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Die Kremser Synagoge – ein dunkles Kapitel der Denkmalpflege

Ernst KALT

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Den Entwurf des „Judentempels" in Krems lieferte der Wiener Architekt Max Fleischer, die örtliche Bauleitung wurde den Kremser Architekten Josef Utz Vater und Sohn übertragen. Max Fleischer war ein Spezialist für Synagogen und errichtete eine ganze Reihe von vielbeachteten Tempelbauten in der Donaumonarchie. Diese waren in verschiedenen Stilrichtungen ausgeführt, was dem damaligen Historismus entsprach. Bei der Kremser Synagoge wählte er für die Strassenfassade die Form eines Bürgerhauses in deutscher Renaissance.

Die Synagoge wurde 1894 eingeweiht. In der Stadt Krems gab es um diese Zeit eine jüdische Gemeinde mit etwa 200 Personen. Es ist damals sicher nicht einfach gewesen, die Baubewilligung zur Errichtung dieser Synagoge zu erlangen. In Krems gab es zahlreiche Anhänger von Georg Schönerer, dessen Devise lautete: „Ohne Juda, ohne Rom, bauen wir Alldeutschlands Dom." Aber auch bei den Anhängern der anderen politischen Parteien gab es Antisemiten.

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Die Dienstlstrasse, mit Hakenkreuzfahnen beflaggt. Blick auf die Synagoge. Postkarte, 1939.

Nach dem ersten Weltkrieg schrumpfte die jüdische Gemeinde auf ca. 100 Mitglieder, vor allem bedingt durch die Wirtschaftskrise. Im März 1938 erfolgte der sogenannte Anschluss Österreichs an das nationalsozialistische Deutschland. Auf Abb. 1 ist bereits reichliche Hakenkreuzbeflaggung zu sehen. Links im Bild ist das „Slatnerhaus", 1945 beim Bombenangriff vollkommen zerstört, ebenso demoliert wie das gegenüberliegende Eckhaus. Beide sind durch Neubauten ersetzt worden und mittlerweile mehrmals umgebaut worden. Auf dieser Ansichtskarte ist auch stolz der neue Titel „Gauhauptstadt Krems a. d. Donau" einkopiert worden. Bereits im Sommer 1938 war man in Nazikreisen der Meinung, dass es eigentlich eine Schande wäre, in der Hauptstrasse, die zum Bahnhof der Gauhauptstadt führte, einen Judentempel stehen zu haben, und verlangte gemäss Zeitzeugenberichten die Abtragung. Dem widersprach ein höherer Kremser Funktionär mit den Worten: „Lasst das in Ruhe, das brauch ich für die NSV (NS-Volkswohlfahrt)." Dadurch kam es im September 1938 zur Räumung der Synagoge, angeblich um für 70 sudentendeutsche Flüchtlinge eine Unterkunft zu schaffen.

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Luftangriff auf Krems, 2.4.1945. Foto: Zipperle 1945, Sammlung E. Kalt. 

Umwidmung nach dem „Anschluss"

Die Kremser Juden mussten unter Aufsicht der SA das Inventar auf die Strasse tragen und wurden unter dem Gejohle des Pöbels bespuckt und getreten. Die Einrichtung wurde anschliessend auf der Strasse zerstört. Die Kultusgemeinde musste die Synagoge der Stadt Krems überschreiben, auch die anderen Liegenschaften wurden enteignet.

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Die Kremser Synagoge in der Nachkriegszeit, unbeschädigt. Foto: Abraham. Nemschitz 1970, Sammlung E. Kalt.

Am Ostermontag, dem 2. April 1945, wurde Krems von ca. 100 Bombern der 15. US Luftflotte angegriffen (Abb. 2). Das Bahnhofviertel wurde völlig zerstört, auch Teile der Dinstlstrasse, nur der Judentempel überstand fast unbeschädigt den Angriff. Abb. 2 stammt aus einer Serie von Fotografien, die der Kremser Berufsfotograf Zipperle nur wenige Stunden nach dem Angriff gemacht hat. Ich habe diese Serie bereits in den 1970er Jahren bekommen und in meiner Sammlung sichergestellt.

