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Le chagrin et la pitié

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Das Haus nebenan - Chronik einer französischen Stadt im Kriege. Ein Film von Marcel Ophüls, 251 Minuten, FR/CH 1969. (Originaltitel: Le chagrin et la pitié) Vertrieb: Absolut MEDIEN GmbH.

Ich denke, es war 1971 oder 1972, als ich diesen Film „Le chagrin et la pitié" in einem Pariser Kino im Quartier Latin zum ersten Mal sah. Es war ein Samstag, und ich musste eine Stunde warten, bis ich eine Karte kaufen konnte, denn der Film lief nur in einem einzigen Kino. Damals gab es zwei staatliche Fernsehkanäle, die diesen Film nicht zeigen wollten. Ophüls schildert die Geschichte der französischen Stadt Clermont-Ferrand während des Zweiten Weltkriegs und macht mit seinem über vier Stunden dauernden Film den Zuschauern klar, welche Lebenslüge Frankreich noch Jahrzehnte nach Ende des Zweiten Weltkriegs beherrschte, dass nämlich, mit wenigen Ausnahmen, die Franzosen Widerstand geleistet hätten. Ophüls zeigt, wie begeistert der greise Marschall Petain von der Bevölkerung empfangen wurde. Und immer wieder thematisiert Ophüls den damals vorherrschenden Antisemitismus. Der Film beeindruckte mich auch deshalb so tief, weil damals die österreichische Lebenslüge noch fest verankert war. Am meisten ergriffen hat mich damals, und tut es noch heute, die Schilderung des späteren Ministerpräsidenten Pierre Mendès France, der im Vichy-Frankreich inhaftiert war und sich vor dem Gericht stolz dazu bekannte, ein Jude zu sein. Er schilderte seine Flucht aus dem Gefängnis und wie er damals mit dem Antisemitismus konfrontiert war. Freilich befragte Ophüls auch ehemalige deutsche Besatzer und französische Kollaborateure. Ophüls erklärte, er halte nichts davon, „Politik" von anderen Aktivitäten zu trennen, und er fragte: „Ist dieser klassische Satz ‚Mein Herr, ich beschäftige mich nicht mit Politik‘ nicht eine offene Tür für zukünftige Krematorien?" Der Film ist eine meisterhafte Chronik einer französischen Stadt im Krieg. Wer an Frankreich und an Zeitgeschichte interessiert ist, sollte diese DVDs erwerben.