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Nur etwas für Fantasten und Spinner? Wie Paul Friedmann einen jüdischen Staat errichten wollte.

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Julius H. Schoeps: Der König von Midian. Paul Friedmann und sein Traum von einem Judenstaat auf der arabischen Halbinsel.

Leipzig: Koehler & Amelang 2014

224 Seiten, 85 farbige und S/W-Abbildungen, Euro 29,95

ISBN 978-3-7338-0398-8

Um 1510 wird Doña Gracía in Spanien geboren, sie gehört der ersten Generation der Neuchristen an und flieht später über Antwerpen und Italien ins Osmanische Reich, wo sie wieder zum Glauben ihrer Väter zurückkehrt. Um 1560 pachtet sie das verwüstete Tiberias vom osmanischen Sultan in Istanbul (müsste eigentlich Konstantinopel heissen?). 1564 schützen die Mauern um Tiberias und seine Zitadelle bereits die Hauptstadt eines jüdischen Staates in Galiläa, der der Oberhoheit des Sultans untersteht. Die Stadt zieht Juden aus dem christlichen Europa, dem muslimischen Nordafrika und sogar aus dem Jemen an. Selbst die Juden aus dem nahen Gelehrtenzentrum Safed, in dem zu diesem Zeitpunkt ungefähr 10.000 Juden leben, interessieren sich für das wirtschaftliche und landwirtschaftliche Potenzial der Stadt am See und der fruchtbaren Ebenen in ihrer Umgebung. Damit erleben wir den ersten Versuch einer erneuten systematischen Ansiedlung in der alt-neuen Heimat - noch dazu unter der Leitung einer Frau! Dieses frühe Experiment scheitert schliesslich jedoch. Denn der Sultan führt teure Kriege, braucht dringend Geld und schlägt die neue galiläische Stadt dem Gebiet des Paschas von Syrien zu. Doña Gracía gibt ihre Träume auf und lässt sich in Istanbul nieder.

Hat Paul Friedmann, am 2. September 1840 in Königsberg geboren, je etwas von diesem ersten Versuch einer Neubelebung des jüdischen Staates gehört? Oder war es vielmehr die Kunde vom Bemühen sowohl Edmond de Rothschilds als auch des Barons Maurice de Hirsch, in Russland verfolgten Juden zur Auswanderung nach Übersee zu verhelfen und sie in Landwirtschaftskolonien anzusiedeln? Oder hat etwa Gustav Adolf Bergenroth (1813-1968), mit dem Friedmann bereits Anfang/Mitte der 1860er Jahre in Simancas bei Aktenrecherchen zusammengearbeitet hat, ihn mit seinen abenteuerlichen Plänen für die Gründung einer Kolonie in Kalifornien auf die Idee gebracht, ihm nachzueifern und sich eine Kolonie für verfolgte russische Juden im sagenhaften Land Midian zu erträumen, sodass er sich dazu entschloss, diesen Traum auch zu verwirklichen?

Dieser Frage geht Julius Schoeps in seiner Studie über Paul Friedmann nach. Im Gegensatz zu den bisher erwähnten Personen ist Friedmann übrigens nicht einmal Jude, wenn auch jüdischer Abstammung. Auf jeden Fall ist der Mann wohlhabend, reist viel, bis nach Konstantinopel und Syrien, und bewegt sich in London in den besseren Kreisen.

Was immer ihn bewogen haben mag, 1890 begibt sich Paul Friedmann auf eine Erkundungsreise nach Ägypten, auf die Sinai-Halbinsel und am Ende auch in das frühere biblische Midian auf der arabischen Halbinsel, um zu prüfen, ob sich unter den damals bestehenden Gegebenheiten ein Siedlungsprojekt verwirklichen liesse. Nach seiner Rückkehr verfasst Friedmann eine Broschüre mit dem Titel „Das Land Madian" (abgedruckt in diesem Band), in der er betont, das Klima sei angenehm, und der Boden könne für den landwirtschaftlichen Anbau genutzt werden, zumal es grössere Bäche und eine Menge Quellen gebe.

Zwar stösst Friedmann beim Bewerben seiner Idee sowohl in London als auch in Berlin und Kairo auf Skepsis. Das hindert ihn jedoch nicht daran, in Glasgow ein Schiff für seine Midian-Expedition zu kaufen und auszurüsten, in Krakau zukünftige Siedler anzuwerben und am 6. November 1891 mit ihnen über Breslau und Berlin nach Bremerhaven zu reisen, um dort das vor Anker liegende Schiff, dem er den hoffnungsvollen Namen „Israel" gegeben hat, zu besteigen. 23 Tage dauert die Schiffsreise bis zum ägyptischen Hafen Suez. Von dort geht es mit dem Schiff weiter bis nach dem heutigen Scharm El-Scheich. Die angeworbenen Siedler beklagen sich über das ungenügende Essen, die fehlende Kaschruth und die viel zu harte Arbeit, denn sie werden immer wieder zum Tragen der Lasten von einem Ort zum anderen verpflichtet. Es gibt eine Revolte, ein Rädelsführer wird des Lagers verwiesen und kommt ums Leben. Als Friedmann den Siedlern freistellt, die Expedition zu verlassen, gehen 16 der Angeworbenen. Als sich schliesslich auch noch türkische Soldaten in Dubbah niederlassen, erhält Friedmanns Expedition ihren Todesstoss. Die Expedition wird abgebrochen.

Auf die Schilderung der gescheiterten Expedition lässt Schoeps Briefe rund um die Midian-Expedition folgen, sowie Berichte englischer, deutscher und österreichischer Diplomaten und Politiker über Friedmanns Expedition. Schoeps spekuliert, ob es möglicherweise diese gescheiterte Expedition ins Land Midian war, die später Theodor Herzl dazu bewog, sich ausschliesslich auf das historische Eretz Israel, das Land Israel, zu konzentrieren, statt nach Alternativen auf der Sinai-Halbinsel zu suchen.

Eine Fussnote der Geschichte, wie Schoeps meint, aber doch interessant für die weitere Entwicklung der Entstehung des späteren Staates Israel, die sich nicht, das sei ausdrücklich betont, der Schoa verdankt, sondern viel tiefere Wurzeln hat. Und dazu gehören Gründungsversuche sowohl von Doña Gracía im 16. Jahrhundert als auch von Paul Friedmann im 19. Jahrhundert.

Für jeden an der Geschichte Israels Interessierten, auch den Laien, sehr zu empfehlen.