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Falsche Freunde, unechte Feinde? Israel die Türkei und der Iran –

Gustav C. GRESSEL

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Kaum eine strategische Diskussion bewegt sich in so festgefahrenen Bahnen und orientiert sich an tradierten Bildern wie die Diskussion um die Sicherheitslage Israels. So galt etwa seit den späten 60er Jahren das Credo, dass der Irak unter Saddam Hussein die grösste militärische Bedrohung an der israelischen Ostfront darstelle. Das Irak-Paradigma war aus den Köpfen vieler „Sicherheitsexperten" nicht herauszubringen und steuerte einiges zu der Überschätzung des irakischen Einfluss- und Militärpotentials 2003 bei.

  

Die militärischen Beiträge des Irak zu den Kriegen 1967 und 1973 waren jedoch bescheiden. Auch seine Unterstützungsleistungen an die PLO und später die Hamas hielten sich in Grenzen - zumindest waren sie weniger bedeutend als die Saudi-Arabiens, der Golf-Emirate oder Irans. Der Raketenbeschuss Israels 1991 durch den Irak war auch verglichen mit dem Können der Hizb‘Allah 2006 eine jämmerliche Show. Und nach dem Fall Saddam Husseins war die „Ostfront" weder beruhigt noch sorgenfrei. Vielmehr führte dieser zu einem Aufstieg des Iran und bot Syrien die Möglichkeit, seine Kräfte im Libanon zu bündeln. Der Irak hat heute Zugriff auf amerikanische Rüstungstechnologie und ist langfristig wenig stabil, geschweige denn berechenbar oder an den Westen gebunden.

Ob der durch viele Israelis wie auch Freunde Israels im Westen begrüsste Feldzug der USA 2003 für Israel tatsächlich Vorteile erbracht hatte, muss stark bezweifelt werden. Da man jedoch 2003 in einem starren Bild über die Lage des Irak verhaftet war, übersah man, dass sich die realen Kräfteverhältnisse im Mittleren Osten seit 1980 drastisch verändert hatten. Auch heute steht die Diskussion - vor allem in den USA - zu zwei Staaten in althergebrachten Schienen, die kritisch zu überdenken sind: zur Türkei und zum Iran.

Die türkische Bedrohung

Kommt das Thema der türkisch-israelischen Beziehungen auf, so wird stets rezitiert, dass die Türkei ein zwar überwiegend muslimisches Land sei, aber trotzdem als NATO-Mitglied quasi Teil des Westens sei, als erster Staat 1949 Israel offiziell anerkannt habe und lange gute Beziehungen zu Israel pflegte - bis eben einige kleine Vorfälle in den letzten Jahren. Dass die Türkei zu Israel über Jahrzehnte gute Beziehungen pflegte und für Israel unter den NATO-Staaten wertvoller war als so manche Europäer stimmt zwar - jedoch trifft dieses Bild auf die „alte türkische Republik", also jenen von kemalistischen Eliten und dem Militär geführten türkischen Staat von 1923 bis 2002 zu. Viele unterschätzen den tiefgreifenden Wandel, den die Türkei seit der Machtübernahme Erdoğans erfahren hatte. Und dies betrifft insbesondere die aussenpolitische Agenda der Türkei.

Die neo-ottomanistischen Ambitionen der neuen Türkei werden zwar von offizieller Seite stets bestritten, sind jedoch abseits diplomatischer Plattitüden umso offensichtlicher. Formell streckte die Türkei die Hand zu allen Nachbarn aus, praktisch erfuhren jedoch nur die Beziehungen zu islamischen Nachbarn eine Dynamisierung. Die Beziehungen zum Iran haben sich deutlich verbessert, und die Türkei versuchte, den diplomatischen Druck auf Teheran hinsichtlich dessen nukleare Ambitionen zu dämpfen. Mit Assads Syrien und dem Libanon strebte man lange eine „gemeinsame Integration" an - also zumindest einen integrierten Wirtschaftsraum, wenn nicht mehr. Die Unruhen in Syrien haben diesen Träumen vorerst ein Ende gesetzt.

