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David Herzog

Verena LORBER

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„Ich will die Erkenntnis und Lehren einer grossen Überlieferung mit den gesicherten Resultaten moderner Zeit in Einklang zu bringen versuchen; will zeigen, dass Glaube und Wissen keine Gegensätze, sondern sich ergänzende Wahrheiten sind."1

Am 6. März 1946 verstarb der Rabbiner und Professor für Semitische Philologie David Herzog im Exil in Oxford (England). Er war der langjährige religiöse Führer der jüdischen Gemeinde in der Steiermark (1908-1938) und trug durch seine wissenschaftliche Forschungen zur jüdisch-steirischen Geschichte wesentlich zur Stärkung der kollektiven jüdischen Identität in Graz beziehungsweise der Steiermark bei.

Herkunft und Ausbildung

David Herzog wurde am 7. November 1869 in Tyrnau/Trnava, im damaligen Oberungarn bzw. der heutigen Slowakei als erster von acht Kindern geboren. Er war der Sohn des Textilkaufmanns Leopold und Cäcilia Herzog, geborene Süss. Herzog besuchte die israelitische Volksschule (1876-1881), das fürsterzbischöfliche Obergymnasium in seiner Geburtsstadt und maturierte im Jahr 1889. Danach studierte er Semitische Philologie an der Berliner Universität und wechselte im Wintersemester 1893/94 an die Universität Leipzig. Dort promovierte David Herzog zum Doktor der Philosophie. Seine Dissertation verfasste er zum Thema „Der Misnakonum des Moses Maimonides zum Traktat Peah". In den Folgejahren führte er seine philologischen Studien an der Sorbonne in Paris (1896) und an der Universität Wien (1899/1900) fort.2

Während Herzogs Berliner Studienzeit besuchte er das berühmte „Hildesheimer Rabbinerseminar"3. Er liess sich auf Wunsch seines Vaters zum Rabbiner ausbilden und strebte keine ausschliesslich universitäre Karriere an. Die erste Berufung als Rabbiner erfolgte nach Ungarisch-Ostra in Böhmen (heute Tschechische Republik) und im Jahr 1900 übernahm Herzog das Rabbinat in Smichow, einem Vorort von Prag. Die Stelle in Smichow ermöglichte es ihm, seine wissenschaftliche Laufbahn zu forcieren. Er habilitierte an der Karl-Ferdinand-Universität in Prag, erlangte die Lehrbefugnis für Semitische Philologie und hielt in Folge zahlreiche Lehrveranstaltungen.4

 

Zeit in Graz

Im Jahr 1908 trat David Herzog die Nachfolge des Rabbiners Dr. Samuel Mühsam5 in Graz an. Er wurde vom Kulturrat der Israelitischen Kultusgemeinde Graz einstimmig aus 80 Bewerbern ausgewählt. Herzog traf mit seiner Frau Anna, geborene Reich (aus Dukla, Galizien), die er vermutlich während seines Studienaufenthaltes in Wien kennen lernte und 1901 in Wien heiratete, sowie seinen beiden Söhnen Robert (geboren 1903) und Friedrich (geboren 1907) in Graz ein.

Herzog vereinte in seiner Person die Funktionen des Rabbiners und des Matrikelführers für Steiermark, Kärnten und Krain (bis 1918). Zu seinen Aufgaben zählten die Regelung des Gottesdienstes, die Gewährleistung des religiösen Unterrichts in Graz und den zugewiesenen Gebieten, die Erhaltung und Förderung der jüdischen Wohltätigkeit sowie die Kontrolle der rituellen Einrichtungen.6 In Graz sollte er die sich aus unterschiedlichen ZuwandererInnen zusammensetzende „junge" jüdische Gemeinde7 zu einer homogenen Gemeinde einen.