Ein weiteres Bild (Abb. 3) stammt aus dem Jahr 1970. Ich habe es 1995 von Herrn Abraham Nemschitz erhalten, den ich im Jahr davor bei einer Feier am jüdischen Friedhof in Krems kennengelernt hatte. In seinem Brief schrieb er mir unter anderem: "Ich lege Ihnen ein Bild des Tempels bei, aufgenommen 1970 auf der Durchfahrt in Krems. Damals war ich noch nicht stark genug, in Krems auch nur eine Nacht zu verbringen. Im ersten Stock des Turmes wohnte mein Onkel Karl Sachs, in dem zweiten Stock Karl Rephan und Frau Abraham. Nemschitz und sein Bruder waren unter den letzten Kremser Juden, die 1938 aus Krems über Wien auf einem Donau-Frachtdampfer bis zum Schwarzen Meer flüchten konnten. Von dort kamen sie dann nach Israel.

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Blick vom abgebrochenen Dach. Foto: E. Kalt 1978.

Abbruch 1978

In den 1960 und 1970er Jahren gab es immer wieder Bestrebungen, den Judentempel, der nach dem Krieg der Israelitischen Kultusgemeinde zurückerstattet worden war, käuflich zu erwerben. Man dachte an die Verwendung des Gebäudes für die Stadtbücherei oder als Fahrschülerhort in Bahnhofsnähe. Die Antwort war stets, dass an keinen Verkauf gedacht sei. Umso grösser war dann anfangs 1978 die Aufregung, dass man aus Zeitungsartikeln erfahren musste, dass geplant sei, anstelle der Synagoge ein Einkaufszentrum zu errichten.

Am Freitag, dem 10. März 1978, begannen in der Früh die Abbrucharbeiten - am Ende der Arbeitswoche, im Baugewerbe eher unüblich. 40 Jahre vorher, am Donnerstag, dem 10. März 1938, erliess Hitler den Befehl zum Einmarsch in Österreich. Ich begann am Sonntag, dem 12. März 1978, die Demolierungsarbeiten am Judentempel zu fotografieren. Es sollte eine ganze Serie werden. Der Kremser Judentempel hatte Novemberpogrom und Bombenangriff fast unbeschädigt überstanden und war die einzige baulich intakte Synagoge Niederösterreichs.

Auf einem weiteren Foto (Abb.6)  fehlen bereits grosse Teile des Dachstuhles und der Giebelmauer. Die Aufnahmen 6-8 werden erstmals öffentlich abgedruckt. Sie sind in mehrfacher Hinsicht interessant, zeigen sie doch technische Details, unter anderem, dass bereits 1894 mit Fertigteilen gearbeitet wurde. Dazu sind Ausblicke zu sehen, die unwiederbringlich verloren gegangen sind (Abb. 7 und 8).

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Reste der Baulichkeiten unmittelbar vor dem endgültigen Abriss. Foto: E. Kalt

Wissenschaftliche Aufarbeitung von Verkauf und Abriss

2011 verfasste Hubert Jagsch seine Diplomarbeit „Die virtuelle Rekonstruktion der Synagoge Krems an der Donau" an der Technischen Universität Wien. Im Textteil sind auch erstmals die Zusammenhänge angeführt, die zur Demolierung im Jahre 1978 geführt haben. 1975 erhielt die Stadt Krems die Auszeichnung „Modellstadt der Denkmalpflege" im Rahmen des Europäischen Denkmalschutzjahres. 1976 wurde der Abbruch der Synagoge genehmigt. Am 31. Jänner 1978 erfolgte die Ausstellung des Baubescheides, der am 10. März 1978 rechtskräftig wurde, woraufhin am Vormittag desselben Tages die Abbrucharbeiten begonnen wurden.

Heute befindet sich an einer unauffälligen Stelle des an der Stelle der Synagoge errichteten Neubaus eine Gedenktafel. So ging ein architektonisches Unikat und die einzige in gutem Bauzustand vorhandene Synagoge Niederösterreichs verloren. Es klingt  wie ein bösartiger Treppenwitz der Geschichte: Im Jahr 1938 bewahrte ein Kremser NS-Funktionär den Judentempel vor dem Abbruch. Genau 40 Jahre später führte ihn ein Kremser Baumeister durch.

Berichtigung zu Ausgabe 101


Die Artikel Die abgerissene Synagoge von Krems, 1978 und Die Kremser Synagoge - ein dunkles Kapitel der Denkmalpflege betreffend möchten wir richtig stellen, dass auch die Synagoge von St. Pölten die NS-Zeit überstanden hat und besichtigt werden kann (Mo. bis Fr. 9.30 bis 13.00, sowie So. 14.00 bis 20.00. Siehe auch:

 http://www.juden-in-st-poelten.at/index.php?article_id=6&clang=0 )

  Die Redaktion bedankt sich bei Herrn Philipp Mettauer für den Hinweis.