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Ungarische Juden im KZ Fels am Wagram zwischen Juli 1944 und März 1945

Ingrid OBERNDORFER

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In dem kleinen niederösterreichischen Ort Fels am Wagram begann man 1938, einen Flughafen mit zusätzlichen Verwaltungsgebäuden zu errichten. Bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges existierte dort nicht nur ein Fliegerhorst, sondern der Fliegerhorstkommandantur unterstanden Tausende von ausländischen Zwangsarbeitern, darunter auch ein Barackenlager für ungarische Juden, das direkt auf dem Gelände errichtet wurde. Mit den im nahe gelegenen Schloss Thürntal untergebrachten ausländischen Arbeitern unterstanden dem Kommandanten an die 3.000 Menschen aus dem Banat, aus Belgien, Frankreich, Italien, Litauen, der Niederlande, der ehemaligen Tschechoslowakei, Russland, Weissrussland, Ukraine, Polen, Ungarn, Serbien und Slowenien, die festgehalten und mit Armbinden „gekennzeichnet" wurden. Sie wurden bei Bauern und diversen Firmen als „Arbeitssklaven" eingesetzt. Die ungarischen Juden wurden als Häftlinge behandelt und fast ausschliesslich in Fels zur Arbeit gezwungen.

Dieses bis heute von der Wissenschaft unbekannte kleine Lager wird von der Zivilbevölkerung von Fels und in den angrenzenden Gemeinden aus Unwissenheit bagatellisiert oder gänzlich ignoriert. Die wenigen Zeitzeugen1, die in diesem Lager entgeltlich für das Deutsche Reich gearbeitet haben und davon berichten könn(t)en, blocken meist heute noch ab2.

Mit Hilfe von bis dato unveröffentlichten Dokumenten3 wie Namenslisten von Arbeitskräften und ungarischen Häftlingen, Korrespondenz zwischen dem Fliegerhorst Fels und dem „Landrat Niederdonau" und Zeitzeugenberichten wird nun der Fliegerhorst Fels am Wagram mit seinem Zwangsarbeiterlager bzw. Konzentrationslager wissenschaftlich erforscht. Besonders die Namen der Juden gilt es zu veröffentlichen und mit anderen bekannten Listen4 wie die der Totenliste von Priel abzugleichen.

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© Statistik Oberndorfer, Grafenwörth 2013

Erstmals hören wir in Fels von der „Beschäftigung von Juden" in einer Anordnung des Präsidenten des Gauarbeitsamts vom 27. Juni 19445. Diese 11-Punkte-Anordnung beginnt wie folgt:

Pkt. 1)  Juden als Artfremde sind nicht Mitglieder der deutschen Betriebsgemeinschaft.

Pkt. 2)  Das Beschäftigungsverhältnis der Juden ist ein solches besonderer Art. Es ist durch Sondereinsatz begründet und besteht für die Dauer der Zuweisung durch das Arbeitsamt usw.

Pkt. 3)  Die jüdischen Beschäftigten dürfen nur gruppenweise zur Arbeit eingesetzt werden.

Sie sind von der übrigen Gefolgschaft getrennt zu halten und in gesonderten Unterkünften unterzubringen.

Pkt. 4)  Die deutschen arbeitsrechtlichen Vorschriften finden auf das Beschäftigungsverhältnis der Juden keine Anwendung.

Pkt. 5)  Für jüdische Beschäftigte im Alter bis zu 18 Jahren gelten ebenso wie für die Erwachsenen die für den Betrieb massgeblichen Vorschriften über die Arbeitszeit.

usw.

 

Das beiliegende „Merkblatt für Betriebsführer betreffend Einsatz ungarischer Juden im Sommer 44" (1 - 10 Punkte) setzt durch seinen Inhalt das o.a. Schreiben ausser Kraft, denn es beginnt dem Satz: „Die Juden gelten als Häftlinge und unterliegen der Verfügungsgewalt der Geheimen Staatspolizei". Die ersten Juden, die dem Lager Fels offiziell vom Arbeitsamt zugeteilt wurden, werden auf der beiliegenden Liste mit Erkennungsnummern, Name und Geburtsdatum angeführt. Kurze Zeit später ergeht ein Verteiler vom Fliegerhorst Fels u.a. an den Bürgermeister „[b]ezüglich des Einsatzes von ungarischen Juden bei der Fliegerhorstkommandantur A (o) 6/XVII, Fels am Wagram6". Hier ein Auszug der Bestimmungen:

