Peter Stiegnitz: Auf allen Stühlen. Der Weg der assimilierten Juden.
Weitra: Verlag Bibliothek der Provinz 2013
224 Seiten, Euro 18,-
ISBN 978-3990282236
Die Frage nach der eigenen Identität - das „Wer bin ich, woher komme ich und wohin gehe ich?" - scheint so manche zu beschäftigen. Aus den Antworten erhofft man sich eine Medizin gegen Angst, Lüge, Einsamkeit, Orientierungslosigkeit, Ohnmacht und sonstige Probleme des Lebens mixen zu können. Nun kann es zwei Arten der Antwortsuche geben: die Analyse und das Konstruieren. Beim Analysieren geht es darum, Sinn und Funktion seines Umfelds zu erfassen. Beim Konstruieren eignet man sich mehr oder minder jene vorhandenen kollektiven Mythen an, die einem den Alltag zu erleichtern scheinen. Peter Stiegnitz macht in seinem Buch „Auf allen Stühlen. Der Weg der assimilierten Juden" beides und noch mehr, denn er dekonstruiert auch die Identitätssuche, stellt all das in Frage, was diese ausmacht, wobei das Sitzen auf allen Stühlen Symbol für seine Herangehensweise, für seine gelebte Kritik ist.
Peter Stiegnitz sitzt und sass nicht nur auf allen Stühlen, wie er schreibt, sondern fordert mit seinem Buch auch auf, sich zwecks Austauschs mit ihm zumindest einmal auf zwei Stühle zu setzen. Und auf dem Tisch, der sich bei diesem virtuellen Beisammensitzen zwischen Autor und LeserIn bildet, breitet er - derselbe, der die Wissenschaft der Lüge, die Mentiologie, begründet hat - mit humorvoller Ehrlichkeit und Intimität seine Lebens- und Ideengeschichte auf.
Peter Stiegnitz stellt teils autobiografisch, teils essayistisch politisch, historisch, soziologisch, psychologisch - kurzum interdisziplinär - untermauerte, provozierende Thesen zu Judentum, Assimilation, Antisemitismus, Philosemitismus auf, nicht um der Provokation Willen, sondern um ein konstruktives Streitgespräch zu ermöglichen. Und um seine Thesen zu illustrieren, zitiert er von Maimonides bis zur Science-Fiction-Serie „Star Trek" quer durch die Wissensbank.
Als „realistischer Traumtänzer" und gewollter Selbstdarsteller konfrontiert er die LeserInnen jedoch vor allem mit jenen 78 Jahren, die er als Jude überlebt, als Ungar überstanden hat und als Österreicher, ehemaliger hoher Staatsbeamter, Autor von 30 Büchern, 6.600 Fachbeiträgen und Vorstandsmitglied von 24 Vereinen nicht aufgehört hat zu erleben. Dabei erwähnt er im Besonderen einen Verein, dem er seit über vierzig Jahren angehört, und dessen philosophische Methode der Selbstfindung ihm massgeblich bei seiner Suche nach Antworten hilft, nämlich jenen der Freimaurer. Dabei ist zu erwähnen, dass man als Vorsitzender einer Loge den Titel „Meister vom Stuhl" trägt und als solcher ruhig auch einmal ein paar Weisheiten von sich geben darf, ein Handeln, das Peter Stiegnitz auch als Autor nicht unterlässt.