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80 Jahre „Die 40 Tage des Musa Dagh“ von Franz Werfel.

Martin MALEK

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Ende 2013 fand im Radiokulturhaus des Österreichischen Rundfunks (ORF) in Wien eine Gedenkveranstaltung zum 80-jährigen Jubiläum des Erscheinens des berühmten Romans „Die vierzig Tage des Musa Dagh" statt, in dem Franz Werfel eine Episode aus dem Genozid an den Armeniern im Osmanischen Reich während des Ersten Weltkrieges literarisch verarbeitet hatte: 1915 hatten sich über 4.000 Armenier auf den 1.355 Meter hohen Berg Musa Dagh geflüchtet, wo sie die Türken unter Belagerung nahmen; nach 53 Tagen wurden die Armenier von alliierten Kriegsschiffen gerettet. An der Organisation der Veranstaltung waren neben dem ORF insbesondere die Botschaft Armeniens in Wien, die Armenisch-Apostolische Kirchengemeinde in Österreich und das Genozid-Museum in der armenischen Hauptstadt Jerewan beteiligt; jüdische Vereinigungen fehlten somit.

Die Besucher konnten Werfels (unter einem Glassturz liegendes) handschriftliches Manuskript der „40 Tage", das sich im Besitz der Österreichischen Nationalbibliothek befindet, betrachten. Herbert Maurer, einer der wenigen österreichischen Übersetzer aus dem Armenischen, las beeindruckende Stellen aus den „40 Tagen". Ausgehend von der einzigartigen Bedeutung des Buches für das armenische Volk referierte der deutsche Literaturwissenschafter Rüdiger Görner über Literatur als Bewahrerin der Geschichte. Hayk Demoyan, Direktor des Genozid-Museums in Jerewan, präsentierte neue visuelle Materialien zum Kampf der Armenier von Musa Dagh aus den Sammlungen seines Museums (die u.a. Material zu den „40 Tagen" einschliessen) und informierte über die museal-didaktische Darstellung der Geschichte sowie die Bedeutung des Genozids für die Zukunft der Menschen in Armenien.

Marianne Gruber, Präsidentin der österreichischen Gesellschaft für Literatur, befand, dass man nur aus einer „objektiven Geschichtsschreibung" etwas lernen könnte, „aber die gibt es nirgendwo". Archimandrit Pater Tiran Petrosyan, Patriarchaldelegat der Armenisch-Apostolischen Kirche für Mitteleuropa und Skandinavien, meinte, dass Werfel in den „40 Tagen" den Holocaust „vorausgeahnt" habe. P. Paulus Kodjanian, Abt des Mechitharistenklosters in Wien, kam noch auf dem Musa Dagh zur Welt und machte als Zweijähriger die Übersiedlung in ein armenisches Dorf im Libanon mit; bis heute ist er Vertreter der Musa-Dagh-Armenier in Österreich. Er erinnerte daran, dass Werfel bei den Wiener Mechitaristen für sein Buch recherchiert hatte. Werfel wollte damit vor dem Hintergrund des politischen Aufstieges Hitlers auch und gerade Juden erreichen, was auch gelungen sei. Und der Nachname der Hauptfigur der „40 Tage", Gabriel Bagradian, sei nicht zufällig gewählt, sondern an das mittelalterliche armenische Königsgeschlecht der Bagratiden angelehnt. Dieses hatte unter dem Einfluss der Bibel zeitweise behauptet, von den Hebräern bzw. von König David abzustammen (diese Legende wurde dann vom georgischen Zweig der Bagratiden modifiziert übernommen). Zwischen den Ansprachen spielte das Gayané-Quartett u.a. schwermütige Musik des armenischen Komponisten und Genozid-Überlebenden Komitas, und der Jazz- und Klassik-Saxophonist Christian Maurer improvisierte beeindruckend über Werfels Kompositions-Fragmente.

Den ganzen Abend über blieb unerwähnt, dass Werfel Jude war. Ein Zufall? Oder wurde dieses Wissen allgemein vorausgesetzt? Das blieb zwangsläufig ungeklärt. Zwar waren Armenier und Juden im 20. Jahrhundert jeweils einem Genozid ausgesetzt, und beide Völker mussten sich in einem feindlichen Umfeld behaupten; allerdings hat sie das nicht wirklich einander nahe (oder auch nur näher) gebracht.

In Armenien ist man alles andere als frei von antisemitischen Vorurteilen. Der Verfasser war dort bei Veranstaltungen mit wissenschaftlichem Anspruch Augen- und Ohrenzeuge von derben Ausbrüchen an die Adresse der Juden und Israels, von dem manche Armenier ganz offen sagen, dass es besser überhaupt nicht gegründet worden wäre. Zudem wird Israel vorgeworfen, den Völkermord an den Armeniern nicht offiziell anerkannt zu haben (allerdings gab es in der israelischen Öffentlichkeit wie in der Knesset immer wieder Initiativen dafür). In Armenien sah bzw. sieht man skeptisch bis schroff ablehnend auf das ursprünglich gute Verhältnis Israels zur Türkei (das sich allerdings in den letzten Jahren stark abgekühlt hat) und zu Aserbaidschan. Damit kommt auch der - von beiden Seiten mit enormen Emotionen behaftete - Konflikt um Berg-Karabach, die sezessionistische ethnisch armenische Exklave in Aserbaidschan, ins Spiel.

Armenien ist sehr stolz auf seinen Status als ältester christlicher Staat der Welt, unterhält aber freundschaftliche Beziehungen zum theokratischen Regime im Iran, das Israel bekanntlich bis heute das Existenzrecht verwehrt. Der Verfasser fragte den damaligen armenischen Aussenminister Vartan Oskanian 2007 bei einer Veranstaltung an der Diplomatischen Akademie in Wien, wie es denn zusammenpassen solle, dass sein Land eine internationale Anerkennung des Genozids an den Armeniern im Osmanischen Reich forciert und gleichzeitig mit dem Iran, der den Holocaust leugnet, so eng kooperieren kann. Die Antwort lautete, dass der Holocaust in den armenisch-iranischen Beziehungen überhaupt kein Thema sei.

Die Empathie für fremdes Leid hängt also auch und gerade von der politischen Konjunktur bzw. (angeblichen oder tatsächlichen) „nationalen Interessen" ab. Es ist eben - leider - naheliegender, sich gegenseitig vor dem Hintergrund aktueller politischer Frontstellungen mit grossen und kleinen Trümmern aus dem Steinbruch der Geschichte zu bewerfen, als Mord und Völkermord „neutral" zu gedenken.