„Juden gelten als Häftlinge und unterliegen der Verfügungsgewalt der Geheimen Staatspolizei ... Die Juden sind in einfachen Gemeinschaftslagern abgesondert unterzubringen. Die Unterkünfte müssen nach Art der Kriegsgefangenen-Unterkünfte  gesichert sein. Jede Berührung mit der deutschen Bevölkerung, Ausländern und Kriegsgefangenen ist zu unterbinden ... die eingesetzten ungarischen Juden sind schärfstens zur Arbeit anzuhalten ...auf 10 - 20 Arbeitskräfte wird ein ausgebildeter Jude als Judenpolizist mit der Kennzeichnung „Jupo" eingeteilt. Als Judenältester und Judenführer wird der Jude Max Rosenberg7 eingesetzt. Der „Jupo" wird im Einvernehmen mit der Gestapo noch bestimmt ...Für die normale ärztliche Betreuung ist der jüdische Arzt, Dr. Jarkos, der sich beim Platzlandwirt in Bierbaum befindet, eingesetzt ... Bei Arbeitsunwilligkeit und sonstigen arbeitsunwilligen Verhalten erfolgt neben der Meldung an das Arbeitsamt Entzug der Verpflegung für kürzere oder längere Zeit...".

 

Der Landrat des Kreises Tulln bekräftigte im Brief vom 11. Juli 1944 an den Bürgermeister von Fels noch einmal, dass „...die in der letzten Zeit eingetroffenen ungarischen Juden wie Häftlinge.." zu behandeln sind8.

Diesen Brief übermittelte der Stabzahlmeister des Fliegerhorsts der Gemeinde gleichzeitig mit einem separaten Schreiben, in dem er den Bürgermeister über die Ankunft von „zugewiesenen jüdischen Arbeitskräfte[n und] ...zugewiesenen Jungserben..." informierte9. In der Anlage erhielt der Bürgermeister eine Liste10 mit 62 Namen von Juden mit deren Geburtsdaten und Erkennungsnummern.

Mit Hilfe dieser Namensliste vom 1. Juli 1944 kann man folgende Altergruppen von anwesenden Personen ableiten:

Gemäss dieser Liste war der älteste jüdische Ungar im Lager Samuel S(ch)old11, geb. am 15. Mai 1868. Die jüngsten Kinder lt. Liste waren Edith Reti12 (geb. am 16.9.1943), Gabriel Hajdu13 (geb. am 25.8.1942) und Peter Goldmann14 (geb. am 13.11.1941). Von den insgesamt 72 Juden waren mehr als 50% Frauen15, 23 männlichen und 49 weiblichen Geschlechts.

Die Einwohner von Fels am Wagram wurden „...durch Anschlag bezw. sonstige Unterrichtung von dem Vorhandensein ungarischer Ostjuden und des Verbotes des Verkehrs mit diesen..: 16informiert.

Im Lager Fels befanden sich nachweislich bis zum 16. März 1945 Juden. Dies wird durch den Todesfall des 5-jährigen Georg Schenker bestätigt17. Das Judenkind18 starb durch einen Sprengkörper und wurde auf dem katholischen Friedhof in Fels begraben. Ob der Selige Georg Schenker nach dem Krieg exhumiert wurde oder noch immer dort begraben liegt, kann zum gegebenen Zeitpunkt nicht nachgewiesen werden.

In den nächsten Monaten wird versucht zu klären, was aus den anderen 71 Menschen geworden ist bzw. wo die Juden, die zwischen dem Sommer 1944 und März 1945 im Lager gestorben sind, begraben liegen.

1  Interview mit Rosa Leuthner (14.09.2008): „...ich habe dort als Schneiderin gearbeitet, viele von uns haben dort gearbeitet, entweder im Hasenstall oder als Transportunternehmer..". Zur Erklärung „Hasenstall": Auf dem Fliegerhorst wurden Kaninchen gezüchtet. Ihr Fell wurde für die Kleidung der Soldaten verwendet. Der Hasenstall wurde nur von Leuten der Umgebung betreut. „Transportunternehmer" waren Männer, die Personen oder Materialien mit Ochsen und Leiterwagen transportiert haben. Als ich Rosa Leuthner nach Juden im Lager gefragt habe, antwortete sie: „ich habe nur wenige gesehen, eine wurde bei uns in der Gruppe kurze Zeit als Schneiderin eingesetzt".