Die türkische Haltung zu den Umbrüchen im Nahen Osten war ambivalent. Aufgrund des Naheverhältnisses von Erdoğans AKP zur Muslimbruderschaft1 war die Türkei einer der ersten Staaten, die Mubarak zum Rücktritt aufforderte und das Ergebnis der Revolution begrüsste. Die Türkei hofft, dass die eigenen Pläne regionaler Vorherrschaft mit einem von der Muslimbruderschaft regierten Ägypten besser verwirklicht werden könnten. Dementsprechend pocht man nun auch auf einen raschen Urnengang.

Im Falle Gaddafis verhielt sich die Türkei zurückhaltender. Der offizielle Grund für das lange Festhalten Erdoğans an Gaddafi war die starke Präsenz türkischer Baufirmen in Libyen. Dass diese Firmen aber grossteils zur Parteiklientel der AKP gehörten und von Gaddafi grosse Zuwendungen empfingen,2 ist ein gerne verschwiegenes Detail. Nachdem die Entscheidung zugunsten der Rebellen gefallen war, suchte die Türkei sofort durch grosszügige Unterstützungsleistungen an Einfluss zu gewinnen. Wie in Ägypten und Tunesien verfolgt sie auch hier das Ziel, durch eine religiös geprägte Regierung an Einfluss zu gewinnen.

Dem Libanon versprach man implizit militärischen Beistand gegen eine erneute Intervention Israels, und in Syrien unterstützt man nunmehr die Muslimbruderschaft im Kampf gegen Assad. Die Türkei hofft, als grosser Profiteur der jüngsten Entwicklungen hervorzugehen, den zukünftigen Nahen Osten nach eigenem Bilde zu prägen und sich als Führungsmacht dieser Region, wenn nicht Weltmacht zu etablieren. Dass es hier nicht um Nachbarschaft, sondern um die Rolle der Führungsmacht in der sunnitisch-islamischen Welt geht, zeigt auch die Vernachlässigung der türkischen Beziehungen zu Israel, Zypern, Griechenland, Bulgarien, Rumänien und Armenien. Gerade die militärischen Drohungen gegen Zypern und Israel lassen aufhorchen.

Denn unter arabischen Nationen kann man kaum Führungsmacht werden, wenn man gegenüber Israel eine ausgewogene Politik fährt. Israel-Bashing als Vehikel der Stärkung der eigenen Beliebtheit in der arabischen Welt zu verwenden, ist ein bekanntes Spiel - der Iran suchte damit bereits seit Zeiten des Schahs arabische Bedenken gegen eine persische Vorherrschaft am Golf zu überdecken. Die Türkei als „Newcomer", noch dazu als nicht-arabische Nation, muss hierzu besonders eifrig ans Werk gehen, will sie in der arabischen Öffentlichkeit anerkannt werden. Erdoğans eigener Regierungsstil, die Kombination von Religiosität und Populismus, ist alleine schon ein guter Nährboden für anti-israelische Agitation. Ihn in die arabische Welt zu exportieren kann nur zu Lasten Israels gehen.

Die Frage ist nun, wie weit die Türkei gegen Israel tatsächlich gehen würde. Vollmundiger Rhetorik (wie etwa die Entsendung von Kriegsschiffen, um die Blockade des Gazastreifens zu brechen) folgt im Mittleren Osten selten eine Tat - und der "Sultan" von Ankara ist hier vermutlich keine Ausnahme. Doch die Türkei könnte erheblich zur Schaffung von langfristig schwer tragbaren Bedingungen für Israel beitragen: etwa der Unterstützung religiös geprägter Regierungen, die eine Anerkennung Israels ausschlagen (wie etwa schon jetzt die Hamas), durch die Lieferung von Rüstungsgütern und Hochtechnologie an solche Staaten und Regime, etc.

