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Rabbinische Deutungen zur Herkunft und Bedeutung von Chanukka

Schlomo HOFMEISTER

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Zur Herkunft und Bedeutung der Bezeichnung „Chanukka" für das achttägige jüdische Lichterfest - es findet in Erinnerung an zwei Wunder aus dem Jahre 165 vor der allgemeinen Zeitrechnung in Jerusalem statt - finden wir in der rabbinischen Literatur eine Reihe verschiedener Erklärungen.

Rabbi Jitzchok von Wien (1200-1270), besser bekannt als „Or Sorua", dem Titel eines seiner Werke, identifiziert den Namen direkt mit dem hebräischen Wort „Chanukka", was soviel wie „Einweihung" bedeutet und sich demnach auf die Einweihung des durch die Hellenisten Jahre zuvor entweihten und dann von den Hasmonäern wieder errichteten Opferaltars im Jerusalemer Tempel bezieht. Der deutsche Rabbiner Jakov Emden (1696-1776) setzt die Ereignisse und Wunder unter den Hasmonäern in Verbindung mit der „Chanukkat HaBajit", der Einweihung des Jerusalemer Tempels, nach dessen Wiederaufbau unter dem Perserkönig Darius, was mehrere Jahrhunderte zuvor, aber ungefähr zur gleichen Jahreszeit stattfand.

Tatsächlich genau am 25. Kislev, wie der erste Tag von Chanukka, jedoch 930 Jahre früher, wurde das Mischkan („Stiftzelt") in der Wüste Sinai fertiggestellt, das als tragbares Heiligtum die Kinder Israels auf ihren Wanderungen nach dem Auszug aus Ägypten 40 Jahre lang begleitete. Zwar fand dessen Einweihung erst vier Monate später, im Nissan statt, dennoch stellen unsere Weisen einen spirituellen Zusammenhang zwischen diesen beiden Ereignissen her, da am 25. Kislev unter den Hasmonäern das Jerusalemer Heiligtum neu eingweiht wurde, und ebenfalls an einem 25. Kislev das Mischkan in der Wüste hätte eingeweiht werden können, da es an diesem Tag fertiggestellt worden war - hätte nicht HaSchem, wie wir aus dem Midrasch wissen, aus bestimmten Gründen den Monat Nissan dazu bestimmt.

In der rabbinischen Literatur des frühen Mittelalters finden wir aber auch noch ganz andere Erklärung des Namen „Chanukka". So lässt sich beispielsweise das Wort Chanukka aufteilen in das Wort Chanu, was soviel bedeutet wie „sie kamen zur Ruhe", und „ka", die beiden hebräischen Buchstaben „Chof-Hej", also die hebräische Schreibweise der Zahl 25; eine Anspielung auf die historischen Ereignisse, die wir an Chanukka feiern: „Sie (die Makkabäer) kamen zur Ruhe (nach ihrem Kampf gegen die Hellenisten) am 25. (Kislev)."

Wer waren diese Makkabäer, die sich so nennenden Anhänger und Unterstützer des Jehuda HaMakkabi, dem Sohn des Priesters Mattisjahu aus der Familie der Hasmonäer, dem Initiator und Anführer des jüdischen Freiheitskampfes gegen die hellenistischen Seleukiden? Waren sie tatsächlich Partisanen? Mutige Kämpfer, die in der Verteidigung ihrer persönlichen Freiheit und politischen Unabhängigkeit der fremden Besatzungsmacht trotzten und sich aufgrund ihrer militärischen bzw. ihrer strategischen Überlegenheit letzten Endes siegreich behaupten konnten?

Der von physischer Kraft strotzende, strahlende Heldenmythos der Makkabäer ist eine sehr späte Erfindung des karolingischen Mittelalters und entspricht mehr den Ideen des abendländischen Rittertums als den den historischen Tatsachen und den Idealen des Judentums. Nichtsdestotrotz hat sich dieses anachronistisch und kulturfremd stilisierte Bild des kämpfenden Märtyrers in der nicht-jüdischen Politik und Kunst Europas, von der Kreuzzugspropaganda Papst Urbans II, über das nach Jehuda HaMakkabi benannte Oratorium „Judas Makkabäus" von Georg Friedrich Händel, bis in die frühe Neuzeit weiterentwickelt und wurde im vergangenen Jahrhundert in dieser dem Judentum eigentlich nach wie vor wertfremden Form sogar in einigen jüdischen Kreisen als heroisches Vorbild re-importiert. Die uns aus den antiken jüdischen Quellen und der rabbinischen Literatur bekannten Makkabäer eignen sich jedenfalls kaum als Namensgeber für eine Biersorte oder als Vorbild für wettkampfbegeisterte Fussballer oder andere Sportler.