Herzog verstand seine Aufgaben als Rabbiner in Graz folgendermassen:

„Darum ist es eine der Hauptaufgaben eines modernen Priesters, dass er dem Zeitgeiste seine feinsten, geheimsten Schwingungen ablausche und sie in Einklang mit den erhabenen Lehren der Überlieferung bringe. [...] er darf nicht bloss seine Pflichten üben, sondern er muss sich mit Begeisterung, mit vollem Einsatz seiner Persönlichkeit betätigen, weil er nur dann das Feuer der Begeisterung, die Glut der religiösen Erkenntnis auch in den Gemeindemitgliedern wird anfachen können."8

Herzog konnte diesen Anforderungen gerecht werden und erfreute sich zunehmender Bekanntheit vor allem durch seine Reden und Predigten, wovon einige im „Grazer Israelitischen Gemeindeboten"9 oder in den „Mitteilungen der Israelitischen Kultusgemeinde Graz" abgedruckt wurden. Für Herzog stellten das Judentum und die Teilhabe an der modernen Gesellschaft keine sich ausschliessenden Pole dar. Er trat für die Verbindung religiöser Werte und Traditionen mit den Erkenntnissen der modernen Wissenschaft ein. So liess sich Herzog seine in Prag erlangte Venia Legendi für Semitische Philologie an die Karl-Franzens-Universität übertragen und hielt ab dem Wintersemester 1909/10 Vorlesungen. Als Anerkennung seiner wissenschaftlichen Verdienste im Bereich der hebräischen Literatur und insbesondere der mittelalterlichen Exegese sowie zur mittelalterlichen und frühneuzeitlichen jüdischen Geschichte in der Steiermark10 wurde ihm am 11. März 1926 der Titel eines „ausserordentlichen Universitätsprofessors" verliehen.11

Seit der Annahme des Rabbinats in Graz war David Herzog mit antisemitischen Angriffen konfrontiert und wandte sich mit zahlreichen Artikeln und Reden, die in jüdischen wie nichtjüdischen Medien erschienen, gegen den aufkommenden Antisemitismus.12 David Herzogs Verdienste als Aufklärer und Verteidiger des Judentums wurden sowohl innerhalb der jüdischen Gemeinde, als auch von staatlicher Seite hoch anerkannt. Er nahm die Rolle einer Schnittstelle zwischen jüdischer und nichtjüdischer Bevölkerung ein und erhielt für seine Tätigkeiten zahlreiche Ehrungen und Auszeichnungen: Ihm wurden unter anderem das „Ritterkreuz I. Klasse des österreichischen Verdienstordens" für seine Arbeit als Militärrabbiner während des Ersten Weltkrieges, das Bürgerrecht von der Stadt Graz im Jahr 1929 und 1934 das „Goldene Ehrenzeichen für Verdienste um die Republik Österreich" verliehen.13

Die Zeit vor dem Anschluss Österreichs an das nationalsozialistische Deutschland beschrieb Herzog mit folgenden Worten: „So verstrichen die Jahre 1932-1937 sehr traurig für uns Juden. Wirtschaftliche Not, Boykott, eine verwilderte Jugend, eine hasserfüllte Bevölkerung, die täglich aufgehetzt worden war, verbitterte uns das Leben."14 Im März 1938 wurde Herzog gemeinsam mit Vorsitzenden der jüdischen Vereine und Besitzern grösserer, jüdischer Geschäfte verhaftet. Am 2. April 1938 entliess man Herzog aus der Haft, entzog ihm seine Lehrbefugnis an der Karl-Franzens-Universität Graz und forderte ihn auf, Österreich zu verlassen. Im Zuge des Pogroms in der Nacht vom 9. auf 10. November 1938 („Reichskristallnacht") war Herzog schweren psychischen und physischen Misshandlungen ausgesetzt und wurde Zeuge zahlreicher Zerstörungen und Plünderungen jüdischer Geschäfte sowie der in Brandsetzung der Synagoge und der Zeremonienhalle am jüdischen Friedhof. Ende 1938 emigrierten Herzog und seine Frau über die Niederlande nach England. Von 1939 bis 1940 lebten die beiden in London und übersiedelten im Anschluss nach Oxford, wo er seine Studien im Rahmen eines Stipendiums wieder aufnahm. Am 6. März 1946 verstarb David Herzog in Oxford.15