Hinsichtlich des militärischen Mitteleinsatzes strebt die Türkei unter Erdoğan ambitionierte Entwicklungs-Programme an, die der Türkei langfristig Selbstständigkeit auf dem Rüstungssektor sichern sollen. Man will eigene Kampfpanzer, Kriegsschiffe und sogar Kampfflugzeuge entwickeln. Auch wenn der Umsetzungsgrad gegenwärtig gering ist, das Ziel ist klar: Die Türkei möchte langfristig vom Westen unabhängig werden, um erstens eine eigene Ordnungsvorstellung auch militärisch unterfüttern zu können, und zweitens vom Westen im Falle einer Konfrontation nicht durch ein Waffenembargo unter Druck gesetzt werden zu können. Die Türkei wird für die Realisierung dieser Pläne noch 20 bis 30 Jahre brauchen - dann aber wäre sie im Unterschied zu den arabischen Armeen tatsächlich in der Lage, Israel in erhebliche Bedrängnis zu bringen.

Ob das Atomenergieprogramm Erdoğans in diesen militärischen Überlegungen auch einen Platz hat (als Basis für ein späteres militärisches Atomprogramm), wird sich später weisen. Sollten der Westen und Israel die Türkei weiter als „Alliierten" betrachten, wird sie wohl kaum unter genauere Aufsicht fallen.

Die iranische Bedrohung

Während die Türkei, der langfristig gefährlichste Gegner Israels, als vergrämter Alliierter gehandhabt wird, wird der Iran zu einer Art neuem Satan hochstilisiert, der anscheinend nur darauf warte, Israel von der Landkarte zu fegen. In der Tat, die Rhetorik Ahmadinedschads, den Holocaust zu verleugnen und „Israel vom Antlitz der Erde zu fegen", ist nicht sehr erbaulich. Hinzu kommen ausreichend Hinweise auf ein militärisches Atomprogramm, die dem Iran auch die Mittel in die Hand geben würden, eine solche Politik umzusetzen.

Dementgegen steht, dass die iranische Politik jenseits der Rhetorik weit weniger apokalyptisch und irrational war. Selbst Khomeini, dessen Anti-Israel Rhetorik sich kaum von der Ahmadinedschads unterschied, kontaktierte Israel, um die im Krieg gegen den Irak dringend benötigten Ersatzteile für amerikanische und britische Panzer und Flugzeuge zu beschaffen. Als 1982 (Libanon-Feldzug) Saddam Hussein anbot, den ersten Golfkrieg zu beenden und gemeinsam gegen Israel zu marschieren, lehnte Teheran dieses Angebot ab und gab auch die libanesischen Schiiten der israelischen Intervention preis. Der Shatt al Arab war wichtiger als der Glaube.

Heute resultiert die vorgezeigte iranische Stärke und das selbstbewusste Auftreten in erster Linie aus dem Ausschalten der wichtigsten Feinde des Iran durch die USA (die Taliban in Afghanistan und Saddam Hussein fallen aus der Feindlagekarte, und die Mittel, sich gegen diese zu behaupten, können nun offensiv eingesetzt werden), aber auch zu einem erheblichen Masse aus innerer Unsicherheit heraus. Das strate-gische Ziel Teherans, eine persische Vorherrschaft im Mittleren Osten zu erreichen, hat sich hierbei seit den Zeiten des Schahs nicht verändert - steht heute allerdings im schiitisch-religiösem Kleid. Die radikale Anti-Israel-Rhetorik tut hier auch denselben Zweck wie im Falle der Türkei: sie soll die Popularität Teherans in den arabischen Öffentlichkeiten steigern, Ängste und Vorbehalte gegen Schiiten und Perser überwinden. (Dass sie dabei kaum hilfreich ist, steht auf einem anderen Blatt.)