Wie Rabbiner Mordechai Joffe (1530-1612), auch bekannt nach dem Titel seines Werkes als „Lewusch", betont, stellten die das Land Israel zum damaligen Zeitpunkt bereits seit längerer Zeit kontrollierenden Seleukiden nicht so sehr eine Bedrohung für die physische Existenz unserer Vorfahren dar als vielmehr für ihr traditionelles jüdisches Leben und die Verbundenheit zur Tora. Um sein Ziel durchzusetzen, die Juden zum Hellenismus zu bekehren und sie somit wie alle anderen Völker zu machen, erliess Antiochus unter anderem die folgenden drei Verbote, die er zu recht als zentral erachtete, um das Judentum zu brechen: das Verbot, die Schabbat-Vorschriften einzuhalten; das Verbot, den Neumond zu verkünden, also die Grundlage des jüdischen Kalenders und die davon abhängige Beachtung der jüdischen Feiertage, sowie das Verbot von Brit Mila.

Wie Rabbiner Jehuda Löw (1520-1609), auch bekannt als der Maharal von Prag, erklärt, verfolgte Antiochus den perfiden Plan, dem jüdischen Volk die Verbindung zu seiner Keduscha („Heiligkeit") zu nehmen, um dadurch seine Wertschätzung der Tora zu zerstören. Er verstand, dass die Juden bald ihre Identität verlieren würden und selbst in ihrem eigenen Land nicht länger als Nation existieren würden, sobald sie aufhörten die Mitzwot zu halten sowie die Tora zu studieren und zu verstehen.

Gegen diese Verordnungen setzten sich die Makkabäer im Jahre 166 vor der allgemeinen Zeitrechnung zur Wehr. Unter der Führung von Jehuda HaMakkabi - sein Vater, der Priester Mattisjahu, hatte bereits zwei Jahre zuvor den Widerstand gegen die religiöse Unterdrückung durch die Hellenisten initiiert, indem er sich weigerte, den Befehl auszuführen, den griechischen Göttern zu opfern -, machten sie sich auf, die Stadt Jerusalem und den Tempelberg zu befreien. Vollkommen unerfahren, nicht als Soldaten ausgebildet, schlecht ausgerüstet und in jeder Hinsicht den Besatzungstruppen scheinbar unterlegen, kämpfte diese anfangs noch kleine Gruppe von frommen Juden - für das Überleben der Tora und des Judentums. Nach relativ kurzer Zeit schafften sie es tatsächlich, entgegen allen Erwartungen der Seleukiden, Jerusalem und den Tempelberg einzunehmen. Dies war das erste grosse Wunder, das wir an Chanukka feiern. Das zweite Wunder geschah dann im Rahmen der Wiedereinweihung des Tempels, als bekannterweise eine einzige zur Verfügung stehende Tagesration Öl in der Menora („Siebenarmiger Leuchter") acht Tage hindurch brannte, bis neues Öl besorgt werden konnte.

Doch die Befreiung Jerusalems und des Tempels, die Ereignisse von Chanukka, waren erst der Anfang. Der geistige Kulturkampf gegen den Hellenismus und der physische Krieg gegen die Seleukiden im eigenen Land dauerte noch weitere 25 Jahre, wobei sowohl Jehuda HaMakkabi als auch drei weitere seiner Brüder und viele seiner Anhänger den Tod fanden; dennoch waren die Makkabäer letzten Endes erfolgreich. Das jüdische Volk blieb G-tt und seiner Tora treu.

