Wolfgang Benz: Theresienstadt. Eine Geschichte von Täuschung und Vernichtung.
C.H. Beck: München 2013
289 Seiten, EUR 24,95,-
ISBN-987-3-406-64549-5
Um Theresienstadt ranken sich nach wie vor zahlreiche Mythen: Vorzeigelager, Alters- oder Privilegiertenghetto oder ein Ort, an dem jüdische Bürokraten willig mit den Nationalsozialisten kooperierten, um sich selbst zu retten, sei es gewesen. Besonders umstritten war der letzte Judenälteste Benjamin Murmelstein. Streng genommen war das in der heutigen Tschechien Republik gelegene Theresienstadt kein KZ, sondern ein Ghetto. Der nationalsozialistische Rassen- und Vernichtungswahn herrschte jedoch auch dort, und Theresienstadt ähnelte in keinster Weiser der von der NS-Propaganda gezeichneten Idylle musizierender, malender und intellektuell debattierender Juden. 141.000 Juden, die meisten von ihnen aus der Tschechoslowakei, Deutschland und Österreich, wurden von 1941 bis 1945 nach Theresienstadt deportiert. Nur 23.000 überlebten.
Nach dem Fall des Eisernen Vorhangs öffneten sich in Osteuropa die Archive, und Historiker konnten zahlreiche neue Quellen über den Holocaust aufstöbern. Der renommierte Historiker Wolfgang Benz, der auch regelmässig für DAVID schreibt, bedient sich der jüngsten Erkenntnisse, um ein realistischeres Bild von Theresienstadt zu zeichnen.
Benz beginnt seine Studie mit einem geschichtlichen Überblick über die tschechische Barockstadt Theresienstadt. Unter der NS-Herrschaft entwickelte sich ein kleines Polizeigefängnis erst zu einem Transitlager für böhmische Juden in die Konzentrationslager, dann zum Ghetto für hauptsächlich deutsche und österreichische Juden. Zahlreiche Abbildungen und eine nützliche Chronik runden das neue Standardwerk zu Theresienstadt ab.
Benz macht den Albtraum Theresienstadt bei aller Wissenschaftlichkeit seiner Darstellung emotional nachvollziehbar, indem er Leben und Alltag von neun Persönlichkeiten im Ghetto schildert. Besonders wertvoll sind diese Porträts, weil sie der Autor in einen breiteren Kontext einbindet. So repräsentiert der liberale Rabbiner Leo Baeck beispielsweise das breite religiöse und politische Spektrum der deutschen Juden in der Zwischenkriegszeit. Der von Angst und der Trennung vom Vater geprägte Alltag der siebenjährigen Edith Bär wiederum steht stellvertretend für Tausende jüdische Kinder, von denen die meisten, anders als Edith, den Holocaust nicht überlebten.
Am 8. Mai 1945 befreite die Rote Armee Theresienstadt. Heute erinnert eine Gedenkstätte an die Schrecken der NS-Zeit.