2  Sie wohnten in den umliegenden Ortschaften Seebarn, Grafenwörth, Jettsdorf, Gösing, Stettenhof, Engelmannsbrunn, Sachsendorf und Kollersdorf.

3  Alle hier angeführten Unterlagen befinden sich aus dem Gemeindearchiv Fels am Wagram und werden unter Fremdenpolizeiordner (kurz FrPO) geführt. Ich danke der Gemeinde Fels für die positive Zusammenarbeit.

4  Alle Listen zum Thema Ungarische Juden in Österreich zwischen 1944 / 1945 veröffentlichte Aufsätze und Bücher von Eleonore Lappin und Szabolcs Szita

5  Brief (27.06.1944), Präsident des Gauarbeitsamtes an Flugplatzkommando Fels: „Anordnung über die Beschäftigung von Juden" mit Anhang Merkblatt für Betriebsführer betreffend Einsatz ungarischer Juden im Sommer 44 (kurz MB Betriebsführer) und Namensliste der am 1.7.44 beim Platzlandwirt, Flugplatzkommando Fels am Wagram, Kreis Tulln eingesetzten Juden aus dem ostungarischen Raum (kurz Namensliste Fels 1.7.1944).

6  Brief  (08.07.1944), Verteiler, Einsatz von ungarischen Juden.

7  Max Rosenberg wird mit seiner Frau als einer von 72 Juden kurze Zeit später in der Namensliste vom 13.07.1944 (kurz Namensliste Fels 13.07.1944) angeführt: Max Rosenberg, geb. am 4. Juni 1890, der Name seiner Frau Helene (geb.  am 6. November 1894) befindet sich ebenfalls auf dieser Liste. Helene wird als Helen in der Liste vom 1.7.1944 mit gleichen Geburtsdatum und Erkennungsnummer 748 angeführt. Auf derselben Liste ist ihr Mann nicht vermerkt, sehr wohl aber (ihr Sohn?) Misko Rosenberg, geb. am 28.1.1921, der aber in der Liste vom 13.07.1944 nicht mehr aufscheint.

8  Brief (11.07.1944), Landrat des Kreises Tulln an Bürgermeister von Fels: Ausländische Arbeiter, Meldung.

9  Brief (13.07.1944) , Fliegerhorstkommandantur Fels am Wagram an Bürgermeister von Fels: Meldung ausländischer Arbeiter.

10  Namensliste Fels (01.07.1944): Abschrift Arbeitsamt Stockerau G.Z. II/11 5431: Liste der am 1.7.44 beim Platzlandwirt, Flugplatzkommando Fels am Wagram, Kreis Tulln eingesetzten Juden aus dem ostungarischen Raum.

11  Samuel Sold kommt in beiden Listen vor, einmal wird sein Name „Sold" geschrieben, einmal „Schold".

12  Edith Reti war mit ihrer Mutter Helen (geb. 23.03.1912) und ihrem Bruder Georg (geb. 24.06.1936) im Lager. Edith Reti steht auf der Todesliste von Priel, ihre Mutter und Georg hingegen nicht; siehe: Namensliste Fels (13.07.1944).

13  Gabriel Hajdu befand sich mit seiner Mutter Elisabeth (geb. 07.09.1907) im Lager; in: ebd.

14  Peter Goldmann war zusammen mit seiner Mutter Margarete Goldmann (geb. 09.05.1913) im Lager; in: ebd.

15  23 Personen männlichen Geschlechts und 49 Personen weiblichen Geschlechts.

16  Brief (18.07.1944): Fliegerhorstkommandantur an Bürgermeister: Einsatz ungarischer Juden bei der Fliegerhorstkommandantur Fels am Wagram.

17  Todesursache Georg Schenker: Sprengkörper. Georg Schenker wurde am 1.5.1939 in Budapest geboren und wird in der Liste vom 13.7.1977 mit seiner Mutter Alice Schenker, geb. am 25.3.1914 nachgewiesen. Das Kind kommt am 16.3.1945 ums Leben, siehe: Liste der im Pfarrfriedhofe Fels bestatteten Kriegsopfer, Nr. 15: „Judenkind Georg Schenker", geb. in Ungarn am 1.5.1939, gest. in Fels am 16.3.1945, begraben im März 1945 im Grab Nr. 120, in: Landhaus St. Pölten, Abteilung IVW2-K, Kriegsgräberanlage, Stammzahl 945 (1989).

18  ebd.