frage, ob sich die etwa 100.000 ungarischen Juden nach dem Wahlsieg der Jobbik ebenso bedroht fühlten wie die Roma, mit einem knappen: „Noch nicht". Er betont das Wort „noch" - und berichtet, kürzlich, während des Pessach-Festes, seien Steine durch die (geschlossenen) Fenster einer jüdischen Familie geflogen. Die von den Betroffenen herbeigerufene Polizei habe allerdings lediglich mitgeteilt, sie könne hier leider nicht weiterhelfen - ausser die Familie davor zu warnen, sich in den Strassen durch ihre Kleidung als Juden zu erkennen zu geben.
So ist das erschütternde Denkmal am Ufer der Donau, das Denkmal für die Menschen, von denen nur die Schuhe übriggeblieben sind, mehr als eine Erinnerung an die Opfer jener Schreckenstaten. Es ist eine eindringliche Warnung - an die Nachkommen der Überlebenden.