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Späte Wahrheit - das deutsche Auswärtige Amt im NS-Regime

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Eckart Conze, Norbert Frei, Peter Hayes, Moshe Zimmermann: Das Amt und die Vergangenheit. Deutsche Diplomaten im Dritten Reich und in der Bundesrepublik.

Unter Mitarbeit von Annette Weinke und Andrea Wiegeshoff.

München: Karl Blessing Verlag 2010.

881 Seiten, gebunden, 36,00 EUR.

ISBN 978-3-89667-430-2

2005 beauftragte der damalige Aussenminister Joschka Fischer eine unabhängige Historikerkommission mit der Aufarbeitung der Rolle des Aussenministeriums im Dritten Reich, dem Umgang mit dieser sowie der personellen Kontinuität nach 1945. In den 1970er Jahren war, auf Englisch, eine erste Studie zur Rolle des Auswärtigen Amtes von Christopher Browning erschienen, gefolgt von einer Arbeit von Hans-Jürgen Döscher 1987. Die detaillierte Aufarbeitung und Einbettung erfolgte aber erst durch die Historikerkommission 2010.

Die exzellent recherchierte Studie ist erschütternd.  Sie zeigt erstmals in aller Deutlichkeit, wie stark das Auswärtige Amt ideologisch, politisch und organisatorisch in die Strukturen des Dritten Reiches und letztlich auch des Holocaust eingebunden war. Der von vielen deutschen Diplomaten nach 1945 verfochtene Mythos, das Amt habe mit dem nationalsozialistischen Rassenwahn nie sympathisiert oder mit diplomatischen Mitteln zumindest versucht, aussenpolitisch das Schlimmste zu verhindern, lässt sich eindeutig nicht aufrecht erhalten. Kritische Geister, beispielsweise Fritz Kolbe, der den Amerikanern geheime Informationen zukommen liess, wurden nach 1949 nicht wieder eingestellt und sogar geächtet. Ehemalige NSDAP-Mitglieder und sogar verurteilte Kriegsverbrecher, etwa Franz Nüsslein, durften dagegen ihre Karriere fortsetzen. Auch der frühere Staatssekretär Ernst von Weizsäcker wurde von der Bundesrepublik rehabilitiert.

Unmittelbar nach seiner Machtübernahme 1933 zeigte Adolf Hitler wenig Interesse an der Aussenpolitik, und so verblieben die wichtigsten Botschafter als Zeichen der Kontinuität an ihren Standorten. In Aussenminister von Neurath, konservativ und militaristisch eingestellt und ein Vertrauter Präsident Hindenburgs, fand Hitler einen Bündnisgenossen, der zwar manchmal kritisch argumentierte, aber etwa doch den Austritt aus dem Völkerbund umsetzte. An der Politik der Nationalsozialisten störte Neurath wohl am meisten, dass ihre antijüdische Gesetzgebung im Ausland eine antideutsche Stimmung verbreiteten und eine Kriegsgefahr heraufbeschwor - die deutschen Diplomaten hatten dem im Ausland aktiv entgegen zu treten. Der Selbstgleichschaltung des Auswärtigen Amtes bis Ende 1933 leistete er entsprechend keinen Widerstand. Erleichtert hatte vielen Diplomaten in der Zentrale wie im Ausland der Wechsel zur NSDAP ihre Sozialisation: Die meisten waren konservative, antidemokratisch gesinnte Adelige mit ausgeprägtem Standesdünkel und einer vorgeblich unpolitischen preussischen Beamtenmentalität, die dem Amt bereits während der Kaiserzeit beigetreten waren und an die besondere Mission Deutschlands glaubten.

Ende 1937 wurde Neurath, als er sich gegen Hitlers Expansionspläne wandte, durch seinen langjährigen, im Amt polarisierenden und umstrittenen Gegenspieler Ribbentrop abgelöst. Unter Ribbentrop wurde die Zusammenarbeit zwischen Amt und NSDAP-Parteistellen noch weiter intensiviert und das Aussenministerium noch stärker zum Erfüllungsgehilfen. Beispielsweise übernahm es eine führende Rolle in der Auslandspropaganda. Die unrühmlichste Rolle spielte jedoch das sogenannte Judenreferat, das aktiv an der Organisation des Holocaust beteiligt war. Die Studie analysiert ausführlich den Beitrag deutscher Diplomaten an der Deportations- und Vernichtungspolitik in den besetzten Gebieten. Nach der Wiederetablierung eines demokratischen Systems in der BRD wollten von dieser Rolle aber die wenigsten Diplomaten und Politiker etwas wissen. 

„Das Amt" zeigt leider in aller Deutlichkeit, dass viel zu viele deutsche Diplomaten zwischen 1933 und 1945 die Vernichtungspolitik der Nazis aktiv unterstützen, sei es aus ideologischer Überzeugung oder Karrierestreben. Deutlich wird dabei, dass es sowohl ihnen als auch der Institution Auswärtiges Amt nach Kriegsende an Unrechtsbewusstsein fehlte. Entsprechend wurde die eigene Rolle im Nazisystem heruntergespielt oder sogar verfälscht. Es war daher hoch an der Zeit, dass die Historikerkommission durch die Schilderung ihrer Taten jenen mutigen Diplomaten Gerechtigkeit widerfahren lässt, die sich bewusst gegen die Politik Hitlers und des Amtes wandten und dafür karrieremässig einen hohen Preis zahlen mussten. Während viele deutschsprachige historische Werke aufgrund einer überkomplizierten Wortwahl oft schwierig zu lesen sind, ist „Das Amt" höchst angenehm zu lesen - und dies obwohl die einzelnen Kapitel von unterschiedlichen Autoren verfasst worden sind. Dem Buch sind viele Leser zu wünschen.