 

Erinnerung an David Herzog

In Anerkennung an die Verdienste David Herzogs und in Erinnerung an den Ausschluss aller jüdischen Mitglieder der Universität Graz wurde im Akademischen Senat am 11. März 1988 die Einrichtung des „David-Herzog-Fonds" beschlossen. „Ziel der David-Herzog Fonds Stipendien ist es, das interkulturelle Verstehen und Lernen - speziell in Bezug auf die jüdische Kultur - zu fördern und zu unterstützen"16 und einen bleibenden Beitrag zur Förderung von Toleranz zu leisten. Seit dem Jahr 2005 wird der Fonds von allen steirischen Universitäten getragen und steht Studierenden sowie Graduierten aller Fakultäten und Studienrichtungen offen.17 Des Weiteren wurde einen Tag vor der Übergabe der wieder errichteten Synagoge von der Stadt Graz an die Israelitische Kultusgemeinde, der Platz vor der Synagoge in Gedenken an den langjährigen Rabbiner der jüdischen Gemeinde und Wissenschaftler am 8.11.2000 in „David-Herzog-Platz" unbenannt.

Über David Herzog

David Herzog verfasste in London seine Erinnerungen an die Zeit in Graz von 1932 bis zur Auslöschung der Grazer jüdischen Gemeinde in Folge der nationalsozialistischen Herrschaft. Seine Memoiren sind eindrucksvolle und bedrückende Zeugnisse jener Zeit. Um diese der Öffentlichkeit zugänglich zu machen und an das Schicksal der jüdischen Gemeinde in Graz zu erinnern, wurden die Aufzeichnungen Herzogs Mitte der 1990er Jahre von Walter Höflechner, auf Grundlage einer Diplomarbeit von Andreas Schweiger, herausgegeben.18 Abschliessend möchte ich auf eine aktuelle Publikation über David Herzog verweisen, „Meine Lebenswege. Die persönlichen Aufzeichnungen des Rabbiners David Herzog"19, die im Rahmen der Gedenkveranstaltungen zum Novemberpogrom am 12.11.2013 im GrazMuseum präsentiert wurde.

Anmerkungen

1  Ein Festtag der Gemeinde, in: Grazer Israelitischer Gemeindebote Jg. 1 (1.5.1908) Nr. 3-4, 15-16 zit. nach: Gerald Lamprecht, Fremd in der eigenen Stadt. Die moderne jüdische Gemeinde von Graz vor dem Ersten Weltkrieg (Schriften des Centrums für Jüdische Studien Bd. 8), Innsbruck 2008, 235-236.

2  Vgl. Walter Höflechner, David Herzog. Erinnerungen eines Rabbiners 1932-1940. Auf Grundlage einer Diplomarbeit von Andreas Schweiger (Publikationen aus dem Archiv der Universität Graz, Bd. 32), Graz 1997, ix; Gerald Lamprecht, Fremd in der eigenen Stadt, 229; Österreichisches Biographisches Lexikon 1815-1950, Bd. 2, Lfg. 9 (1959), 301.

3  Das Rabbinerseminar zu Berlin wurde von Rabbiner Esriel Hildesheimer im Jahr 1873 als Ausbildungsstätte für orthodoxe Rabbiner gegründet, die bis zu ihrer Schliessung 1938 zur wichtigsten Lehrstätte der Orthodoxie im deutschsprachigen Raum anwuchs. Hildesheimer konnte seine Vision einer Ausbildungseinrichtung auf der Grundlage von Torah mit hohem wissenschaftlichen Niveau verwirklichen. Das Studium am Rabbiner-Seminar zu Berlin umfasste Talmud, Tanach, Midrash, Philosophie, Pädagogik und biblische Geschichte. Vgl. http://www.rabbinerseminar.de/ (eingesehen am 26.9.2013)

4  Vgl. Walter Höflechner, David Herzog, x; Gerald Lamprecht, Fremd in der eigenen Stadt, 229.

5  Dr. Samuel Mühsam (1837-1907) wurde 1869 der erste Rabbiner, der nach fast 350 Jahren Judensperre wieder gegründeten jüdischen Gemeinde in Graz.