Im Gegensatz zur Türkei sind jedoch im Falle des Iran einige Einschränkungen zu beachten, die die Effektivität iranischer Bestrebungen unterminieren. Erstens sind der unmittelbare Adressat iranischer Aussenpolitik die schiitischen Minderheiten in den arabischen Nachbarstaaten: der Irak, Kuwait, Bahrain, die VAE und Saudi-Arabien, erst in zweiter Linie Syrien und der Libanon. Zweitens sucht der Iran durch seine aggressive Aussenpolitik und Grossmachtgehabe schwere Risse in der iranischen Gesellschaft, ja selbst im eigenen politischen Establishment zu überdecken. Diese verlaufen entlang verschiedener Spalten: urbane Jugend vs. ländliche Veteranen, Nationalisten vs. Religiöse, neue Unternehmer gegen alte „Oligarchen", ethnische Gruppen gegeneinander, klerikale vs. politische Eliten, etc. Die jüngsten Streitereien zwischen Ahmadinedschad und Chamenei3 um die Reform des iranischen politischen Systems sind oberflächliche Zeichen dieser Risse.

Die iranische Armee ist mit ihren Altbeständen aus Zeiten des Schahs nicht besonders gut gerüstet. Seit dem Iran-Irakkrieg plagt das Paranoia, von ständig angriffsbereiten (sunnitisch-arabischen) Feinden umgeben zu sein, das politische Establishment des Iran. Diesem zu entkommen, und die innenpolitische Zerrissenheit durch die „Verantwortung um die Bombe" zu überdecken, ist ein wichtiges inneres Motiv, nach Atomwaffen zu streben.

Eine Revolution liegt im Iran schon länger in der Luft, und die konservativen Eliten kämpfen hart, diese abzuwehren. Sich dauernd steigende Rhetorik, das Beschwören äusserer Feinde und die Propaganda gegen Israel sind die bekanntesten Mittel.

Im Rennen um die regionale Vorherrschaft, die anscheinend auf dem Rücken Israels entschieden werden soll, ist die Türkei, deren politische Eliten fest im Sattel sitzen, die eine wirkungsvolle religiöse Brücke in den arabischen Raum hat und deren wirtschaftliche und militärische Leistungsfähigkeit in einem steilen Aufwind begriffen ist, langfristig der gefährlichere Gegner. Man täte gut daran, lieb gewonnene Bilder beider Systeme über Bord zu werfen und sich den neuen Gegebenheiten zu stellen. Man soll sich nicht von Propaganda blenden lassen. Langfristig bieten sich der Türkei mehr Chancen, die Existenz Israels in Frage zu stellen, als dem Iran. Dementsprechend sollte man zwischen lästigen und gefährlichen Gegnern unterscheiden.

 

1 Dieses Naheverhältnis ist auch der Grund, warum Erdoğan die Hamas im Gazastreifen der Fatah im Westjordanland als palästinensische Vertretung den Vorzug gibt. Alle türkischen Aktionismen, verbalen Äusserungen, Zuwendungen und Besuchstätigkeiten richten sich auf die Hamas aus, und nehmen eine Schwächung der Fatah zumindest in Kauf.

2 Im Gegensatz zur „seligen" Darstellung Gaddafis in den deutschen Medien ist anzumerken, dass Gaddafi keinesfalls als „säkularer" Diktator zu bezeichnen war. Auch in Gaddafis Libyen galt die Scharia, und er war an der Ausbreitung des „wahren Glaubens" sehr interessiert. Die Förderung nordafrikanischer Einwanderung war nur ein Mittel hierzu, man unterstützte auch religiöse Stiftungen und Vereine in ganz Europa.

3 Mahmud Ahmadinedschad als Präsident des Iran wünscht sich für sein Amt grössere Machtbefugnisse. Ali Chamenei ist oberster Rechtsgelehrter, Vorsitzender des Wächterrates und somit formelles und faktisches Staatsoberhaupt des Iran. Er sucht die Stellung des Klerus im politischen System zu festigen und gegen Reformer wie auch konservative (Berufs-)Politiker zu verteidigen.