Der Widerstand der Makkabäer und ihrer Zeitgenossen wurde zwar teilweise tatsächlich auch militärisch ausgetragen, war aber in aller erster Linie ein geistiger Kampf. Die Seleukiden wollten das Licht der Tora auslöschen und durch die hellenistische Lebensführung ersetzen - die der Midrasch als „Dunkelheit" bezeichnet. Wie der Talmud berichtet, versuchten sie zuerst die Erwachsenen umzuerziehen, wenn nötig auch mit Gewalt. Als sie jedoch einsahen, dass dies nicht möglich war, denn die in ihrem Judentum fest verwurzelten Erwachsenen waren eher bereit, ihr Leben zu geben, als die Schabbat-Vorschriften zu brechen oder darauf zu verzichten, ihre Buben beschneiden zu lassen, begannen die Hellenisten, Einfluss auf die Kinder zu nehmen, was deren Eltern jedoch ebenfalls, durch die richtige Erziehung, erfolgreich verhindern konnten. Das hebräische Wort für Erziehung ist „Chinuch"; aus dessen Wortverwandtschaft mit „Chanukka", lässt sich ein weiterer wichtiger Aspekt dieses Festes bereits am Namen erkennen.

In der besonderen Einschaltung „Al Ha-Nissim" beim Tischgebet und in der Amida an allen acht Tagen von Chanukka danken wir G-tt für die Wunder, die Er damals für die Befreiung unserer Vorfahren vollbracht hat, als die Hellenisten versuchten, „das Volk Israel die Tora vergessen und die Satzungen Seines Willens übertreten zu machen". Wenn wir Chanukka feiern, geht es nicht nur darum, die Mitzwa des Anzündens der allabendlichen Chanukka-Lichter zu erfüllen, sondern wir feiern, dass wir heute die Freiheit und alle Möglichkeiten haben, unsere Religion zu praktizieren und unser Judentum authentisch zu leben.

Möge das Licht von Chanukka uns und der ganzen Welt hell leuchten!

Chanukka Sameach & Fröhlichen Chanuko!

BESONDERE HALACHOT FÜR SCHABBAT-CHANUKKA

Freitagnachmittag (vor Schabbat-Eingang) und am Samstagabend (nach Schabbat-Ausgang) gelten besondere Halachot für das Anzünden der Chanukka-Lichter. Während an den übrigen Abenden von Chanukka die Lichter immer erst bei Einbruch der Nacht angezündet werden, ist dies am Freitag so nicht möglich, da kurz vor Sonnenuntergang bereits der Schabbat beginnt, an dem das Anzünden von Feuer dem Torah-Verbot entsprechend nicht mehr möglich ist. Um dennoch die Mitzwa des Anzündens der Chanukka-Lichter für den Freitagabend erfüllen zu können, müssen diese bereits vor Schabbat-Eingang, also vor dem Anzünden der Schabbat-Kerzen angezündet werden. Auch müssen sie - da man nach dem Anzünden der Lichter prinzipiell kein Öl mehr hinzufügen darf - von Anfang an ausreichend Öl zur Verfügung haben (wenn man Kerzen benutzt, müssen diese gross genug sein um zwei Stunden lang zu brennen). Damit brennen die Chanukka-Lichter auch nach Einbruch der Nacht noch mindestens eine halbe Stunde, wodurch die Mitzwa von Chanukka erst erfüllt werden kann (Biur Halacha 672:1; Schulchan Aruch 675:2 und Mischna Berura 8).

Da alle Mitglieder des Haushalts (einschliesslich Übernachtungsgäste, die jedoch ihre eigenen Chanukiot im Hause des Gastgebers zünden) beim Anzünden der Chanukka-Lichter anwesend sein sollten, welches dem Anzünden der Schabbat-Kerzen direkt vorausgeht, müssen alle Vorbereitungen für Schabbat am Freitagnachmittag von Chanukka besonders frühzeitig abgeschlossen sein (Mishna Berura 672:10).

Da das Anzünden der Chanukia an allen Abenden (ausser Freitagabend) so bald wie möglich nach Einbruch der Nacht erfolgen sollte, entzündet man die Chanukka-Lichter in der Synagoge am Motzo'ai Schabbat nach Beendigung des Abendgebets, sogar noch vor Havdala. Und auch zu Hause zündet man, gemäss dem aschkenasischen Brauch, zuerst die Chanukka-Kerzen an und macht erst dann Havdala; in der sephardischen Tradition macht man jedoch zu Hause Havdala, bevor man die Chanukka-Lichter anzündet.