6  Vgl. Gerald Lamprecht, Fremd in der eigenen Stadt, 229; Walter Höflechner, David Herzog, xii-xiii.

7  Im Revolutionsjahr 1848 unternahmen Juden und Jüdinnen erneut den Versuch, sich in der Steiermark bzw. in Graz anzusiedeln. 1861 wurde die „Israelitische Corporation" gegründet und der Grundstein für eine jüdische Gemeinde in Graz gelegt. Erst durch das Staatsgrundgesetz von 1867 erhielten jüdische Personen die rechtliche Gleichstellung, die es ihnen ermöglichte, sich uneingeschränkt in der gesamten Steiermark niederzulassen bzw. zu arbeiten, Universitäten zu besuchen oder in den Staatsdienst einzutreten. Damit war der Grundstein für die Gründung der Israelitischen Kultusgemeinde Graz im Jahr 1869 gelegt und ein vielfältiges jüdisches Vereinsleben bildete sich in Folge. Weiterführende Literatur zum Thema: Gerald Lamprecht, Jüdisches Leben in der Steiermark. Marginalisierung, Auslöschung, Annäherung (Schriftenreihe des Centrums für jüdische Studien Bd. 5), Innsbruck 2004; Kurt D. Brühl, Helmut Strobl (Hg.), Es gibt nur einen Gott und eine Menschheit. Graz und seine jüdischen Bürger, Graz 2001.

8  Walter Höflechner, David Herzog, xv.

9  Eine seiner ersten Tätigkeiten als Rabbiner in Graz war die Gründung und Herausgabe des „Grazer Israelitischen Gemeindeboten" mit dem Ziel, die jüdische Gemeinschaft in Graz und der Steiermark zu informieren und den Zusammenhalt zu fördern.

10  Eine Auflistung Herzogs Publikationen siehe in: Walter Höflechner, David Herzog, xxvi-xxi.

11  Vgl. Gerald Lamprecht, Fremd in der eigenen Stadt, 236; Österreichisches Biographisches Lexikon 1815-1950, 301; Walter Höflechner, David Herzog, xix-xxi.

12  Beispielsweise widerlegte Herzog den vom Literaturhistoriker Adolf Bartels erstellten Kataster zur Erkennung jüdischer SchriftstellerInnen und deren Werke, die laut Bartels Aussagen, „Gift für die deutsche Literatur waren und entfernt werden mussten". Vgl. David Herzog, Adolf Bartels und Wilhelm Fischer, in: Der Morgen, Heft 4 (1926), 390-394.

13  Vgl. Gerald Lamprecht, Fremd in der eigenen Stadt, 238; Walter Höflechner, David Herzog, xxii-xxiii.

14  Walter Höflechner, David Herzog, 8.

15  Vgl. Kurt D. Brühl, Helmut Strobl (Hg.), Es gibt nur einen Gott und eine Menschheit, 141-142; Walter Höflechner, David Herzog, xxiii-xxiv.

16  http://www.uni-graz.at/bfa1www/bfa1www_ueberdhf.htm (eingesehen am 26.9.2013)

17  Vgl. http://www.uni-graz.at/dhf/ (eingesehen am 26.9.2013); Kurt D. Brühl, Helmut Strobl (Hg.), Es gibt nur einen Gott und eine Menschheit, 192.

18  Walter Höflechner, David Herzog. Erinnerungen eines Rabbiners 1932-1940. Auf Grundlage einer Diplomarbeit von Andreas Schweiger (Publikationen aus dem Archiv der Universität Graz, Bd. 32), Graz 1997.

19  Heimo Halbrainer, Gerald Lamprecht, Andreas Schweiger (Hg.), Meine Lebenswege. Die persönlichen Aufzeichnungen des Grazer Rabbiners David Herzog, Graz 2013.